Spanisch nebenbei

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Münchner im Exil: Ingo Ehrle verknüpft „virtual reality“ mit einem Sprachkurs. Man könnte er auch Computerspiel nennen, aber das will Ingo nicht – das würde potenzielle weibliche
Nutzer abschrecken.

Die Musik erinnert an „Das Vermächtnis der Tempelritter“ oder „Indiana Jones“. Auf dem Bildschirm ist ein animiertes Antiquariat wie aus Harry Potter zu sehen, Grammofon, Teleskop und Kuckucksuhr inklusive. Eine tiefe, raue Männerstimme ertönt: „El libro dice que hay tres puertas en el camino de Santiago. Las llaves abren las puertas. Tu puedes abrir las puertas.“  

Das ist Spanisch und bedeutet übersetzt: „In dem Buch heißt es, dass es drei Türen auf dem Jakobsweg gibt. Die drei Schlüssel öffnen die Türen. Du kannst die Türen öffnen.“ Und damit einem jahrhundertealten Geheimnis auf die Spur kommen, ein spannendes Abenteuer erleben und ganz nebenbei Spanisch lernen, ohne auch nur vom Schreibtisch aufstehen zu müssen. Denn das ist der Anfang des ersten Kapitels eines völlig neuen Sprachlehrbuches: XPLingo.
Ingo Ehrle (Foto: Mara García y Santos), der das Start-up vor einem Jahr gegründet hat, nennt es eine „plattformunabhängige Anwendung“. Computerspiel möchte er nicht sagen, das würde potenzielle weibliche Nutzer abschrecken. Außerdem stehe mehr eine Vision hinter dem Konzept als der Vorsatz, ein Computerspiel oder eine App zu konzipieren. 

In der Schule waren Sprachen nie Ingos Stärke. „Ich war zwar schon gut in der Schule, aber Englisch war immer eher mein schlechtestes Fach“, sagt er. Erst durch ein Auslandsjahr während des Bachelors in Alicante in Spanien wurde ihm bewusst, wie bereichernd Sprachenlernen sein kann. Und wie spielerisch es möglich ist, sobald man Lehrbücher und Grammatikregeln zurück in den Schrank gestellt hat und eintaucht ins echte Leben. „Wenn man persönlich dabei ist, merkt man ja gar nicht, wie man tatsächlich lernt“, sagt Ingo, der auch jetzt gerade in Barcelona lebt und dort mit XPLingo seine erste eigene Geschäftsidee vorantreibt.

Nachdem er einige Zeit für eine Münchner Software-Firma in Barcelona gearbeitet hatte, wollte er irgendwann etwas Eigenes aufbauen. Zurück in München, habe er sich auf die Suche gemacht, um jemanden für „die technische Seite“ zu finden. Über verschiedene Meet-Ups ist er dem Game-Designer José Rodolfo Freitas begegnet. „Er war derjenige, der sofort auf meine Idee mit dem Sprachenlernen eingestiegen ist.“ 

Eine „krasse Leistung“ habe José dann in der folgenden Zeit abgeliefert, das möchte Ingo betonen. Normalerweise wird für die Programmierung von Computerspielen eine sogenannte Game-Engine verwendet, mit der man virtuelle Realitäten erbauen kann. Allerdings existiert keine Game-Engine, die mit Sprache so umgehen kann, wie es für die von Ingo und José entwickelte Anwendung benötigt werden würde. „José hat quasi von zero angefangen“, sagt Ingo.

Ingo ist der Meinung, dass sein Projekt eine völlig neue Art des Sprachenlernens darstellt. „Alle Programme, die es schon gibt, setzen im Grunde auf die genau gleichen, alten Schulbuchmethoden. Das mag auch funktionieren, aber jeder hat nicht nur eine Methode, eine Sprache zu lernen“, sagt Ingo. Und erst wenn man wirklich einen persönlichen, unmittelbaren Zugang zu einer Sprache finde, sie tatsächlich in Situationen anwenden könne, sei dieser Zugang wirklich spielerisch. Also setzt er mit XPLingo auf das derzeit oft beschworene Konzept der „virtual reality“ und lässt seine Nutzer zu Protagonisten in einer Abenteuergeschichte auf dem Jakobsweg werden. Die Reise beginnt im Barrio Gótico in Barcelona, führt durch das ganze Land und bietet Einblicke in die spanische Kultur.

Derzeit steht das erste Kapitel der Abenteuergeschichte um die „Tres Puertas“ zum kostenlosen Download zur Verfügung. Es werden noch Testpersonen gesucht, aber sobald genügend Feedback und auch die nötige Finanzierung aufgebracht worden ist, soll es weiter gehen. Möglicherweise mit einer Crowdfunding-Kampagne, um das nötige Kapital für die Entwicklung weiterer Kapitel aufzubringen. Im Moment finanzieren Ingo und José alles aus eigener Tasche, nehmen anderweitige Aufträge an, um überleben zu können. Nach wie vor stecken sie aber bis zu 80 Prozent ihrer Zeit in das Sprachenspiel, in der Hoffnung, irgendwann davon leben zu können. „Im Moment haben wir nur Spanisch und nur das erste Kapitel, aber letztendlich ist das ausbaubar. Sowohl im Hinblick auf unterschiedliche Zielgruppen als auch auf die unterschiedlichsten Sprachen“, sagt Ingo.

Natürlich: Das non plus ultra im Sprachenlernen kann auch XPLingo nicht sein, das weiß Ingo. Aber für eine Bereicherung und eine innovative Methode hält er sein Produkt auf jeden Fall. Außerdem dient das Spiel einzelnen vielleicht als Anreiz, nicht in der virtuellen Realität hängen zu bleiben, sondern selbst ins Ausland zu gehen.  

Theresa Parstorfer