Zucht und Ordnung

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Nach der Wohnungsbesichtigung googelt Max den Namen der Vermieterin. „Hier wohnen nur Männer“, hat sie bei der Besichtigung gesagt. „Weiße Männer. Weiße, deutsche Männer.“ Das findet Max beunruhigend. Aber nachdem nichts darauf hinweist, dass seine zukünftige Vermieterin im NPD-Ortsverband sitzt, sagt er zu.

Seine erste Studentenwohnung hat sich Max anders vorgestellt. Sein Zimmer ist mit wackeligen Kinderzimmermöbeln eingerichtet; vor dem Fenster erstrecken sich Münchner Vorstadthäuschen. Er teilt sich das Obergeschoss des Reihenhauses mit drei weißen, deutschen Mitbewohnern. Meistens trifft er jedoch nur seine Vermieterin, die ihr Büro im Erdgeschoss hat und ihn morgens mit ihrem ohrenbetäubenden „Servus“ weckt. Wenn er frühstückt, schrubbt sie den Herd und erzählt davon, wie viel sie zu tun hat: putzen für ihre Mieter, die Facharbeit für ihre Tochter, Pakete annehmen für die Nachbarn. Wie viel Zeit man doch in Max’ Alter hat, seufzt sie dann. Max nickt stumm – er studiert zwei Haupt- und drei Nebenfächer. Um Zeit zu sparen, horcht er morgens an seiner Zimmertür, um gerade dann die Treppe herunter zu flitzen, wenn die Vermieterin telefoniert. Sein Studentenleben hat er sich anders vorgestellt. Die Eltern seiner Freundin sagen zwar immer, er solle nicht so über seine Vermieterin lästern. Aber er kann nicht anders. Er hat sich einfach nicht vorgestellt, dass er nach der ersten Nacht außer Haus von einer resoluten Frau empfangen würde, die ihn fragt, wo er sich herumgetrieben habe.

Als Max nach eineinhalb Jahren auszieht, kann er kaum glauben, dass es vorbei sein soll. Das Auto fährt an, um ihn endgültig von hier weg zu bringen. Fast. Noch einmal kommt seine Vermieterin aus dem Haus gelaufen und winkt energisch. Ein paar Minuten ist es still im Wagen; dann dreht sich der Vater seiner Freundin zu ihm und sagt, mit einem leichten Tremolo in der Stimme: „Ich nehme alles zurück.“ Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.