Anja Schaubergers Mutter hat Krebs – jetzt hat die 22-Jährige ein Buch darüber geschrieben, wie man als Tochter damit umgeht. Ein Interview.
Der Gedanke, dass man irgendwann einmal die eigenen Eltern beerdigen muss, ist sicher keiner, mit dem man sich gerne auseinandersetzen möchte. Anja Schauberger (Foto: Stefanie Heider) muss jedoch genau das tun: Als ihre Mutter vor einigen Jahren an Brustkrebs erkrankt, werden Gedanken um Krankheit, vielleicht auch Tod, für die heute 22-Jährige, zum alltäglichen Begleiter. Nun, nachdem ihre Mutter wieder genesen ist, hat die Jungautorin aus ihren Erlebnissen ein Buch gemacht: In „Und wieder Winter“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag) erzählt sie die Geschichte der 18-jährigen Anna, die mit eben dieser Situation konfrontiert wird: Ihre Mutter bekommt schon zum zweiten Mal Krebs – und Anna steht plötzlich vor einem moralischen Konflikt: Darf man das Leben noch genießen, wenn es einem Familienmitglied so schlecht geht?
SZ: Deine Mutter hat zweimal Krebs bekommen. Wie hast du den Moment erlebt, in dem er zum ersten Mal diagnostiziert wurde?
Anja Schauberger: Ich habe damals bei meinem Vater gewohnt und bin deswegen zurück zu meiner Mutter gezogen. Aber eigentlich weiß ich gar nicht mehr, wie das damals war, weil man so schlimme Sachen ja auch verdrängt. Ich glaube, ich habe mit allem anderen gerechnet, nur nicht damit.
Abgesehen von dem Umzug zu deiner Mutter, wie verändert sich nach so einer Diagnose das Alltagsleben?
Damals hat sich, leider, wenig für mich verändert, was im Nachhinein schlecht und gut ist: Ich bin trotzdem ausgegangen, hatte meine Freunde, war selten zu Hause, habe mich mit meiner Mutter gestritten. Manchmal war ich echt launisch und anstrengend. Im Nachhinein bedauere ich, dass ich ihr nicht mehr unter die Arme gegriffen habe. Man nimmt es sich zwar immer wieder vor und dann zieht man es doch nicht so richtig durch. Aber andererseits wäre es auch übertrieben gewesen zu sagen: Ich bleibe jetzt Freitagabend daheim, weil Du hast ja Brustkrebs und dann kümmere ich mich jeden Tag 24 Stunden um Dich. Das hätte sie auch nicht zugelassen. Richtig verändert hat sich erst später etwas.
Wie meinst du das?
Da wurde mir bewusst: Ab dreißig muss auch ich zur Vorsorge. Und vielleicht ist es mit einer Erkrankung nicht getan – wie man ja bei der zweiten Diagnose meiner Mutter gesehen hat. Dadurch lernte ich, die Dinge schon mehr zu schätzen, gerade die Treffen mit meiner Mama.
Wenn ein Elternteil Krebs hat, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass eines der Kinder auch daran erkrankt. Hast du Angst, ebenfalls Krebs zu bekommen?
Natürlich, aber ich werde deswegen jetzt nicht mein Leben umkrempeln. Ich glaube, dass Krebs eine Krankheit ist, die vor allem durch Stress oder eine psychische Belastung verursacht wird. Abgesehen vom Rauchen versuche ich deswegen, gesund zu leben und auf mich zu achten. Der andere Gedanke, der im Raum steht, ist dann auch: Wenn nur einer von uns Krebs bekommt, wünsche ich es dann mir oder meiner Schwester?
Malt man sich Szenarien aus, was passiert, wenn die Mutter tatsächlich stirbt?
Ich kann ich mir das gar nicht vorstellen, das wäre das wirklich Schlimmste, was passieren könnte. Wenn ich schon daran denke, macht mich das sehr traurig, auch wenn ich mich damit irgendwann zwangsläufig auseinander setzen muss.
Ergibt sich aus so einer Krankheit der Druck, früher erwachsen werden zu müssen?
Druck war nicht da, aber ich bin es irgendwie automatisch geworden. Man fragt sich eher: Bin ich vielleicht daran Schuld, dass meine Mama krank ist? Zwei Jahre nachdem ich bei ihr eingezogen bin, hat sie noch einmal Krebs bekommen und dann denke ich schon, dass ich leider dazu irgendwie beigetragen habe.
Was hat dich jetzt, mit dem zeitlichen Abstand, dazu bewegt ein Buch über deine Erlebnisse zu schreiben?
Für mich ist es sehr wichtig, meine Gedanken aufzuschreiben. Dieses Buch war für mich wie eine kleine Therapie. Ich habe dabei noch mal alles so durchlebt, auch wenn im Buch natürlich vieles verändert ist. Aber vor allem finde ich, dass über dieses Thema wahnsinnig wenig gesprochen wird. Ich habe einige Freunde, bei denen die Mutter auch Brustkrebs hatte, aber das habe ich immer erst erfahren, wenn ich selbst von meinen Erfahrungen erzähle. Und da frage ich mich warum? Krebs ist die Krankheit überhaupt, das ist doch seltsam, dass die Leute so wenig darüber sprechen können, so als würde man keine Schwäche zulassen wollen. Das ist ja irgendwie auch ein Eingeständnis. „Meine Mutter hat Krebs“ ist nichts, was man jetzt gerne so groß herumerzählt. Aber das ist auch eine Erziehungssache: Es gibt einfach Menschen, die sehr behütet aufwachsen und denen vorher noch nie etwas Vergleichbares passiert ist, die sind dann schnell emotional überfordert.
Wie war die Kommunikation bei euch?
Bei uns wurde darüber sehr offen geredet. Ich konnte immer zu meiner Mutter kommen, wenn ich eine Frage hatte. Auch wenn sie krank war. Sie war für mich da, hat mich in den Arm genommen, auch wenn ich immer wieder dieselben Fragen gestellt habe, weil ich es noch nicht ganz verstanden hatte. Ich war dann auch bei einer Bestrahlung dabei und habe sie damals auch für ein Fotoprojekt oben ohne fotografiert und da sah man schon, dass die eine Brust kleiner ist.
In der Danksagung deines Buches schreibst du: „Danke an Mama für die vielen Tränen“. Wie geht deine Mutter damit um, dass jetzt viele fremde Leute, einen Teil ihrer Geschichte lesen?
Sie hat kein Problem damit, ich glaube sogar, sie freut sich über das Buch. Sie ist stolz. Das ist das größte Geschenk, das man seiner Mama machen kann. Ich glaube, sie liebt mich seitdem noch ein bisschen mehr.
Also hat das Buch eure Beziehung verbessert?
Total. Deswegen schreibe ich auch von den vielen Tränen: Ich habe ihr, während ich das Buch geschrieben habe, immer wieder ein bisschen was vorgelesen und das ging keine halbe Seite, ohne dass sie nicht in Tränen ausbrach. Sie hat es auch noch immer nicht geschafft, es fertig zu lesen, weil sie einfach bei jeder Seite weinen muss.