Vertraute Töne

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Dudelsack, Trompete oder Klavier: In der Stadt erfährt man von seinen Nachbarn oft nur, wann sie worauf welche Lieder erklingen lassen. 

Der Inhaber der Dönerbude unter Rosalis Wohnung ist neidisch. Wenn das Dudelsackgedudel beginnt, kann Rosali sich ihre Doktorarbeit unter den Arm klemmen und damit in die Staatsbibliothek umziehen. Er selbst kann leider nicht seinen Dönerspieß schnappen und ihr folgen. Er ist den Musikübungen des Nachbars hilflos ausgeliefert.

In der Stadt weiß man für gewöhnlich nicht viel von seinen Nachbarn, aber man weiß, welche Instrumente sie spielen – leider meist erst nachdem man eingezogen ist. Ich selbst habe Glück: Über mir spielt nur jemand sehr professionell Klavier. Max’ Wohnheimnachbar hingegen übt nicht ganz so versiert Marschlieder auf seiner Trompete – und das bevorzugt am frühen Morgen oder späten Abend. Blasinstrumente sind sowieso besonders gefährlich. Ich werde nie verstehen, warum man Grundschulkinder massenweise Blockflöte lernen lässt – das einzige Instrument, das nicht mal dann gut klingt, wenn man es auch wirklich spielen kann.

Wie gesagt: In der Stadt erfährt man von seinen Nachbarn oft nur, wann sie worauf welche Lieder erklingen lassen. Trotzdem hat man bald das Gefühl, sehr viel mehr über diese Menschen zu wissen. Das beginnt beim Geschlecht: Max und Rosali sprechen im Bezug auf die Dudelsack- und Trompetenklänge immer unmissverständlich von ihrem Nachbarn im Maskulin, ich hingegen habe – gar nicht mal bewusst – beschlossen: Die melancholischen Klavierstücke von oben stammen von einer jungen Frau. Inzwischen bilde ich mir ein, ihr Lieblingslied zu kennen und Rückschlüsse auf ihre Stimmung ziehen zu können. Eigentlich sind wir fast schon alte Freundinnen.

Und dann kommt der Putzlappen. Oh, dieser wundervolle Putzlappen, der aus ihrer Wohnung segelt und auf dem Fensterbrett meines Mitbewohners landet – endlich ein Anlass zum Klingeln! Die Rückkehr meines Mitbewohners bringt jedoch die Ernüchterung. Ein Mann habe aufgemacht, sagt er, sehe ein bisschen aus wie ein Rocker. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.