Kämpfen bis zum Bleiberecht

Seit Arif Abdullah Haidary, 18, in Deutschland lebt, ist für ihn ganz klar, für welches Land er als Karateka antreten will – Aufenthaltsstatus hin oder her.

Arif ist ein Kämpfer. Schon früh hat er gelernt, dass man sich Respekt hart erarbeiten muss – und dass man niemals aufgeben darf, an seine Ziele zu glauben und für die eigenen Werte einzutreten. Selbst dann, wenn man eine gebrochene Nase oder gar das eigene Leben riskiert.

Seit er 13 ist, trainiert Arif Abdullah Haidary, 18, Kyokushinkai. Im Gegensatz zum weit verbreiteten Karate, der völlig auf Körperkontakt verzichtet, kämpft er eine Vollkontakt-Variante. Es zählt zu einem der härtesten Karate-Stile und erfordert ein Höchstmaß an Disziplin. Jetzt bekommt er eventuell die Chance, für Deutschland zu kämpfen – und das, obwohl er nicht weiß, wie lange er hier noch bleiben darf.

In seinem Heimatland Afghanistan seien Kampfsportarten sehr beliebt, vergleichbar mit Fußball in Deutschland, sagt Arif. Nur wenige würden sich jedoch für Karate entscheiden. „Im Karate gibt es viel mehr Regeln als zum Beispiel beim Kickboxen“, sagt er. Ihm haben aber genau diese Regeln und die erforderliche Disziplin besonders gut gefallen: Man müsse pünktlich sein, sich ordentlich kleiden, auf den Trainer hören. „Es ist egal, ob jemand schwarz oder weiß ist oder welcher Religion er angehört – sobald er zum Training kommt, spielt das alles keine Rolle mehr“, sagt Arif, dessen kurzes, schwarzes Haar mit Gel in Form gehalten wird. Er ist nicht besonders groß oder muskulös, aber auf den Wettkampfbildern, die er stolz auf seinem Smartphone zeigt, lassen seine Körperhaltung und sein konzentrierter Blick keinen Zweifel daran, dass Arif im Wettkampf alles gibt.

In Afghanistan hatte Arif bereits den schwarzen Gürtel – die höchstmögliche Auszeichnung – erworben und für das dortige Nationalteam gekämpft. All seine Urkunden und Zertifikate hat er den ganzen beschwerlichen Weg von Afghanistan nach Deutschland transportiert. Es herrscht Krieg, und das einzige, was jemand rettet, sind seine Karate-Urkunden? Was im ersten Moment befremdlich wirkt, ist für den jungen Mann offenbar selbstverständlich. So nimmt jeder mit, was für ihn von Wert ist.

In Deutschland hat Arif wieder bei Null angefangen – in vielerlei Hinsicht. Zumindest beim Karate hat er diese Entscheidung aber selbst getroffen und sich bewusst dafür entschieden, noch einmal neu anzufangen – mit dem weißen Gürtel. Er habe darin eine Möglichkeit gesehen, sein Deutsch zu verbessern, sagt Arif. Wenn er spricht, blicken seine braunen Augen stets freundlich, doch lachen sieht man ihn nur sehr selten. Wie eine scheue Katze scheint etwas in ihm immer auf der Hut zu sein.

Innerhalb der zwei Jahre, die er nun schon mit zwei Brüdern in Deutschland lebt, hat er es erneut geschafft, bis zum braunen Gürtel aufzusteigen.
Im vergangenen Jahr hat Arif bei den German Open in Stuttgart in seiner Altersgruppe den ersten Platz erreicht. In diesem Jahr wird er am 25. November bei den deutschen Meisterschaften antreten, dort kann er sich für internationale Wettbewerbe qualifizieren.

Ein offizielles Nationalteam für die Kampfrichtung Kyokushinkai befindet sich gerade noch im Aufbau. Jeder, der Interesse an einer Teilnahme hat, wird eingeladen. Jedoch würden zu den Wettkämpfen natürlich nur die Besten im Kader geschickt, sagt Stefan Beer, Kyokushin-Trainer von Arif. Als Trainer und Präsident des Vereins KKD, kurz für Kyokushinkai Karate Deutschland, kann Beer das Können von Arif einschätzen. Auf deutscher Ebene rechnet Beer seinem Schützling gute Chancen aus, im internationalen Vergleich aber ist die Messlatte deutlich höher angesetzt, weil es in Ländern wie Polen oder Brasilien Standard ist, dass die Sportler acht Stunden täglich trainieren.

„Von seinem Talent und seinem Herz her hat Arif großes Potenzial“, sagt Beer. Vergessen dürfe man in seinem besonderen Fall aber auch nicht sein Handicap, wie Beer es nennt: Arifs Asylantrag ist auch nach zwei Jahren in Deutschland noch nicht genehmigt, jederzeit könnten die deutschen Behörden entscheiden, dass Arif das Land wieder verlassen muss. Mit einem ungeklärten Aufenthaltsstatus kann Arif deshalb nicht einfach beliebig oft aus- und einreisen. Seine sportliche Karriere bleibt somit schon allein deshalb vorerst auf Deutschland beschränkt.

Dennoch ist Arif ein junger Mann mit großen Plänen. Gerade hat er seinen Abschluss an einer Berufsfachschule gemacht, nun schreibt er Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz als Medientechniker. Zudem arbeitet er mit seinem Bruder an der Umsetzung einer mehrsprachigen Zeitung von und für Flüchtlinge. Nebenbei hat er kürzlich auch noch eine Ausbildung zum Jugendleiter für Karate gemacht.

Seit Arif in Deutschland lebt, ist für ihn ganz klar, für welches Land er kämpft – Aufenthaltsstatus hin oder her. „Ich kämpfe unter deutscher Flagge“, sagt der gebürtige Afghane. Für ihn sei es eine Ehre, für Deutschland anzutreten – und zu gewinnen. Er sehe darin eine Möglichkeit, den Deutschen, die ihm so viel geholfen hätten, etwas zurückzugeben, sagt er.

Dennoch wirkt der sonst so ruhige Arif für einen Moment fast verärgert, als das Thema zur Sprache kommt. Es fällt ihm sichtlich schwer zu verstehen, wie die deutschen Behörden überhaupt darüber nachdenken können, ihn in ein Land zurückzuschicken, in dem ganz offensichtlich Krieg herrscht. „In den Asylverfahren wird in drei Tagen über dein ganzes Leben entschieden“, sagt Arif und schüttelt traurig den Kopf. Bis es zu seiner Anhörung kommt – irgendwann in den nächsten zwei Wochen oder den nächsten zwei Jahren – könnte Arif einfach nur abwarten, doch stattdessen hat er sich dafür entschieden zu kämpfen.

„Vor dem Krieg hatten wir in Afghanistan ein gutes Leben“, sagt Arif. Es gab für ihn und seine Familie keinen Grund zu fliehen. Sein Vater ist Herausgeber einer Tageszeitung in Afghanistan, und auch Arif und seine Brüder haben für die Zeitung als Journalisten gearbeitet. Am Ende war genau jene Arbeit der Grund für ihre Flucht: Eines Tages explodierte im Auto des Bruders eine Bombe, als sie gerade auf dem Weg zur Arbeit waren. „Wir hatten alles – nur keine Sicherheit mehr“, sagt Arif, dessen rechte Wange seitdem von einer Narbe gezeichnet ist. Der Vater befahl ihnen zu fliehen, aber er gab ihnen auch eine wichtige Lektion mit auf den Weg: „Ein Journalist hat nur seinen Stift als Waffe – aber diese Waffe muss er nutzen.“

Arif hat sich diesen Satz sehr zu Herzen genommen. Seit er in Deutschland ist, arbeitet er ehrenamtlich beim Radio Feierwerk für das Format Munich International Radio, engagiert sich in verschiedenen Flüchtlingsinitiativen wie Mut Bayern und arbeitet nach wie vor als Auslandsreporter für die Zeitung seines Vaters, die über die Lage von Afghanen in Deutschland berichtet. Dass die Wahrheit in einem Kriegsland einen hohen Preis haben kann, weiß er, das hat er am eigenen Leib erfahren – abgehalten hat es ihn noch nie. Ein Kämpfer bleibt eben ein Kämpfer – im echten Leben und auf der Matte.

Text:
Jacqueline Lang 

Foto: Robert Haas

Das Recht auf die Welle

Valeska Schneider, 24, will sich für das deutsche Nationalteam der Surfer qualifizieren. Sie muss tough sein, um sich im Wasser gegen Männer durchzusetzen – und träumt davon, bei Schneefall auf dem Brett zu stehen.

Valeska sitzt auf der Riffkante und beobachtet konzentriert die Wellen. Auch nach vier Jahren auf dem Surfboard fällt es ihr gelegentlich noch schwer, die richtige Welle zu erkennen. Manchmal sei es aber auch reine Kopfsache, sagt Valeska, deren Haare durch die ständige Kombination aus Meerwasser und Sonne ganz blond geworden sind. Der nötige Mut und das eigene Können hätten beim Surfen deshalb nicht immer etwas miteinander zu tun. So beschreibt Valeska einen ganz normalen Tag in ihrem Leben als Surferin.

Valeska Schneider, 24, hat erst vor vier Jahren mit dem Surfen begonnen – und das, obwohl sie dieser Sport schon immer fasziniert hat. Mit 20 hat sie eine Weltreise gemacht und viele Surfer-Hotspots wie die Fidschi-Inseln bereist. Aber erst bei einem ihrer letzten Stopps, Australien, hat sie die Füße auf ein Surfboard gestellt – im Nachhinein ärgert sie sich, dass sie nicht schon auf den Fidschi-Inseln mit dem Surfen angefangen hat. Anfangs war nur ein Viertageskurs geplant. Daraus wurde schnell ein einmonatiger Intensivkurs und weitere vier Monate, in denen sie als Praktikantin für das Surf-Camp gearbeitet hat. In ihrer Freizeit hat sie sich jede freie Minute auf die Suche nach der perfekten Welle gemacht. Ehrgeizig, wie sie ist, hat sich Valeska schnell verbessert.

Ehrgeizig ist sie aber nicht nur beim Surfen: Wenn sie nicht gerade einen ihrer beiden Trainer auf den Kanaren besucht, studiert sie an der TU München Management im Master. Ihren Bachelor hat sie in Sportwissenschaften gemacht. In Zukunft will sie beides miteinander verknüpfen und im Sportmanagement arbeiten. An eine Karriere als Profi-Surferin glaubt Valeska nicht mehr. Dafür habe sie ein bisschen zu spät angefangen, sagt sie. Und dazu ist der Sport in Deutschland auch nicht bekannt genug. Sie könnte sich aber gut vorstellen, irgendwann nach Australien auszuwandern. Dort könnte sie dann vor der Arbeit noch eine Runde surfen. Karriere und Leidenschaft zu verbinden – für Valeska ist das ein großer Traum. Momentan führt sie meistens aber noch „mehr oder weniger zwei Leben“: eines in den Semesterferien, wenn sie Welle nach Welle reitet. Und das andere während des Semesters, wenn sie als „Vollzeit-Streber“, wie sie sich selbst nennt, in der Bibliothek sitzt und lernt.

Zumindest zeitweise kann Valeska diesen Traum dennoch leben: Ein Stipendium ermöglicht ihr momentan ein Studium an der Universität in Melbourne. Um in ihrer studienfreien Zeit möglichst viel Zeit mit dem Wellenreiten verbringen zu können, lebt sie nicht direkt in Melbourne, sondern an der Surf Coast. Dort werden am Bells Beach regelmäßig Wettkämpfe von einer Sportbekleidungsmarke ausgetragen. Die Firma, deren deutscher Ableger Valeska sponsert, hat sich dort gegründet. Insgesamt hat Valeska drei Sponsoren. Zum Leben reicht das noch nicht, aber immerhin muss sie für ihr kostspieliges Hobby nicht draufzahlen. Die Sponsoren ermöglichen ihr ein kostenloses Training im Fitnessstudio und stellen ihr die Ausrüstung.

Surfen ist, wie viele körperlich anspruchsvolle Sportarten, immer noch eine Männerdomäne. Valeska glaubt, dass unter den Surfern maximal zehn Prozent Frauen sind. Gründe hierfür kann sie nicht genau benennen. Sie glaubt aber, dass es vielen Frauen an Ausdauer mangelt. „Man muss ein bisschen tough sein“, sagt die zierliche Münchnerin mit den blau-grauen Augen.

Selbstbewusstsein ist auch dann wichtig, wenn man sich gegen die männlichen Surfer-Kollegen behaupten will. Allerdings kann es manchmal auch von Vorteil sein, eine Frau zu sein: Ein ungeschriebenes Gesetz unter Surfern lautet, dass man nicht in eine Welle „reindroppen“ darf. Wenn ein Surfer bereits auf der Welle ist, darf also ein anderer Surfer nicht die gleiche Welle nehmen. Bei Frauen wird aber eine Ausnahme gemacht. Andererseits neigen viele Surfer auch dazu, Frauen zu unterschätzen, und wollen ihnen die Wellen streitig machen. Am Ende ist es immer der Kampf um das Recht auf die Welle.

Auch am Münchner Eisbach muss man sich das Recht auf die Welle erkämpfen. Nur wer stehen bleibt, darf weitersurfen. Obwohl das Surfen auf einer stehenden Welle nur schwer mit dem Surfen im Meer vergleichbar ist, trainiert Valeska mittlerweile oft dort, wenn sie in München ist. Vor allem für die Balance und das Paddeltraining findet sie das Training dort sinnvoll. Denn egal, ob sie gerade auf dem Long-board oder auf dem Shortboard steht – ohne regelmäßiges Training geht es auch bei lässigen Surfern nicht. 

Bis kurz vor dem Wettkampf im französischen Seignosse im vergangenen Jahr hat die ewig braungebrannte Valeska immer nur mit ihrem Shortboard trainiert. Trotzdem ist sie dann gleich mit dem Longboard angetreten und hat den ersten Platz gewonnen. Valeska sagt das fast beiläufig, so als wäre das nichts Besonderes. Was der Unterschied zwischen Shortboard und Longboard ist? Longboards müssen mindestens neun Fuß lang sein, erklärt Valeska. Umgerechnet sind das fast drei Meter. Manöver wirken daher oft träge. Das Board ist nicht so wendig. Tricks wie der sogenannte cross-step sind dafür nur auf einem Longboard möglich. Der Surfer läuft hierbei überkreuz bis an die Spitze des Brettes, die im Fachjargon „nose“ genannt wird. Auch Wellen kann man mit dem langen Board besser nehmen. Auf eine der beiden Surfboard-Arten festlegen möchte sich Valeska aber nicht. Deshalb tritt sie auch in diesem Jahr in Frankreich mit beiden Brettern an.

Der Surfsport in Deutschland hat im internationalen Vergleich eine recht geringe Anhängerzahl. Dementsprechend wenige Wettkampfmöglichkeiten gibt es für eine junge Surferin wie Valeska. Das Nachwuchstalent hat sich die Ziele daher gleich hoch gesteckt: die deutschen Meisterschaften. Damit einher geht die Qualifikation für das deutsche Nationalteam. Sollte das nicht klappen, hat sie aber auch noch andere Ziele, die sie in ihrem Leben als Surferin erreichen will: In Peru auf der „längsten linken Welle der Welt“ surfen. Und sie möchte auch mal in Island surfen. Am liebsten, wenn es schneit. 

Fotos: Michael Heinisch, Tamasha Ginige, Inken Salhofen

Von: Jacqueline Lang