Zufallsstudium: Innocent zu Innozenz

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Was studiert der Junge mit den Dreadlocks eigentlich? Welchen Kurs besucht das Mädchen, das in der U-Bahn neben uns saß? Woche für Woche folgen wir fremden Studenten zum „Zufallsstudium“. Dieses Mal: Philipp verschlägt es in eine Vorlesung über die Geschichte der Kirche im Mittelalter: Päpste, Konzilien und Seniorenstudenten. Und das am Dienstagmorgen.

Renter kommen nicht zu spät. Zumindest ist
das die Erklärung, die ich mir dafür gesucht habe, dass die Vorlesung, in die
ich am Dienstagmorgen reingestolpert bin, erst nach ungefähr 20 Minuten ein
ausgewogenes farbig/grau-Verhältnis, im Hinblick auf die Haarfarbe der Zuhörer, aufweißt. Zugegeben, die Vorlesung trägt auch den Titel “Die
mittelalterliche Kirche: Strukturen – Lebensformen – Weltbilder”, nicht
unbedingt das Thema, das einen täglich umtreibt. Aber nun gut, wie bin ich hier
eigentlich gelandet?

Seit
ich im Master bin, haben sich die Anfangszeiten meiner Uni-Veranstaltungen
angenehm nach hinten verlagert. Vor 10 Uhr läuft da normalerweise gar nichts.
Umso ehrgeiziger ist mein Unterfangen, Dienstag um 08 Uhr eine zufällige
Vorlesung zu besuchen. Selbstverständlich vertrödele ich die Zeit in der Früh
und muss dann mit meinem Fahrrad eindeutig zu schnell durch die von Gefahren
(Autos, andere Radler, Kinderwägen) gesäumte Strecke zur Uni radeln. An der Uni
bin ich dann zwar pünktlich, aber die meisten Leute sind wohl schon in ihre
Veranstaltungen gegangen. Vor dem LMU Hauptgebäude stehen nur einige
versprengte Studenten.

Eigentlich hätte ich Lust mir mal eine
literaturwissenschaftliche Vorlesung anzuhören, ich suche deshalb Studenten,
die wie Germanisten oder ähnliches aussehen. Leider habe ich gar keine Ahnung,
wie genau sich das darstellen könnte, deshalb gehe ich einfach einer Studentin
mit langen, braunen Haaren und sommerlichem Tanktop hinterher. Vielleicht
studiert sie ja tatsächlich irgendwas mit Literatur?

Bekanntlich lande ich dann aber in einer
geschichtlichen Vorlesung zur mittelalterlichen Kirche, naja, vielleicht gibt
es nächstes Mal Literatur, jetzt geht es erstmal um den Papst. Dem Dozenten ist
es zunächst wichtig zu betonen, dass es bisher nur männliche Päpste gab und der
Film “Die Päpstin” ins Reich der Fabeln gehören dürfte, schade
eigentlich. Was folgt ist ein Husarenritt durch die Geschichte des Pontifikats,
wobei ich froh bin, dass ich mir die ganzen Fakten nicht für irgendwelche
Klausuren merken muss. Denn ich kann mir gut vorstellen, dass man mit den
ganzen Gregors und Innozenzens irgendwann mehr als nur ein bisschen verwirrt
sein könnte.

Andererseits eignet sich die Vorlesung
bestens um einige historische Ereignisse, die gerne mal in Debatten oder
Feuilletonartikeln rumschwirren, einordnen zu können. Während mir der
Investiturstreit zumindest aus der Schule noch irgendwie ein Begriff ist, weiß
ich erst nach der Vorlesung, was es mit der babylonischen Gefangenschaft in Avignon
auf sich hatte. Und auch wer schon immer wissen wollte, was genau ein Konzil
ist und was es denn zu sagen hat, sollte sich die Vorlesung mal anhören. Mit
Marsilius von Padua hat sogar ein alter Bekannter aus meinem eigentlichen
Studiengang einen kurzen Gastauftritt, hier fühle ich mich schon fast wie zu
Hause.

Immer wieder geht es um Begriffe und
Themen, die auch heute noch relevant sind, ob es jetzt Mönche oder Eremiten sind. Und auch die Lebensweise der Mönche hat sich über Jahrhunderte hinweg relativ
konstant entwickelt und weißt auch noch heute Spuren der Antike auf.
Beeindruckend ist es also schon, dass Entwicklungen und Vorschriften aus dem
Mittelalter selbst bis in unsere moderne, unruhige Zeit reichen. Ein bisschen
Demut fühlt man dann doch nach der Vorlesung, nicht aus religiösen Gründen, sondern schlicht wegen der Wirkungsmacht von zwei Jahrtausenden
Menschheitsgeschichte. Ganz schön viel für einen Dienstag Morgen….

Von: Philipp Kreiter

Foto: Lukas Haas