Von Freitag bis Freitag München – Unterwegs mit Matthias

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Matthias ist wieder da! Endlich! Mitgebracht hat er Veranstaltungstipps für die dröge zweite Semesterwoche. Und eine seltsame Ersti-Obsession.

München hat mich wieder. Der Semesterbeginn begrüßt mich – nass, grau, und
viel zu viele Erstis. Die werden auch immer kleiner, oder? Naja,
vielleicht werd ich größer. Auf jeden Fall bin ich schon erkältet. Ich hab da
eine Theorie – früher wurden doch nach den Sommerferien auch erstmal alle
krank. Ich glaub, die Erstis bringen die Krankheiten von den Schulen mit!
Spielen den ganzen Sommer im Matsch, und verbreiten dann ihre fiesen Viren in
den U-Bahnen der Welt – unerhört. Jedenfalls nehm ich mir das zu Herzen, und
setz mich im Bus zum Feierwerk alleine in eine Ecke, mit Handschuhen und
Halstabletten. Im Farbenladen stellen Bianca Bättig und Franziska Schrödinger am Freitag ihre neue Fotoserie vor – Antworten in Bildern
heißt sie, und das hat mich gereizt. Ich will auch Antworten haben – warum
werden die Erstis immer kleiner? Warum spielen die im Matsch?
Anstecken kann ich wenigstens keinen, diese Künstler sind ja eh alle krank.

Samstagmorgen. Ich trink Tee, die Sorte die seit 3 Jahren im
Regal steht. Ich trink nämlich nie Tee, nur wenn ich krank bin, und schon
alleine deshalb weigere ich mich meistens, das Grünzeug anzurühren. Verwirrend.
Ich hab meine Antworten auch zum Teil nicht bekommen gestern, also geht die
Suche heute weiter. Ich bleib dabei – die Kunst kann alle meine Fragen
beantworten! Hoffentlich…denn heute ist Lange Nacht der
Münchner Museen
, und da gehen alle hin. Auch die Erstis. Soll ich gleich an
der Quelle fragen, warum die so klein sind? Nee…dann erzählen die der Mama an
Weihnachten, München wär voll von erkälteten Dauerstudenten, die einen im Haus
der Kunst aufs Übelste wegen ihrer Größe beschimpfen! Und das wollen wir
ja nicht. Tee hat zumindest etwas geholfen, also zieh ich durch die Museen der
Stadt, auf der Suche nach Antworten. Bilder im Kopf, Fragen im Herzen, Weißwein
in der Wasserflasche.

Die Museen waren ziemlich voll. Voll mit kranken Menschen. Da waren Leute
total erkältet, und trotzdem mit den Öffentlichen unterwegs! Unverschämtheit,
wer macht denn sowas? Oh…na gut, aber man kann sich ja nicht immer daheim
verstecken. Ausser heute, da geht das. Es regnet, aber das ist normal im
Oktober. Oktoberwetter. Heute am Sonntag
steh ich nicht auf. Gut, dass Arte wieder eine neue Folge von Gomorrha in
der Mediathek hochgeladen hat. Vielleicht hat die Mafia ja Antworten für mich.
Ich freue mich über solche faulen Tage: Zeit für mich und Arte, den Regen aus
dem Trockenen verfolgen und keine Erstis sehen. Life is gooooood.

Es ist leider unausweichlich. Die zweite Semesterwoche nervt traditionell
immer, aus mehreren Gründen. Erstens, kann man sich nicht mehr vor den Kursen
drücken, Einführung ist ja vorbei. Zweitens, nach der Erstiwoche glauben die
kleinen Racker, sie wären schon alte Hasen; und schon gibt‘s keine Butterbrezn
mehr beim Müller. Und drittens, die Sommerschuhe sind spätestens jetzt für‘n
Arsch. Ich schau also mal beim Hausflohmarkt im Provisorium vorbei. Nicht um
gebrauchte Schuhe zu kaufen. Nur gucken, nicht anfassen, das hat der alte Rudi
schon immer gesagt. Es stellt sich also in der zweiten Semesterwoche so langsam
wieder der Alltag ein, und das ist doch auch schön. Aber nicht so schön wie der
Mix an Kleidung, alten Disney-Kassetten und sonstigem Kram, der am Montag beim Flohmarkt
rumsteht. Ich grab mich durch das Angebot. Vielleicht ist ein Kaufrausch genau
das, was meine Fragen beantworten kann?

War es nicht. Ich hab jetzt drei neue Schals und ein Sacko, das Reiner Calmund
zu klein gewesen wäre. Angeblich trägt man das jetzt so. Egal, ich weiß immer
noch nicht, warum die Erstis immer kleiner werden. Mit Gleichgesinnten
philosophiert man ja ganz gut, wenn man sich grad nicht streitet. Drum such ich
heute Menschen auf, die auch nach Antworten suchen. Im Lost Weekend findet am Dienstag der Vierte Salon statt,
unter dem Motto „Big
Data is Watching“
. Eine Gruppe von Autoren und Aktivisten um Keto von
Waberer und Marion  Schwehr diskutiert über
den Einfluss der Datenkrake auf den künstlerischen Entstehungsprozess. Ich bin
gespannt, vor allem auf die Fragerunde. Irgendwie nimmt keiner meine Frage
ernst. Versteh ich nicht ganz. Wenn die NSA mir nicht weiterhelfen kann, wer
dann? Datenkrake, schick mir einen Whistleblower!

Langsam, aber sicher hab ich am
Mittwoch
das Gefühl, ich werde besessen. Die Fragen schwirren mir durch den
Kopf, und ich hab nur Fragezeichen auf den Augen. Nicht mal Dollerzeichen,
Fragezeichen – bin ich krank? Oder doch nur Künstler? Wie dem auch sei, Kunst
und Wissenschaft haben bisher versagt. Was bleibt? Musik, zum Beispiel. Schon
die anderen großen Köpfe der Geschichte haben sich von Musik inspirieren
lassen, jetzt bin ich an der Reihe. Ich mach mich auf den Weg zur Singer-Songwriter Open
Stage
im Import Export. Ich fahr erst mal zur alten Location, stark. Also
zurück in den Bus, Richtung Kreativquartier. Die 5 Euro Eintritt sind ganz
okay, und kommen sogar einem Guten Zweck zugute. Lob ich mir, hier wird noch
geholfen. Nur mir nicht. Fragen unbeantwortet, dafür ein paar coole Klänge im
Ohr – fairer Tausch, find ich, und mich auf den Weg nach Hause.

Wenn du mit einem Song im Ohr schlafen gehst, und dich am Morgen noch dran
erinnerst, dann ist es ein guter. Hat einer der Gallagher Brüder mal gesagt,
der verrücktere von den beiden, glaub ich. Ich erinnere mich jedenfalls an zwei
Lieder, und such die Künstler mal in der Soundcloud hoch über uns. Dann
erinnere ich mich aber auch wieder an mein Dilemma, und das stellt die
Gallagher Theorie doch auf den Kopf. Only applicable to music, stand da
jedenfalls nicht dabei. Ich muss abtauchen, weg von den Fragen – ich muss Unter
Deck. Ha, wordplay, baby. Da ist am
Donnerstag
Hardcore
Night
angesagt, mit Hardcore Literatur und Hardcore Gästen, organisiert vom
Label Heyne Hardcore. Genug gehardcored, aber der Abend wird gut. Das Label
steht für Underground-Literatur ohne Berührungsängste. „Von Hunter S. Thompson
zu Sasha Grey“, so macht man Werbung für einen Literaturabend. Gonzoporn,
sicher ganz was feines. Auf jeden Fall ohne Berührungsängste, das ist sicher.

Freitag ist der Tag, heute knack ich das Rätsel. Sasha
Grey hat mich gestern inspiriert! Also, was Karrierewechsel angeht, natürlich.
Dass alles möglich ist, dass alle Fragen irgendwann beantwortet werden. Ich hab
um 14 Uhr Kurs an der Uni, am LMU Hauptgebäude, und danach noch etwas Zeit,
bevor ich zu BBou
& Liquid in den Clap Club
gehe. Ich glaube, eine bessere Gelegenheit
kommt nicht mehr, um mich dem Feind zu stellen. Ich steig aus der U-Bahn, mache
erste unsichere Schritte über den Geschwister-Scholl-Platz. Dann packt mich der
Mut, entschlossen geh ich schnurstracks, ohne Furcht, auf eine ganze Gruppe (!)
Dreikäsehochs hin, und frag! – Erschrocken schauen zwei von denen erst mich an,
dann ungläubig hin und her. Es ist wie bei Spinnen: Die haben mehr Angst vor
uns, als wir vor denen! Oder? Nach einigen Momenten der Stille öffnet ein ganz
kleines, aber wohl sehr starkes Ersti-Exemplar den Mund. Es muss der Anführer
sein. Es sagt: „Alter, deine Zeit ist vorbei. Wir sind die neue Schule, ist
halt so.“ Ich bin etwas perplex, aber es hat mit solcher Zuversicht gesprochen,
dass ich es fast glaube. Ach, jugendlicher Leichtsinn, ich vermisse dich. Sasha
Grey wäre stolz auf diesen Ersti.

Matthias Kirsch