Wer es in München schafft, der schafft es überall

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Silviu Slavu

alias Top Shotta spielt UK-Bass – damit durfte der 23-Jährige im legendären Boiler Room auflegen.

München – Es ist eng. Der ganze Körper ist nass. Es ist eine Mischung aus Eigen- und Fremdschweiß, plus dem Kondenswasser, das von der Decke auf die Tanzfläche tropft. Zudem ist im Club auch noch das Licht gedimmt, man lässt sich von der Masse um einen herum zu wilden Sprungeinlagen mitreißen – jedes Mal, wenn der Bass einschlägt. Hier ist jeder für sich selbst und lässt sich von den bebenden Tieftönen massieren. Mutige Gäste treten eine Armlänge an die eigens für das Event aufgestellte Wand aus Lautsprechern und Subwoofern heran. Dort gleicht die Massage eher einem Durchrütteln.

Von dem Geschehen auf der Tanzfläche bekommt Top Shotta gar nichts mit. Nicht nur, weil der DJ mit den Augen die CD-Player fixiert, sondern vielmehr, weil sein Pult absichtlich mit dem Rücken zum Publikum steht. Der 23-Jährige tritt heute im Boiler Room auf. Der Boiler Room ist kein Club – die ursprünglich überschaubare Eventreihe aus UK hat sich zu einer der einflussreichsten Tastemaking-Plattformen für elektronische Underground-Musik entwickelt. Das Konzept ist schlicht: Vielversprechende, aber noch unbekannte Künstler sowie etablierte Acts spielen ihre Musik vor laufender Kamera. Das Event wird live im Internet gestreamt. So erklärt sich auch die merkwürdige Anordnung von DJ-Pult und Publikum – alles soll im Bild sein.

Sonst findet der Boiler Room in Städten wie Los Angeles, Berlin oder London statt. Umso größer ist die Ehre für Top Shotta, die Münchner Bassmusik-Szene auf das internationale Radar zu bringen. 34 000 Zuschauer verfolgen das Event live im Web. Top Shotta, der mit bürgerlichem Namen Silviu Slavu heißt, steht kurz vor dem Durchbruch – und das mit Musik, bei der man meinen würde, sie würde in München nicht auf fruchtbaren Boden stoßen. UK-Bass heißt die Musikszene, mit der sich Silviu am meisten identifiziert. Dunkle, ruppige Klänge sind kennzeichnend.

Ortswechsel: Top Shotta sitzt in der Sonne und schenkt Sekt nach. Nicht in Gläser, sondern in Plastikbecher. Der Sekt ist vom Discounter. Er steht auf und geht zurück in den umfunktionierten Schiffscontainer des Webradios „Radio 80000“, in dem der Münchner seine eigene wöchentliche Sendung hat: die „Ruffhouse Radio Show“. „Ruffhouse“ startete 2013 als vierköpfige DJ-Crew. Der Name steht für House- und Technoproduktionen mit schroffer Klangästhetik. „Kein glatt poliertes und einfallsloses Zeug“, sagt er.

Der Leitfaden war es, allerlei elektronische Musik zu spielen, die nur auf Sidefloors oder gar nicht in Clubs zu hören war. Aus dem Konzept der Crew wurde eine Eventreihe, später eine Plattenfirma. Mittlerweile veröffentlichen Künstler von Helsinki bis Osaka ihre Musik auf Ruffhouse. noch in diesem Jahr kommt der erste Vinyl-Release.

Neben Radio 80000 vertritt Top Shotta Ruffhouse auch im Londoner Radar Radio. „Wenn die Show nachträglich hochgeladen wird, erreicht man Leute, die man sonst nicht erreichen würde“, sagt er. Ganz abgesehen davon ist Radio für ihn einfach ein wöchentliches Vergnügen. „Man kann dort aufdrehen und mit den Mandems auflegen.“ Mit Mandems meint er den Rest seiner Crew, UK-Jugendsprache. Er steckt tief in seiner Szene.

Silviu fiel in jungen Jahren schon auf, dass er mit der Musik, die andere hörten, nichts anfangen konnte. Was ihn viel mehr beschäftigte, war der Soundtrack seiner Computerspiele. Aus Neugier legte er einmal eins dieser Spiele in einen Discman ein. Er fand heraus, dass man so die Tonspur abspielen kann. „Wenn man kein Internet hat, wird man kreativ“, sagt er. Seine Kindheit verbrachte Silviu in Rumänien. Um im Netz zu surfen, musste man damals ins Internetcafé gehen. Später in Deutschland wird das Internet zum Katalysator für seinen breit gefächerten Musikgeschmack.

Es stellt sich heraus, dass einer seiner Klassenkameraden ähnlich musikaffin ist. Jener Schulfreund stellt den Kontakt zwischen Top Shotta und dem Münchner Basswerkstatt-Kollektiv her. Die Jungs überrumpeln Silviu, überreden ihn aufzulegen. Er sucht nach Wegen, sich aktiver in der Szene zu etablieren und wagt den Schritt zum Musikmachen. „Auflegen alleine reicht heutzutage nicht mehr, um in der Szene Fuß zu fassen“, sagt er. „Jeder kann sich heute für minimale Investitionen einen Controller und Software holen, dadurch hat das Handwerk an Wertschätzung verloren.“

Insgeheim erhofft sich Silviu, als Top Shotta und mit seinem Label langfristig finanziell unabhängig zu machen. Gleichzeitig weiß er, dass er es mit seiner Art von Musik sehr schwer hat, die Massen zu erreichen.

Aus dem Radio-Container ertönt ein Track, den Silviu kennt. In der Ruffhouse-Radio-Show sind gerade zwei Gast-DJs am Werk. Er eilt hinein und plärrt im Jamaika-UK-Slang eine Ansage ins Mikrofon. In und um den Container herum haben sich ein Dutzend Mandems versammelt. Auf diesen Track scheinen sie besonders anzusprechen, zumindest tanzen die meisten. Es gibt genug Menschen, die diese Musik und die Szene, die sie umgibt, verstehen. Eine Willkommenskultur kann man München gegenüber neuen Szenen aber leider nicht nachsagen. Deswegen finden Events nur in kleinen Clubs, am Stadtrand oder illegal statt. Top Shotta und die Ruffhouse-Gang schaffen es gerade, aus

den Grenzen der Stadt auszubrechen: Wer es in München schafft, der schafft es überall.

Text: Hubert Spangler

Foto: Lucas Bergmüller