Das Recht auf die Welle

Valeska Schneider, 24, will sich für das deutsche Nationalteam der Surfer qualifizieren. Sie muss tough sein, um sich im Wasser gegen Männer durchzusetzen – und träumt davon, bei Schneefall auf dem Brett zu stehen.

Valeska sitzt auf der Riffkante und beobachtet konzentriert die Wellen. Auch nach vier Jahren auf dem Surfboard fällt es ihr gelegentlich noch schwer, die richtige Welle zu erkennen. Manchmal sei es aber auch reine Kopfsache, sagt Valeska, deren Haare durch die ständige Kombination aus Meerwasser und Sonne ganz blond geworden sind. Der nötige Mut und das eigene Können hätten beim Surfen deshalb nicht immer etwas miteinander zu tun. So beschreibt Valeska einen ganz normalen Tag in ihrem Leben als Surferin.

Valeska Schneider, 24, hat erst vor vier Jahren mit dem Surfen begonnen – und das, obwohl sie dieser Sport schon immer fasziniert hat. Mit 20 hat sie eine Weltreise gemacht und viele Surfer-Hotspots wie die Fidschi-Inseln bereist. Aber erst bei einem ihrer letzten Stopps, Australien, hat sie die Füße auf ein Surfboard gestellt – im Nachhinein ärgert sie sich, dass sie nicht schon auf den Fidschi-Inseln mit dem Surfen angefangen hat. Anfangs war nur ein Viertageskurs geplant. Daraus wurde schnell ein einmonatiger Intensivkurs und weitere vier Monate, in denen sie als Praktikantin für das Surf-Camp gearbeitet hat. In ihrer Freizeit hat sie sich jede freie Minute auf die Suche nach der perfekten Welle gemacht. Ehrgeizig, wie sie ist, hat sich Valeska schnell verbessert.

Ehrgeizig ist sie aber nicht nur beim Surfen: Wenn sie nicht gerade einen ihrer beiden Trainer auf den Kanaren besucht, studiert sie an der TU München Management im Master. Ihren Bachelor hat sie in Sportwissenschaften gemacht. In Zukunft will sie beides miteinander verknüpfen und im Sportmanagement arbeiten. An eine Karriere als Profi-Surferin glaubt Valeska nicht mehr. Dafür habe sie ein bisschen zu spät angefangen, sagt sie. Und dazu ist der Sport in Deutschland auch nicht bekannt genug. Sie könnte sich aber gut vorstellen, irgendwann nach Australien auszuwandern. Dort könnte sie dann vor der Arbeit noch eine Runde surfen. Karriere und Leidenschaft zu verbinden – für Valeska ist das ein großer Traum. Momentan führt sie meistens aber noch „mehr oder weniger zwei Leben“: eines in den Semesterferien, wenn sie Welle nach Welle reitet. Und das andere während des Semesters, wenn sie als „Vollzeit-Streber“, wie sie sich selbst nennt, in der Bibliothek sitzt und lernt.

Zumindest zeitweise kann Valeska diesen Traum dennoch leben: Ein Stipendium ermöglicht ihr momentan ein Studium an der Universität in Melbourne. Um in ihrer studienfreien Zeit möglichst viel Zeit mit dem Wellenreiten verbringen zu können, lebt sie nicht direkt in Melbourne, sondern an der Surf Coast. Dort werden am Bells Beach regelmäßig Wettkämpfe von einer Sportbekleidungsmarke ausgetragen. Die Firma, deren deutscher Ableger Valeska sponsert, hat sich dort gegründet. Insgesamt hat Valeska drei Sponsoren. Zum Leben reicht das noch nicht, aber immerhin muss sie für ihr kostspieliges Hobby nicht draufzahlen. Die Sponsoren ermöglichen ihr ein kostenloses Training im Fitnessstudio und stellen ihr die Ausrüstung.

Surfen ist, wie viele körperlich anspruchsvolle Sportarten, immer noch eine Männerdomäne. Valeska glaubt, dass unter den Surfern maximal zehn Prozent Frauen sind. Gründe hierfür kann sie nicht genau benennen. Sie glaubt aber, dass es vielen Frauen an Ausdauer mangelt. „Man muss ein bisschen tough sein“, sagt die zierliche Münchnerin mit den blau-grauen Augen.

Selbstbewusstsein ist auch dann wichtig, wenn man sich gegen die männlichen Surfer-Kollegen behaupten will. Allerdings kann es manchmal auch von Vorteil sein, eine Frau zu sein: Ein ungeschriebenes Gesetz unter Surfern lautet, dass man nicht in eine Welle „reindroppen“ darf. Wenn ein Surfer bereits auf der Welle ist, darf also ein anderer Surfer nicht die gleiche Welle nehmen. Bei Frauen wird aber eine Ausnahme gemacht. Andererseits neigen viele Surfer auch dazu, Frauen zu unterschätzen, und wollen ihnen die Wellen streitig machen. Am Ende ist es immer der Kampf um das Recht auf die Welle.

Auch am Münchner Eisbach muss man sich das Recht auf die Welle erkämpfen. Nur wer stehen bleibt, darf weitersurfen. Obwohl das Surfen auf einer stehenden Welle nur schwer mit dem Surfen im Meer vergleichbar ist, trainiert Valeska mittlerweile oft dort, wenn sie in München ist. Vor allem für die Balance und das Paddeltraining findet sie das Training dort sinnvoll. Denn egal, ob sie gerade auf dem Long-board oder auf dem Shortboard steht – ohne regelmäßiges Training geht es auch bei lässigen Surfern nicht. 

Bis kurz vor dem Wettkampf im französischen Seignosse im vergangenen Jahr hat die ewig braungebrannte Valeska immer nur mit ihrem Shortboard trainiert. Trotzdem ist sie dann gleich mit dem Longboard angetreten und hat den ersten Platz gewonnen. Valeska sagt das fast beiläufig, so als wäre das nichts Besonderes. Was der Unterschied zwischen Shortboard und Longboard ist? Longboards müssen mindestens neun Fuß lang sein, erklärt Valeska. Umgerechnet sind das fast drei Meter. Manöver wirken daher oft träge. Das Board ist nicht so wendig. Tricks wie der sogenannte cross-step sind dafür nur auf einem Longboard möglich. Der Surfer läuft hierbei überkreuz bis an die Spitze des Brettes, die im Fachjargon „nose“ genannt wird. Auch Wellen kann man mit dem langen Board besser nehmen. Auf eine der beiden Surfboard-Arten festlegen möchte sich Valeska aber nicht. Deshalb tritt sie auch in diesem Jahr in Frankreich mit beiden Brettern an.

Der Surfsport in Deutschland hat im internationalen Vergleich eine recht geringe Anhängerzahl. Dementsprechend wenige Wettkampfmöglichkeiten gibt es für eine junge Surferin wie Valeska. Das Nachwuchstalent hat sich die Ziele daher gleich hoch gesteckt: die deutschen Meisterschaften. Damit einher geht die Qualifikation für das deutsche Nationalteam. Sollte das nicht klappen, hat sie aber auch noch andere Ziele, die sie in ihrem Leben als Surferin erreichen will: In Peru auf der „längsten linken Welle der Welt“ surfen. Und sie möchte auch mal in Island surfen. Am liebsten, wenn es schneit. 

Fotos: Michael Heinisch, Tamasha Ginige, Inken Salhofen

Von: Jacqueline Lang