250 Zeichen Wut: U-Bahn fahren

Einsteigen und Handy aus der Tasche holen, bloß keinen Augenkontakt. Unser Autor stört sich an diesem täglichen Ritual und wünscht sich etwas mehr Zwischenmenschlichkeit…

Die U-Bahn ist ein fahrendes Wartezimmer. Keiner spricht. Wir haben 900 Freunde auf Facebook, 700 Follower auf Instagram. Ausgerüstet mit Smartphones, Kopfhörern und Büchern bestreiten wir unseren Weg mehrmals täglich von A nach B. Wir flüchten uns in Musik, Nachrichten und drei-minütigen Videos. Dann befinden wir uns in unseren eigenen geschaffenen Welten. Und diese durchdringt nicht viel.

Vergisst du deine Ausrüstung, so bleibt dir der Blick ins Leere als Abwehr vor Zwischenmenschlichkeit. Eine beklemmende Stille macht sich breit. Vielleicht sind wir gar nicht mehr in der Lage aus der eigenen Blase auszubrechen. Wenn du Glück hast, wird der Zustand der Isolation durch lautes Kindergelächter unterbrochen. Dann atme ich auf. Wir sind noch lebendig.

Text: Eser Aktay

Band der Woche: King Pigeon

King Pigeon begeistert mit Indie-Gitarrenmusik. Ihre Songtexte handeln von
zwischenmenschliche Beziehungen und den großen und kleinen Geschichten, die das Leben so schreibt.

Dass München ein Problem mit Zuordnungen hat, ist nichts Neues. Es gibt hier nicht den einen popmusikalischen Stil, der über die Stadtgrenzen hinaus so bekannt wäre, dass er für die Stadt stehen würde. Münchner Bands müssen sich also mehr über sich selbst als über ihre Stadt vermarkten, wenn sie denn außerhalb der Stadt Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Das letzte Mal, dass die Stadt München eine stilistische Profil-Schärfung im Pop-Sektor aufzuweisen hatte, war vor etwa zehn Jahren.

Da existierte so etwas wie eine münchnerisch-britische Freundschaft, angetrieben von Christian Heine und vollzogen in dessen Club, dem Atomic Café. In der Zeit, als diese neue Welle an Indie- und Britrock-Bands aufrauschte und gitarrengetriebene Musik wieder in den Aufmerksamkeitsfokus gelangte, spielten all diese Bands im Atomic Café, bevor sie irgendwo anders in der Stadt auftraten. Auf die Münchner Szene hatte das einen gewissen Effekt: Bands wie Exclusive, die dem damaligen Namensgebungstrends dieser Bands entsprechend noch The Exclusive hießen, verpackten das gleich in ihre erste Single: „Atomic Atomic“ ging der Refrain, der sich wohl nicht nur auf irgendwelche atomaren Begebenheiten bezog, sondern auch als ein Sehnsuchtsruf in Richtung der Indie-Bühne der Stadt funktionierte. Und während sich Exclusive von dieser Art der Musik im Laufe ihrer Karriere völlig verabschiedeten, gibt es heute immer wieder Bands, die so etwas wie die Nachhut dieses Stils sind.

Das Atomic Café ist mittlerweile geschlossen, früher aber haben dort auch die Bandmitglieder von King Pigeon in ihrer späteren Jugend gelernt, wie Indie-Gitarren-Musik klingt. Und genau solche spielen sie jetzt auch. „Wir sind alle mehr oder weniger in den Nullerjahren aufgewachsen und somit entsprechend musikalisch sozialisiert“, erklären sie, „dadurch sind wir alle am Indie und seinen Facetten hängen geblieben.“ Also schreiben sie Lieder über zwischenmenschliche Beziehungen und die „großen und kleinen Geschichten, die das Leben so schreibt“. Heraus kommt dabei Musik, die die gleiche verschrobene Leichtigkeit atmet, die den Film „Garden State“ zum Feel-Good-Movie der Prä-Hipster-Generation machte. Doch weil die Popkultur sich immer schneller entwickelt, klingt das heute schon fast so nostalgisch wie das klirrende Gitarrenriff, das den Song „My Girl“ auf der ersten EP von King Pigeon eröffnet. Die erschien 2016 unter dem Titel „Sonic Fields“ und darauf findet man alles, was vor zehn Jahren durch den Club in der Neuturmstraße rauschte: etwas vertrackte Liebesgeschichten, treibendes Schlagzeug samt Bass, funkig-kratzige Gitarrenriffs, ein etwas aufgerauter Grundklang und melodiöser Gesang.

Diese Art der Indie-Gitarren-Musik entstand in einer Zeit, unmittelbar nach 9/11. Es ist Musik, die den Feel-Good-Vibe der Neunzigerjahre noch kennt, die jedoch schon ein wenig unter dem, was weltpolitisch darauf folgen könnte, erschaudert. Heute hat sich das verändert, die Attitüde ist deutlich pessimistischer, man geht eher beinahe davon aus, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht. Umso extremer zeigen sich die musikalischen Formen: Sei es überproduzierter Bubblegum-Pop oder düsterste Experimente. Die unbeschwerte Indie-Gitarren-Musik wirkt aus heutiger Sicht beschwichtigend oder wohltuend. Je nach Perspektive. Man kann das auch live erleben, wenn King Pigeon am Samstag, 5. August, beim Free & Easy im Backstage auftreten, bevor sie sich ihrer neuen EP widmen, auf der sie planen, mit etwas Elektronik zu experimentieren. Vielleicht reißt sie die Gegenwart schließlich doch noch an sich.

Stil: Indie / Gitarre
Besetzung: Christian Schön (Gesang, Rhythmusgitarre), Marius Werani (Leadgitarre, Gesang), Fabian Betzmeier (Bass), Moritz Eckermann (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.king-pigeon.com


Text: Rita Argauer

Foto: Sebastian Menacher