Als sich unsere Autorin in die Vorlesung “Schreiben” setzt, freut sie sich bereits darauf, ihre journalisitischen Fähigkeiten ausbauen zu können. Jedoch erweist sich der Stundeninhalt als enttäuschend uninteressant.
Laute Musik dringt durch die weit geöffneten Fenster des
Hörsaals und verbreitet an diesem heißen Tag Sommerlaune. Ich lausche von
meinem Platz in der hintersten Reihe, die Worte der Dozentin rücken zunehmend
in den Hintergrund. Als meine Gedanken träge werden, schließt eine Kommilitonin
die Fenster mit einem Knall. Er erinnert mich daran, dass es bei dieser
Vorlesung nicht um Musik geht, sondern um eine andere Kunst: Die Veranstaltung
an der literaturwissenschaftlichen Fakultät heißt „Schreiben“. Ein Titel, der mich
zunächst ratlos zurücklässt. Ist damit Kreatives Schreiben gemeint?
Journalistisches Schreiben? Inzwischen weiß ich: Nichts davon. Denn die
Dozentin der Vorlesung „Schreiben“ erklärt, dass es das Schreiben so nicht
gibt. Die Erkenntnis trifft mich hart. Immerhin bin ich als Journalistin
gekommen, um über die Veranstaltung zu schreiben.
Aber von vorne. Es war meine Aufgabe, spontan einem
Studenten in seine Vorlesung folgen. 15 Minuten vor Vorlesungsbeginn positioniere
ich mich vor dem Audimax, ein wenig nervös, wohin der Zufall mich bringen wird.
Entwicklungspsychologie? Astrophysik? Das fände ich spannend. In meinen
Gedanken versunken, sehe ich einen jungen Mann an mir vorbeischlurfen. Dunkle
Locken, Ringelpullover, Kopfhörer in den Ohren: Alles ganz entspannt, strahlt
er aus. Der geht bestimmt nicht in ein Master-Seminar über höhere Mathematik,
in dem ich an die Tafel gebeten werden könnte. In gemächlichem Tempo folge ich
dem Lockenkopf, links, die Treppe hoch, wieder rechts. Dann verschwindet er in
einem Vorlesungssaal. Ich bleibe ein wenig unschlüssig vor der Tür stehen und
versuche, mit einem Blick auf den Belegungsplan das Mathe-Horrorszenario
auszuschließen. Vergeblich. Dann taucht in meinem Augenwinkel eine Studentin
auf. Sie trägt eine türkisene Tasche, ein türkisenes T-Shirt und türkisene
Schuhe. Diese Farbenpracht irritiert mich kurz. Doch ich ergreife meine Chance
und fragte die junge Frau: „Entschuldigung, was ist das denn für eine
Vorlesung?“. Sie antwortet ganz knapp: „Schreiben.“ Dann schlüpft sie ebenfalls
in den Raum.
Schreiben. Glückstreffer. Vielleicht kann ich da als
Journalistin noch was lernen. Ich folge meiner türkisenen Zufallskommilitonin
und setze mich in die letzte Reihe, direkt hinter den Lockenkopf. Sicher ist
sicher, lieber ein bisschen mehr Abstand von der Dozentin. Auch wenn die mit
ihren dunkeln kurzen Haaren, Brille und Blazer eigentlich ganz freundlich
aussieht. Schnell merke ich, dass ich hier nur zuhören muss. Ob ich dabei etwas
Nützliches fürs Schreiben lerne? Eher nicht. Die Professorin spricht nicht von
journalistischem oder kreativem Schreiben, sondern von der Ökonomie des
Schreibens. Fragen wie „Welche Grenzen sind dem Schreiben gesetzt?“ und „Was
bringt Schrift hervor?“ werden behandelt. Ich versuche, die Antworten zu
mitzubekommen. Aber unzählige Fachbegriffe fallen, die ich nicht verstehe:
Intertexualität, Paratexte, Supplement. Mein Kopf wird immer schwerer, brummt
dumpf. Anscheinend fühle ich nicht alleine so, denn mein Zufallskommilitone mit
dem Ringelpullover hat seinen Lockenkopf inzwischen auf der rechten Schulter
abgelegt. Ein Blick auf die Uhr. Noch eine Stunde. Mit aller Kraft versuche
ich, meine Konzentration wieder auf die Vorlesung zu richten. Und die Dozentin
erklärt: „Schreiben“ ohne Präfix gäbe es nicht. Stattdessen müsse man zum
Beispiel von „Umschreiben“, „Fortschreiben“ oder „Gegenschreiben“ sprechen. Ein
Text stehe immer in Beziehung zu anderen Texten. Zum Beispiel zu denen, die
vorher und nachher geschrieben werden.
Mein Gehirn versucht, das alles zu verarbeiten. Doch in der
Hitze werden meine Gedanken träge. Dann nehme ich die fröhliche Musik wahr. Sie
entspannt mich ein bisschen, ich beginne über den Text, den ich schreiben
werde, nachzudenken. Welche Texte mich beim Schreiben wohl prägen? Und werde ich
andere Schreiber beeinflussen? Liebe Zufallskommilitonen, ihr könntet das
untersuchen.
Text: Sophia Baumann
Foto: Lukas Haas