Je suis Dichter

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Elena Kaufmann, 23, organisiert einen Lyrik-Workshop in Paris: Sprachhindernisse stören nicht, es geht um den Klang

Es mutet wie ein schlechter Sketch an: Hocken fünf Deutsche,
die kein Französisch können, in Paris. Kommen ebenso viele Franzosen, die kein
Deutsch können, setzen sich dazu und reden mit denen – über Lyrik, die sie selbst
geschrieben haben. Nein, sie reden nicht nur, sie übersetzen die Gedichte auch
aus einer Sprache, die sie nicht verstehen, in eine Sprache, die die anderen
nicht verstehen. Und am Ende gibt es dann eine Lesung, bei der sich ein
Publikum anhört, wer was nicht verstanden hat.

Was zunächst etwas absurd klingt, ist Elena Kaufmanns Vision
eines literarischen Arbeitswochenendes: Die 23-Jährige organisiert derzeit
einen Lyrik-Workshop, der Mitte Februar in Paris stattfinden soll. Das Konzept:
Gedichte übersetzen in und aus einer Sprache, die die Teilnehmer kaum bis gar
nicht sprechen. Auf die Idee kommt die Komparatistikstudentin während eines
Auslandssemesters in Paris – die Studentin schreibt schon seit einigen Jahren
im Münchner Lyrikkollektiv Junge Lyrik in der Stadt (July) mit und will das
Schreiben während ihrer Zeit im Ausland nicht ruhen lassen, übersetzt einige
ihrer Texte ins Französische und merkt, wie schwierig das manchmal sein kann.

Unterstützung für den Workshop erhält sie von Mathieu
Gabard, den sie in Paris kennenlernt (Foto: Romuald Nicolas). Mathieu, 29, ist Gemüsehändler und „ein
Typ, der auch findet, dass das Obst dieser Welt zu wenig gestreichelt wurde“,
sagt Elena und grinst. Doch Mathieu mag nicht nur Gemüse, sondern auch das
Schreiben: Zusammen mit Freunden hat der Franzose eine Schreibwerkstatt
gegründet – die École Internationale Supérieure de Poésie Intercontemporaine (EISPI).
Der hochtrabende Name soll Persiflage sein auf jene Grandes Écoles, in denen
Frankreich in alter Tradition seine intellektuelle Elite heranzüchtet. Doch so
ernst, wie der Name klingt, geht es bei jungen Dichtern nicht zu: Der Zugang
der Franzosen zum Schreiben sei ein sehr spielerischer, erklärt Elena – da wird
zusammen an Gedichten geschrieben. Und regelmäßig veranstalten Mathieu und
seine Freunde ein „literarisches Catchen“. Da schreiben dann zwei Autoren live
vor Publikum zu einem Thema gegeneinander an. Die spinnen doch, die Franzosen,
könnte man meinen. Aber in der französischen Literatur hat es solche Experimente
bereits früher gegeben: Schreibtechniken wie die Écriture automatique, bei der
der innere Kritiker ausgeschaltet werden soll, etablierten sich von 1920 an in
der surrealistischen Literatur – und werden – zumindest bei EISPI – auch heute
noch gerne zur Texterzeugung genutzt.

Es ist genau diese Abwechslung, die sich Elena von ihrem
Lyrikworkshop erhofft: In München, erklärt sie, werde sehr viel allein
geschrieben, oft mit dem Druck dahinter, es müsse unbedingt gut werden. Eben
diesen Druck will Elena nun aus dem Schreiben nehmen. „Einfach mal an die
Grenzen der eigenen Sprache gehen und assoziativ mit diesen spielen“ ist ein
Ziel des Workshops, bei dem sich das junge München und das junge Paris begegnen
sollen.

Das spielerische Übersetzen, das Elena sich wünscht, soll
auf zwei Ebenen ablaufen. Einerseits möchte sie ein „assoziatives Übersetzen“
ausprobieren: „Oft schnappt man in einer völlig fremden Sprache zwei oder drei
Wörter auf, die man zu kennen glaubt und schon hat man dazu Ideen“, erklärt
Elena das Konzept.

Auch die Vortragsweise der Lyriker soll die Phantasie der
anderen beflügeln, denn die Hochgestochenheit oder das Understatement, mit der
in anderen Sprachen Gedichte vorgetragen werden, kann man lyrisch durchaus
parodieren. An einer direkten „klanglichen“ Übersetzung wolle man sich während
des Workshops ebenfalls versuchen – übertragen wird also nicht der Inhalt eines
Textes in eine andere Sprache, sondern lediglich dessen Klang, mitunter auch
die Form eines Gedichtes. Elena und Mathieu probieren das derzeit mit
türkischen Gedichten, bei denen wohl immer sehr unterschiedliche Texte
herauskommen. Angenehmer Nebeneffekt: „Man entdeckt in der eigenen Sprache
immer wieder Wörter und Konnotationen, die man vorher wenig genutzt hat“, sagt
die junge Lyrikerin.

Neben dieser Übersetzungsarbeit sollen die Teilnehmer auch
einen literarischen Blick auf die Stadt werfen, in der sie arbeiten: Paarweise
– ein Deutscher, ein Franzose – werden die Autoren losgeschickt an unterschiedliche
Pariser Orte, die sie zu einem Text inspirieren sollen. Dahinter die Frage: Wie
sieht ein Einheimischer die Plätze und Straßen, wie ein Tourist? Gerade in
Zeiten, in denen Paris Synonym für Terror und Je-suis-Charlie-Bekundungen ist,
kann eine solche Nabelschau spannend sein. Am Ende dieses Arbeitswochenendes
sollen dann jene Eindrücke der Stadt zusammen mit den Übersetzungsversuchen in
dem kleinen Pariser L’Ogresse-Theater gelesen werden.

Ob etwas Gutes dabei rauskommt, weiß Elena noch nicht, doch
wenn sie von ihrem Plan erzählt, strahlt sie. Sie lacht auch viel – schließlich
geht es ihr um den Spaß am Schreiben, nicht um das Ergebnis. Und falls es dann
doch schief geht, gibt es auf jeden Fall noch einen zweiten Versuch. Im Sommer
wollen die Franzosen zum Gegenbesuch nach München kommen und dort das Konzept
des Lyrikkollektivs July kennenlernen: Lesungen an ungewöhnlichen Orten.

Carolina Heberling