Typisch Metal ist die Band Ad Nemori nicht: melancholisch suchend und nach innen gekehrt. Die Texte thematisieren zwischenmenschliche Werte und achtvollen Umgang mit der Umgebung. Dazu eine fast symphonische Form der Musik. Fertig ist der Achtsamkeits-Metal.
Die Pop-Welt hält doch immer wieder lustige Phänomene bereit. Etwa die deutschen Charts. Klickt man sich durch die ersten 20 Plätze der Albumcharts, finden sich etwa Helene Fischers Weihnachtsalbum, Andrea Bergs Abenteuer-Lebens-Album oder Roland Kaisers Altherrenfantasie-Album. Klar, Deutschland gilt seit jeher als Nation mit eher mäßigem Musikgeschmack. Doch dazwischen tauchen mit einer ziemlichen Konstanz alte Metalbands auf: Etwa Iron Maidens „The Book of Souls“, diese Woche frisch eingestiegen auf Platz fünf. Platz zwei belegt ein Live-Album von Black Sabbath und bis vergangene Woche war Metallicas „Master of Puppets“, deren Durchbruchsalbum von 1986, auf Platz zwölf. Es ist eine Neuveröffentlichung und Sammler-Edition, aber dennoch: Alter Metal hat in Deutschland eine ähnliche Fanbasis wie Schlager. Das ist zumindest einmal interessant, wenn man bedenkt, dass Metal im Ursprung mal eine laute und ganz und gar nicht gefällige Gegenbewegung zum Pop und insbesondere auch zur heilen Schlagerwelt war.
Auch die jungen Metaller heutzutage schreien noch, geben sogenannte Growls von sich. Doch ein Blick auf die Münchner Band Ad Nemori zeigt, dass die roh-reduzierte Gewalt und gleichzeitig tickende Präzision, die Metallica auf „Masters of Puppet“ erfanden, beinahe vierzig Jahre später einem anderen Anspruch gewichen ist. Der Metal von Ad Nemori wirkt nach Innen gekehrt, gibt sich melancholisch suchend anstelle der rohen Wut. Das Sextett schafft eine beinahe symphonische Form dieser Musik, in der die Growls und das Blast-Schlagzeug, in der die Breakdowns und die rhythmisch punktierten Gitarrenriffs den sphärischen Klangflächen gleichwertig gegenüber stehen. Ihre 2016 erschiene EP „Pyre“ beginnen sie mit Naturgeräuschen, aus denen sich eine sanft gezupfte Gitarre hinaus schält, die noch über eine ganze Weile dahin klimpern darf, von einer Keyboardlinie und einem zurückgelehnten Schlagzeug begleitet, bevor ein Schrei dazwischen fährt und man das zu Hören bekommt, was man gemeinhin unter Metal versteht. „Unsere Songs thematisieren immer wieder zwischenmenschliche Werte und Ideale sowie einen achtvollen Umgang mit allem in unserer Umgebung“, erklärt die Band, die ihre Musik als einen Anstoß zur heute „oft vernachlässigten Selbstreflexion“ sehe. Man wolle weder, dass sich die Menschheit selbst zerstört, noch, dass der Planet „gegen die Wand“ gefahren werde.
So spielen Ad Nemori also schon rein ideell gesehen in einer anderen Liga als die alten Herren, die derzeit die deutschen Albumcharts bevölkern. Deren sei ihre damalige Wut gegönnt, die hat es da gebraucht, das ist keine Frage. Doch der Achtsamkeits-Metal von Ad Nemori könnte unserer Gegenwart nicht besser entsprechen. Und so sanft, ja beinahe feingliedrig ist diese Musik auch komponiert. Dem Gegrowle von Sänger Raphael Weller stehen in diesen Songs die Keyboards gegenüber, die immer einen schwebenden Gegenpol zum Tiefen und Finsteren bieten, das dieser Musik eigentlich substanziell inne liegt. Die Musik von Ad Nemori gerät folglich in einen permanenten Gegensatz: Das Erhabene der Keyboards wird gegen die Schreie ausgespielt. Die sanft geschlagenen Glitzer-Becken reiben sich an dumpfer Double-Bassdrum-Raserei. Und dabei geschieht etwas Spannendes: Ad Nemori benutzen bekannte Metal-Codes wie die langen Haare, die schweren Gitarren und die harte Musik, sie wissen aber längst, dass diese Codes keine einzige Wahrheit mehr sind. Und so arbeiten sie damit, führen die musikalischen Gedanken fort und fügen neue hinzu. Gerade erarbeiten sie das für ein ganzes Album und suchen einen neuen Schlagzeuger.
Stil: Achtsamkeits-Metal
Besetzung: Raphael Weller (Gesang), Stephan Preißner (Gitarre),
Oliver Pagel (Gitarre), Marco Oberbacher (Bass), Milos Ilic (Keyboard), Schlagzeug aktuell vakant
Aus: München
Seit: 2011
Internet: www.adnemori.bandcamp.com
Text: Rita Argauer
Foto: René Richter