Verguckt und vergurkt

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Der Herbst könnte eigentlich förderlich für die Liebe sein, sollte man meinen. Nachdem Millie das wahre Gesicht von Anton kennengelernt hat, bleiben ihr wenigstens die Laubhaufen – um an ihnen ihren Frust abzulassen.

Millie hasst Herbst. Das einzige, was der Herbst anzubieten hat, seien die Zeitumstellung und der Sommerschlussverkauf, erklärt sie mir. Und der finde im Grunde ja eh immer schon im August statt. Ansonsten sei der Herbst kalt, nass und alles in allem schlicht unnötig. Dabei hatte Millie vor einer Woche selbst noch behauptet, nichts wäre schöner als ein sonniger Nachmittagsspaziergang durch raschelndes Goldlaub. Damals beinhaltete der Spaziergang freilich auch noch Anton. Zumindest in Millies Vorstellung. Anton war der Wahnsinn. Zumindest laut seines Onlineprofils. Das hatte Millie über den Freund eines Freundes einer Freundin entdeckt.

An dieser Stelle sei gesagt, dass Millie im Grunde ein vernünftiges Mädchen ist. Ihre Männer hat sie bisher immer mit so viel Sorgfalt ausgewählt, wie Bio-Yuppies sie nicht einmal bei der Wahl ihres Brotzeitschinkens an den Tag legen. Trotzdem erlitt sie beim Anblick von Online-Anton einen akuten Anfall von „Wir sind nur einmal jung“-Manie, ließ alle Vorsicht fahren und verabredete sich mit ihm. Eigentlich fand sie es auch nur vernünftig, sich mit einem Wildfremden für ein Blind Date zu treffen. Schließlich war ihr von Anfang an klar, dass dieser Unbekannte der Vater ihrer zukünftigen Kinder sein würde. Natürlich erst nach romantischer Annäherung, liebevoller Zweisamkeit, der Traumhochzeit und dem Kauf einer schnuckeligen Doppelhaushälfte am Münchner Stadtrand. Denn so würde es schließlich laufen mit diesem ihrem Anton. Wie auch sonst.

Passend zu Millies Stimmung strahlt die Sonne, als sie wenige Tage später an der Tram-Station auf Anton wartet, um mit ihm einen Herbsttag zu genießen, wie er im Buche steht. Als er endlich ankommt, sieht er noch besser aus als im Internet. „Herbstsonne steht Dir“, sagt Millie und schaut verlegen auf den Boden. „Weiß ich“, sagt Anton und gafft einer hübschen Blonden hinterher, die mit ihm aus der Tram ausgestiegen war. Als er sich dazu bequemt, seinen Blick auch mal auf Millie zu richten, zeigt er sich enttäuscht. „Ich hatte gehofft, Du wärst vielleicht schärfer als auf Deinen Online-Fotos“, sagt er.

Den Nachmittagsspaziergang unternimmt Millie dann allein. Wenn Anton der Vater ihrer zukünftigen Kinder ist, dann wird sie lieber alleinerziehend. Fast zwei Stunden verbringt sie damit, an goldroten Laubhaufen ihren Frust auszulassen. Wenigstens ist ja bald Zeitumstellung. Lisi Wasmer

Mal ehrlich: Jeder junge Mensch ist auf der Suche. Nach Liebe. Nach einem Lebensabschnittsgefährten. Vielleicht nach einer Affäre. Das Problem: Sobald sich das Leben um mehr als nur eine Person dreht, wird es verzwickt – eine Kolumne über die Tücken der Partnersuche. „Beziehungsweise“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Bei Krause zu Hause“.
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Lisi Wasmer setzt sich in ihrer Kolumne mit allen Tücken der Partnersuche auseinander. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gibt uns Lisi Einblicke in verschiedenste Beziehungen. Die Lektüre endet bei uns oft mit Tränen in den Augen – sei es vor Lachen, Freude oder Traurigkeit.