Zu seinen deutschen Texten zupft Liann Irish-Folk-Harmonien und erfindet so den Schlager für die Digital-Natives: weniger Kitsch und mehr rohes Gefühl! Das führt fast zwingend zum Vergleich mit einem alten Bekannten…
Udo Lindenberg beschwert sich in „Sonderzug nach Pankow“ über die „ganzen Schlageraffen“, die im Palast der Republik, also in der DDR, singen dürfen, nur er, der selbstbezeichnete „Rocker“, der dürfe das nicht. Ja, damals gab es ja auch noch den anderen Udo, den Udo Jürgens, und dessen Musik zeigte im Gegensatz zu Lindenberg schon sehr deutlich, was hier Schlager ist und was nicht. Heute ist das anders. Fragt man einen jungen Menschen nach Lindenberg, liegt das verfehmende Wort auf der Zunge. Lindenberg, der Schlagersänger.
Wenn nun ein Musiker dieser Generation, für die Lindenberg genauso Schlager wie Jürgens ist, Musik macht, die in Sprachduktus und Bildhaftigkeit der Texte, Lamento mit der Welt und Eingängigkeit der Musik von Lindenberg gar nicht weit entfernt ist, lohnt sich also die Frage, ob das noch Schlager in der abfälligen Bedeutung oder schon wieder ein neuer Blick ist. Denn der Generation, um die es sich hier dreht, ist Lindenberg so fern, dass der junge Blick auf alte Binsenweisheiten nun erneut entstehen kann. Kilian Unger, alias Liann, spielt Gitarre und sprech-singt darauf, erzählt Alltägliches und hat auch überhaupt kein Problem damit, dass es sich um subjektives Alltags-Geschwafel handelt. Ganz im Gegenteil, das kapiert er sogar, etwa wenn er einen Song „Murmeltier“, natürlich nach dem täglich Grüßenden, nennt. Ein Bild ist das, eine kleine Art des Wortspielens, die er in diesem Song gleich zu Anfang benutzt, in dem er aus dem letzten Zug, der einen des Nächtens nach Hause bringen könnte, den nicht gerade wohlschmeckenden letzten Zug aus einer Bierflasche werden lässt. Und da hat Liann tatsächlich ein ähnliches Talent wie Lindenberg, deutsche Texte zu schreiben, deren Inhalt so klar und einfach ist, wie sich das für einen ordentlichen Schlager-Song gehört, und dennoch ein wenig verklausuliert, oder – je nach Betrachtung und Bewertung – auch verkalauert. Der Lindenberg’sche und auch der Liann’sche Schlager ist aber ein anderer als der, der im zur Stadl-Show mutierten Musikantenstadl stattfand. Denn Liann hat – auch wieder wie Lindenberg – einen durchaus berechtigten Zweifel am Idyll. Die Welt, von der Liann erzählt, ist rauer und gleichzeitig aber auch sentimentaler als die Kitsch-Keule des Griechischen Weins.
„Es gibt viele Themen, die mir am Herzen liegen, ich habe Lieder über Liebe, über Kindheit, übers Saufen und Versumpfen, über den Stillstand und die Ziellosigkeit mancher Leute aus meiner Generation, über Gleichstellung in der Liebe“, sagt er. Dazu zupft er die Gitarre, ein wenig in Irish-Folk-Harmonien – ein Eindruck, der sich verstärkt, wenn etwa sein Kumpan Buck Roger dazu Geige spielt. Seine Stimme schwankt zwischen Sing- und Erzählstimme, wehmütige Doppeldeutigkeiten treffen auf Verklärungen, etwa im Song „Eismann“. In einer Zeit, in der Eismann längst Bofrost ist, kann man nicht erwarten, dass der Tiefkühl-Lieferant einen wiedererkennt und die Lieblings-Eissorte in die Hand drückt, bevor man den Wunsch überhaupt geäußert hat. Ein anderes Lied von Liann heißt „Heim“. Darin erzählt er noch viel deutlicher die Schlager-Sehnsucht einer anonymisierten Konsum-Generation. Liann hat den Schlager für die Digital-Natives erfunden. Und den spielt er alleine an seiner Akustik-Gitarre, aber auch mit Band, wie er bei seinem Release-Konzert bewies. Das Panik-Orchester ist bei ihm mit Geige, Kontrabass, Cello und Klavier aber ein Wehmuts-Orchester. Am Samstag, 11. Juni, tritt er bei einem Festival des jungen Residenztheaters auf dem Münchner Marstallplatz auf.
Stil: Songwriter
Besetzung: Kilian Unger (Gitarre, Klavier, Gesang, Songwriting)
Aus: München
Seit: 2011
Aus: München
Internet: www.soundcloud.com/lianmusik
Von: Rita Argauer
Foto: Victoria Schmidt