Zeichen der Freundschaft: Küchenliebe

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Essen verbindet. Gemeinsames Träumen auch. In ihrer Kolumne erzählen unsere beiden Autoren von einer ganz besonderen Küche, vollgestopft mit Gewürzen aus aller Welt und ganz viel positiver Stimmung.

Wir sind schon
ein wenig träge. Während sich die restliche Münchener Jugend in den neuesten,
abgefahrensten, teuersten und angesagtesten Clubs dieser Stadt tummelt,
entscheiden wir uns am Otto-Normal-Samstagabend – für Adams Küche. Kein Megaevent
im Blitz, keine Mondfinsternis und kein kostenloses Musikfestival können uns
umstimmen, wenn wir mal wieder richtig Bock auf Adams Küche haben. Und auf Ihn
natürlich.

Adam, der
immer schon die Wohnungstür öffnet, unmittelbar bevor man sie erreicht hat. Der
grinsende Lockenkopf empfängt uns mit einer dicken Umarmung und seinem
typischen „Naa?!“ in seiner kleinen, nach Ebenholz und sanften Gewürzen
duftenden Wohnung. Das Wohnzimmer lassen wir links liegen. Wir folgen ihm in
die kleine, meist mit Musik, Essen und Menschen prall gefüllte Küche.

Kitschige
Backformen in den verschiedensten Formen aus den verschiedensten Jahrzehnten
schmücken die Hinterwand. Die Fensterbank ist vollgestellt mit Kräutertöpfen,
auf dem Tisch steht eine Wasserkaraffe mit dem Schriftzug „Liebe“. Einmal quer
durchs Zimmer führt eine Leine, auf der seit vielen Jahren die verschiedensten
Kräuter, Chilis und undefinierbaren Naturprodukte trocknen. Wüsste man es nicht
besser, könnte man meinen, die Küche gehöre einem sesshaft gewordenen
Waldschamanen.

Soweit das
das äußere Erscheinungsbild. Das eigentlich Anziehende, der Grund warum wir beide
uns in Adams Küche noch wohler fühlen als in der Wasserbettenabteilung von Segmüller,
ist aber natürlich vor allem Adams Gesellschaft. Er ist nicht nur ein
unglaublich einfühlsamer und respektvoller Mensch mit unvergleichlichem
Gerechtigkeitssinn, dem man die merkwürdigsten Geschichten anvertrauen kann.
Adam ist für uns genialischer Gitarrenspieler, Schulbanknachbar der ersten
Stunde, unverzichtbarer Freund und Horizonterweiterer. Er liebt es, viele
Menschen um sich herum zu haben, sie zu bekochen und zu verwöhnen. Je mehr
Leute sich in seiner kleinen Wohnung versammeln, umso
fröhlicher ist er – egal zu welcher Tages- und Nachtzeit. Ausgedehnte
stundenlange Katerfrühstücke sind genau wie hitzige Schafkopfrunden oder
gemütliche Spieleabende nirgends so schön wie bei Adam in der Küche. Sie steht
dem Raum der Wünsche in Hogwarts in nichts nach. Sie stillt unseren Drang, die
Außenwelt auszusperren und ihre Absurdität einfach mal belächeln zu können.

Zu guten
Gesprächen gesellt sich noch besseres Essen – mal aus Polen, dem Heimatland
seiner Eltern, mal international. Immer viel. Immer lecker. Außer wenn jemand
wieder die getrockneten Chilis unterschätzt und eine Pizzaparty zum
tränenreichen Schärfekontest mutiert. Und da Essen nicht alles ist, laufen im
Hintergrund CDs. Blues aus Mali. Irgendwas wie Post-Rock aus den 80ern. Oder
eine Playlist, mitgebracht von einem Roadtrip nach Polen.

Es ist aber
nicht nur ein Ort der Völlerei, der Wollust und der Exzesse. Sie ist gleichzeitig
eine Wohlfühloase, ein Ort der Einkehr und der vollkommenen Zufriedenheit. Sie
bedeutet für uns Konstanz in einer sich viel zu schnell drehenden Welt. Und ist
vielleicht sogar der Grund, warum unser Freundeskreis in zehn Jahren noch nicht
auseinandergebrochen ist.

Man kann das
durchaus als Kleister einer Freundschaft ansehen, die uns ganz bestimmt zu den
Menschen geformt hat, die wir heute sind.
Anfangs lernten wir dort Lateinvokabeln. Irgendwann wurde Liebeskummer
dort geheilt, Reisepläne geschmiedet und neue Musiker-Idole entdeckt. Als wir
noch zusammen zur Schule gingen, heckten wir Pläne für die Zeit nach dem Abitur
aus. Wir wollten alle Dasselbe – Musikkarriere machen oder zumindest
Musikjournalist werden, mit dem Bus nach Marokko fahren, die Welt erkunden und
verbessern. Die Klassiker eben. Die Realität macht einem dann doch immer einen
Strich durch die Rechnung – diese Küche übt einen seltsamen Sog auf uns aus. Dass
sich all das in einem gerade so zehn Quadratmeter großen Zimmer abspielt, macht
nichts. Denn selbst Trägheit kann wunderbar sein, ist man nur von den richtigen
Menschen umgeben.

Text: Tilman
Waldhier und Louis Seibert

Foto:

Yunus Hutterer

250 Zeichen Wut: Westend

Über Doppelmoral und die überall währende Münchner Schickeria. Selbst im Westend.

Erst
Schwabing, dann das Glockenbachviertel, jetzt hat die Münchner Schickeria das
Westend erreicht. Im SUV durch die engen Sträßchen zum nächsten Bio-Reformhaus,
über den regionalen Wochenmarkt zum neuen Beautysalon. Alles Hippe wird
vereint, die größten Gegensätze kombiniert. Doppelmoral ist ihr ein Fremdwort.

Text: Tilman Waldhier

Alles crazy

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Vormittags entspannt er an der Isar, nachmittags geht es los mit seinen America-Calls – bis Mitternacht: Christopher Obereder, 25, hat beruflich schon viel erreicht. Jetzt zog er vom Silicon Valley zurück nach München.

Zwei Jahre im Silicon Valley gearbeitet, auf der Forbes-Liste der besten Technologen unter 30 gelandet, Facebook-Seiten mit neun Millionen Fans kreiert – Christopher Obereder, 25, hat schon viel im Leben erreicht. Jetzt ist er mit zahlreichen Impressionen im Gepäck aus Palo Alto zurück in seine Heimatstadt München gezogen. Seiner Generation rät er, fest an die eigenen Träume zu glauben – anders hätte er seine ehrgeizigen Ziele selbst nie erreicht.

Rückblick: Im April hat Christopher Obereder mit Freunden Urlaub am Strand von Mexiko gemacht. Und plötzlich lag da in Badehose auf dem Handtuch: der Gründer des Online-Taxi-Unternehmens Uber, Travis Kalanick. Seine Freunde sprachen Christopher Mut zu, den mehrfachen Milliardär anzusprechen. „Er ist doch im Urlaub!“, entgegnete er ihnen. Angesprochen hat ihn Christopher dann trotz Hemmungen und einiger furchterregender Bodyguards. Der US-Amerikaner sei dann auch sehr locker und nett gewesen, habe ihn sogar gebeten, sich zu setzen und von seinem Leben im Silicon Valley zu erzählen.

Anekdoten wie diese erzählt Christopher Obereder sehr gerne aus seiner Zeit in Palo Alto, der Stadt in Kalifornien, um die sich das Silicon Valley schmiegt. Zwei Jahre hat er bei verschiedenen Technologie-Firmen die Social-Media-Abteilung vorangetrieben, hat sich hochgearbeitet, sich einen Ruf aufgebaut. Christopher, kräftige Statur, zurückgegelte Haare, Dauergrinsen, redet gern und viel, jedoch immer bestimmt und ruhig. Man merkt ihm die Begeisterung an, die er in den vergangenen zwei Jahren für die Atmosphäre im Valley aufgebaut hat.

Jetzt ist er nach München wiedergekehrt. Zurückgezogen ins Haus seiner Eltern. In die Heimat, in der er vor zehn Jahren gemeinsam mit einem Kumpel Gefallen daran fand, Facebook-Gruppen zu gründen und mit allen möglichen Mitteln daran zu tüfteln, möglichst viele Fans zu gewinnen. Mit der Zeit hatten sie 1000 dieser Gruppen gegründet und auch noch richtig Erfolg damit: neun Millionen Gefällt-mir-Angaben bekam eine der Seiten. „Du postest einfach irgendetwas wie ,Hey, I’m feelin’ sick today‘, und dann liken es plötzlich 1000 Leute. Wenn du 14 Jahre alt bist, findest du das lustig“, gibt Christopher zu. Ihn faszinierte das Gefühl, Menschen lenken, beeinflussen zu können, sie gewissermaßen zu Marionetten zu machen. Es ist eine der Eigenschaften, warum er es im Silicon Valley so weit gebracht hat.

Nach dem Abitur strebte er erst einmal eine Golfkarriere an, brach sein Golfstudium in England jedoch bald ab. Es folgte ein BWL-Studium an einer italienischen Universität. Dann entwickelte er mit einem Freund das Handyspiel „Okay?“, das an die Spitze der Downloadcharts von Apple stürmte. Es folgte ein Praktikum in London bei der Deutschen Bank. Bei Christopher war von Anfang an die Laufrichtung klar: immer voran.

Den Willen, eines Tages mitreden zu können, eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, hat er von seinen Eltern mit auf den Weg bekommen. „Ich schreibe mir jedes Jahr meine Ziele für nächstes Jahr auf. Das haben sie mir so eingetrichtert“, sagt er. Fleiß, Engagement und Begeisterungswille seien auf dem Weg nach ganz oben sein Erfolgsrezept gewesen: „Wer etwas aufbauen will, fängt oft klein an, fällt hin, steht wieder auf, fällt wieder hin“, erzählte er einmal der Huffington Post.

Er entschied sich, endgültig in die Technologiebranche zu gehen. Also schickte er zahlreiche Bewerbungen an Firmen, die in Palo Alto ansässig sind. Was für andere Hollywood ist, war für Christopher schon immer das Silicon Valley. Er wurde von einer Tech-Firma engagiert, flog nach Kalifornien. Die Firma ging nach wenigen Wochen pleite. Das sei unangenehm gewesen, weil er sein Gehalt nicht bekam, sagt er, öffnete ihm aber viele andere Türen: „Innerhalb des Silicon Valley kommt man extrem schnell mit anderen Leuten ins Gespräch. Wenn du bei einer Firma rausfliegst, hast du in zwei Wochen wieder was Neues.“ Man versuche, sich gegenseitig zu unterstützen, sich Kontakte zu vermitteln. Diesen Helfergeist vermisse er oft in Deutschland, der Konkurrenzgedanke sei in europäischen Firmen viel größer. Allerdings: Es sei dort „schwierig, echte Freunde zu finden. Oft fragt man sich: Machen wir jetzt gerade Business oder sind wir Freunde? Das weißt du manchmal einfach nicht.“ Doch das hat Christopher zwei Jahre lang für seinen großen Traum in Kauf genommen.

Seine Aufgabe bei verschiedenen amerikanischen Firmen war es, möglichst viele tägliche Downloads für bestimmte Apps zu generieren: mindestens 20 000 pro Tag. „Social Media ist in den USA ein eigener Berufszweig“, erklärt er. Gerne erzählt er von der „Bubble“, in der sich die Mitarbeiter des Silicon Valley befänden. Obwohl er selbst viele Begriffe wie „Outdoority“, „Crosspromotion“ und „sowas generiert richtig Traffic“ um sich wirft, sieht er sich nicht als Teil dieser Blase. Er berichtet von diesen zwei Jahren eher als objektiver Beobachter des ganzen Theaters: vom Google-Chef, der mit Badehose und Taucherbrille in der Wüste von Nevada herumturnt, von Zehner-WGs ohne jegliche Privatsphäre, von Rollerblade-Massenveranstaltungen in San Francisco. „Diese Verrücktheit gehört da zur Kultur“, schwärmt er, „die sind da auch alle ganz crazy gekleidet. In zwei Jahren habe ich nur ein einziges Mal Anzug tragen müssen.“ Das Wort ist sein absoluter Lieblingsbegriff: die Amis, die Hitze, die Kleidung, alles crazy.

Und dann gab es da noch etwas, das für ihn ziemlich crazy war: dass er auf die „Forbes 30 under 30“-Liste gewählt wurde. „Ich fühl mich gut, wenn ich Ziele erreiche“, sagt Christopher, „das macht so süchtig. Die Forbes-Liste war so eines davon.“ Als er es dann geschafft hatte, sei er zwei Wochen wie im Rausch gewesen. „Wenn du was erreichst, musst du es auch erst mal genießen. Sonst verlierst du die Lust.“ Ein großer Traum hat sich bei dem erfolgsverwöhnten Münchner aber noch nicht erfüllt: einmal mit Mark Zuckerberg quatschen. „Den würde ich viel lieber treffen als einen bekannten Fußballstar oder Justin Bieber“, erzählt er. Er hat andere Helden als die meisten seiner Freunde.

Und jetzt also zurück in München. Hier hat er seinen Freundeskreis, erklärt er, hier fühlt er sich wohl: „In München ist das Leben um einiges angenehmer, ich will nicht unbedingt zurück.“ Die Hitze, die vielen fremden Eindrücke, der Druck, sich immer wieder beweisen zu müssen. Seinen Job kann er von Deutschland aus genauso machen. Vormittags geht er an die Isar, nachmittags geht’s los mit seinen America-Calls, dann Downloads generieren. Mitternacht ist er dann fertig mit der Arbeit – seinen Arbeitsrhythmus muss er an Kalifornien anpassen. Aber das macht nichts.

Eines liegt ihm noch auf dem Herzen: dass er jungen Leuten mit Visionen Mut machen will, diese zu verfolgen. „Ich hätte meine Ziele nie erreicht, wenn ich nicht immer an mich geglaubt hätte“, sagt er. „Aber ich habe sie erreicht!“



Text: Tilman Waldhier

Foto: David Visnjic

Neue Heimat

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Çağdaş Yüksel, 23, aus Mönchengladbach dreht einen Film über die Gastarbeiter in Deutschland. Ein großer Teil der Doku soll in München entstehen – sein Opa ist damals am Hauptbahnhof auf Gleis 11 angekommen.

Çağdaş Yüksel, 23, aus Mönchengladbach ist Regisseur und arbeitet nach seinem ersten großen Film „Asyland“ an einem neuen Projekt. Mit der Dokumentation „Gleis 11“ will er die Geschichte seines Großvaters und vieler anderer Türken, Griechen und Italiener erzählen, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Das Gleis 11 am Münchner Hauptbahnhof war für die vielen Türken der erste Eindruck von ihrer neuen Heimat – dort kamen die Züge aus Istanbul an.

SZ: Ein großer Teil deines Films soll in München gedreht werden. Warum?
Çağdaş Yüksel: Bei den Recherchen habe ich sehr schnell herausgefunden, dass die allerersten Züge mit Gastarbeitern aus Istanbul in München ankamen. Von dort aus wurden sie in den ersten Jahren auf ganz Deutschland aufgeteilt. München selbst hat aber auch erst einmal sehr viele Gastarbeiter aufgenommen und ist ja heute eine der multikulturellsten Metropolen Deutschlands.  

Die Gegend, aus der du kommst, steht jetzt aber mehr für die Thematik Gastarbeiter. Was ist dein persönlicher Bezug zu München?
Wie alle anderen Türken ist auch mein Großvater in München angekommen. Er war damals so alt wie ich jetzt.

Wie bist du auf die Idee zu dem Film gekommen?
Die Idee hatte ich schon lange, weil das Thema mir einfach persönlich sehr viel bedeutet und ich oft darauf angesprochen werde. Irgendwann kam allerdings der Punkt, an dem ich gemerkt habe, wie wenige persönliche Geschichten ich von meinem Großvater und anderen ehemaligen Gastarbeitern eigentlich kenne. Er ist ja gestorben, bevor ich geboren wurde. Der Wunsch, das zu ändern, war der Auslöser des Projekts.

Erzählst du nur die Geschichte deines Großvaters?
Es ist keine komplett individuelle Geschichte, der Film erzählt das Leben von ganz vielen Menschen. Mein Großvater dient aber als eine Art roter Faden.

Deswegen liegt dir das Thema so am Herzen.
Es ist die letzte Chance, dieser Generation eine Stimme zu geben. Ich will nicht über sie berichten, sondern sie selbst reden lassen. Das ist einfach nicht mehr so lange möglich. Außerdem ist das Thema Einwanderung heute ja wieder sehr aktuell.

Wo wurde dein Großvater nach seiner Ankunft in München hinversetzt?
Nach Mönchengladbach, wo ich jetzt noch lebe. Er wurde bei einer Elektrofirma angestellt.

Du kennst ihn nur aus Erzählungen. Was meinst du, wie er sein neues Heimatland damals empfunden hat?
Ich habe versucht, sehr viel darüber zu recherchieren, habe dazu Freunde von ihm und meine Großmutter befragt. Ich habe ein sehr positives Bild von seinem Leben in Deutschland bekommen. Ich glaube, er hat sehr viele gute Erfahrungen gemacht, hatte nette Nachbarn, die ihn bei der Integration geholfen haben.

Wurde er glücklich in Deutschland?
Das ist auf jeden Fall mein Gefühl, ja. Weder er noch seine neuen deutschen Freunde wussten, ob und wie lange er in Deutschland bleiben würde. Er hat sich dann fürs Bleiben entschieden. Seine Familie kam nach vier Jahren aus der Türkei nach.

Du bist Deutscher in dritter Generation, hast aber einen türkischen Namen. Kommen dir manchmal selbst noch Vorurteile entgegen?
Ich persönlich habe das nie erlebt. Es ist für mich selbstverständlich, dass ich hier geboren und aufgewachsen bin. Klar habe ich auch die türkische Kultur in mir, das empfinde ich als sehr wertvoll. Das heißt aber nicht, dass ich kein Deutscher wäre.

Spannst du im Film auch den Bogen zur heutigen Situation, in der das deutsch-türkische Verhältnis ja sehr belastet ist?
Nein, es soll eh nicht nur um türkische Gastarbeiter gehen. Der Film soll auch nicht allzu politisch werden, das wäre noch mal ein ganz anderes Thema. Der Impuls des Films ist eher, ein positives, nostalgisches Bild aus dieser Zeit zu übermitteln und zu zeigen, wie lange diese interkulturelle Freundschaft schon besteht. Und dass man sie nicht von einzelnen politischen Akteuren kaputtmachen lassen sollte.

Was können wir denn von der damaligen Situation lernen, dass Integration heute wieder besser funktioniert?
In der deutsch-türkischen Beziehung wünsche ich mir die Offenheit der Sechzigerjahre zurück. Das Interesse, neue Kulturen und neue Menschen kennenzulernen. Es wird oft vergessen, wie viel Musik, Literatur, Rezepte und Gemüsesorten die Gastarbeiter einst nach Deutschland gebracht haben. Dinge, die es einfach in Deutschland nicht gab. Umgekehrt haben diese Kulturen natürlich auch viel von den Deutschen gelernt. Man muss sich wieder in Erinnerung rufen, dass dieser Austausch etwas sehr Wertvolles ist.

Unterstützen kann man Cagdas und sein
Team auf der Crowdfundingseite Startnext unter dem Link
www.startnext.com/gleis11. Dort finden sich auch der Trailer zum Film sowie viele
Hintergrundinformationen.

Interview: Tilman Waldhier

Foto: cocktailfilms

Neuland: Road to Austin

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Ein Traum wird wahr: Patrick Roche und Luca Wollenberg von El Rancho sind nach Texas geflogen, um ihr erstes Studioalbum aufzunehmen. Dabei haben sie mit einheimischen Musikern zusammengearbeitet, um die Aufnahmen authentischer zu machen.

Neuigkeiten von den Musikern von El Rancho: Um ihr erstes professionelles Album aufzunehmen, sind Luca Wollenberg und Patrick Roche zusammen mit einer Crew aus Helfern nach Austin, Texas, geflogen. Nachdem sie zuvor
in der Toskana

eine Platte in Eigenregie aufgenommen hatten, sind sie nun einen Schritt weiter gegangen und haben ihrem ersten Studioalbum einen US-amerikanischen Schliff geben. Sie haben im Studio von Rick Del Castillo aufgenommen, der schon Musik zu Filmen wie „Kill Bill 2“ und „Es war einmal in Mexiko“ produziert hat.

Um den Songs den gewissen „Texas-Flavour“ zu verpassen, haben Luca und Patrick professionelle Session-Musiker aus Texas engagiert, die die Aufnahmen mit Banjo, Mandoline und Slide Guitar authentischer machen sollten. „Es ist eine Chance, mit großartigen Session-Musikern genau die Stimmung einzufangen, die El Rancho schon immer im Kern ausgemacht hat“, sagt Luca. Die Reise- und Aufnahmekosten haben die Musiker mittels Crowdfunding finanziert. Das Werk mit dem voraussichtlichen Namen “Desert Lullabies” soll bereits diesen Sommer erscheinen.

 

Text: Tilman Waldhier

Foto:
Maximilian Lamm

 

So viel Liebe

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Große Pop-Poesie: Beim Stadt-Land-Rock-Festival von SZ und Tollwood zeigt sich, wie eng vernetzt die Münchner Musikszene mittlerweile ist und wie sehr man sich gegenseitig schätzt.

Es ist nur ein Fetzen Stoff, der vom rechten Hosenbein herunterhängt. Das Loch bildet ein Herz auf dem grauen Stoff, den Jordan Prince unter seiner Jeans trägt. Ein kleines Symbol, das sinnbildlich für den US-Amerikaner ist, der ein außergewöhnliches Händchen für Liebeslieder hat. Es ist aber auch sinnbildlich für das gesamte Stadt-Land- Rock-Festival in diesem Jahr. Zwölf Bands haben an drei Abenden auf dem Tollwood-Festival gezeigt, wie eng vernetzt die Münchner Musikszene mittlerweile ist, wie sehr man sich gegenseitig schätzt und interessiert an der künstlerischen Arbeit des anderen ist – und einmal mehr, wie spannend und vielfältig die Szene ist.

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Dieses Jahr steht das Festival ganz im Zeichen der Singer/Songwriter. Ob begleitet mit Band, Backgroundsängern oder solo ist es diese Musikergruppe, die die Münchner Musikszene in den vergangenen Jahren so stark gemacht hat. Mit Bob Dylan als Prototypen entwickelte sich Mitte der Sechzigerjahre dieses Genre, das sich bis heute gehalten hat, ohne sich in den vergangenen 50 Jahren groß weiterzuentwickeln. In München ist es so beliebt wie lange nicht: Singer/Songwriter füllen ähnlich viele und große Konzerthallen wie die neuesten Electro-Künstler. Gut hundert von ihnen versuchen derzeit, sich in München einen Namen zu machen.

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Einer von ihnen ist Chuck Winter. Er stammt aus der klassischen Songwriter-Tradition, für Studioaufnahmen und Livekonzerte hat er sich jetzt jedoch eine Band zusammengesucht: Die Steuerfahnder. „Mit anderen Musikern zusammenzuspielen, macht einfach mehr Spaß und hat mehr Drive. Jeder kann was zum Song beitragen, durch die verschiedenen Einflüsse kann man vielfältiger arrangieren“, sagt er. “Und was könnte es Logischeres geben, als die Band dann `Die Steuerfahnder` zu nennen”, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu.

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Über die drei Tage hinweg lässt sich bei allen Musikern ein schöner Trend erkennen: Die Künstler sagen sich gegenseitig an und bedanken sich bei der Vorband. Sie betonen den großen Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Bands. Nikolaus Wolf etwa, dessen Songs Filmmusik zu einem Roadmovie sein könnten, appelliert an die Zuhörer in der sehr gut besuchten Half Moon Bar: „Kauft euch von einer der Bands eine CD, muss auch gar nicht die Platte von uns sein. Jede der Bands hat es echt verdient.“ Und jede Band betont zudem, wie froh sie sind, hier spielen zu dürfen. Diese Dankbarkeit überträgt sich auch auf das Publikum: Wie schön, dass es so ein aufregendes, kostenloses Festival gibt.

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Beim Konzert von Jordan Prince kommt so fast eine Wohnzimmer-Atmosphäre auf. „Das ist das erste Konzert, das ich spiele, bei dem ich mit jedem Künstler befreundet bin“, sagt der aus Mississippi stammende Singer/Songwriter auf Englisch, „that’s so great!“ Normalerweise spielt er live mit einer Band, diesmal sind jedoch nur zwei von ihnen dabei – als Background-Sänger. Die gute halbe Stunde, die der große Mann mit Hornbrille auf der Bühne steht, verbringt er häufig scherzend mit seinen beiden Kollegen. Man merkt, der US-Amerikaner ist mittlerweile so richtig angekommen in München. Ob er solo
oder mit Band spielt, erzählt Jordan, hängt ganz von der Atmosphäre des
Konzertes ab. Bei kleinen Konzerten käme er alleine besser mit dem Publikum in
Kontakt, um vor großem Publikum zu begeistern, bräuchte es schon die ganze
Besetzung.

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Als einzige weibliche Solokünstlerin tritt Klimt auf. Barfuß
in Glitzer-Sterne-Kleid und mit blondiertem Pony, der ihr immerzu in die Augen
fällt, ist Verena Lederer an diesem Abend eine elfenartige Erscheinung.

Sie spielt träumerische Klaviermelodien, die sie mit souligem Gesang unterlegt. Da ist ganz viel Gefühl. Paare liegen sich in den Armen, die Gedanken kreisen. Auch Klimt ist Singer/Songwriterin, jedoch spielt sie nicht Gitarre, sondern Keyboard. Dass sie als Solomusikerin oft die einzige Frau ist, stört Verena Lederer. „Es gibt so viele Mädels auf der Bühne, aber die singen nur und machen sonst nichts“, echauffiert sie sich.

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Auch wenn Isabella Streifeneder, Sängerin der Band Mola in ihrem langen blaublümigen Sommerkleid die Style-Latte hochgesetzt hat, gegen die Alternative-Rocker von Matija kommt man schwer an. Stilmäßig erinnern die vier jungen Männer an eine englische Eliteklosterschule in den Sechzigerjahren. 20.11 Uhr, Bassist Johan Blake öffnet seinen obersten Hemdknopf. Jegliche Stilvorgaben sind über Bord geworfen. Die Band spielt ihren Klassiker „Mexico“, die Masse tobt. 20 Uhr 14, Bassist Johan Blake öffnet alle restlichen Hemdknöpfe. Die Masse kreischt. Zwischendurch Ansagen wie beim Meditationsseminar auf dem Yoga-Retreat: „Combine it with freedom, come on! Just let it out, yeah!“

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Andere setzen mehr auf Witz. Singer/Songwriter Liann fragt ins Publikum: „Gibt’s hier eine Eva?“ Um dann seinen nächsten Song „Eva“ mit den Worten „Sie hat mal wieder nicht geduscht und die halbe Nacht gesoffen“ anzufangen. Das zeugt von einer bemerkenswerten Lockerheit. Seine Trümpfe sind Ehrlichkeit und Direktheit, mit denen er an die Musik herangeht. Seine deutschen Texte sind frei von jeglicher uneindeutiger Pop-Philosophie und doch tiefgründig. Auch Akustik-Popper Flonoton ist den ganzen Abend bemüht, das Publikum bei Laune zu halten. Das schafft er tatsächlich hervorragend, indem er zu grandios schlechten Witzen ansetzt und diese dann auch noch bewusst versemmelt.

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Eliza wiederum spielt sehr düsteren, experimentellen Pop, der trotz des dafür viel zu schönen Wetters viele Interessierte ins Zelt lockt. Auch Wendekind ist nicht die Verkörperung von sommerlichen Hochgefühlen. Dafür macht der Blondschopf mit Hut schön melancholische Pop-Poesie, die er mit Gitarre und Laptop begleitet.

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Die zwei Künstler, die auf ihren Platten am elektronischsten klingen – About Barbara und Nick Yume –, gehen extrem unterschiedlich an das Konzert heran: Nick Yume versucht mit seinen zwei Mitmusikern und vielen elektronischen Elementen, dem Studio-Sound möglichst nahezukommen, was bemerkenswert gut klappt. About Barbara hingegen hat sich nur einen Gitarristen geholt und spielt all ihre Songs rein akustisch. So unterschiedlich klingt das zu ihren Aufnahmen, dass sie sich einfach nur mit „Ich bin die Babsi“ vorstellt.

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Das Muster der auf sich allein gestellten Musiker zieht sich über das ganze Festival, denn auch die Bands haben einen Protagonisten, um den sich alles dreht. Im Fall der Band Mola ist es Sängerin Isabella Streifeneder. Sie ist der kreative Kopf der Band. In ihren Texten bezieht sich vieles auf Herzensangelegenheiten: „Bei ’nem schlechten Date geht die Zeit furchtbar langsam rum. Ihr seid ein gutes Date“, sagt sie und strahlt. So viel Liebe.

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Text: Tilman Waldhier

Fotos: Käthe Dekoe

Aufgeweckte Schlafzimmerstimme

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In wenigen Tagen ist Stadt Land Rock 2017. Hier geben wir Einblicke
in die Tiefen des diesjährigen Kosmos aus Britpoppern, Traumwandlern und
Chartstürmern. Heute im Kurzportrait: About Barbara.

Barbara Buchberger alias About Barbara ist nicht einfach zu begreifen. Sie ist in München so
gut wie unbekannt, nur äußerst selten mal durch Konzerte in den gängigen
Clubs aufgefallen. Sie tüftelt aber in einer Münchner WG an Songs, die 700000
Klicks auf YouTube haben – wie im Fall ihres Megahits „Bis der Himmel sich
dreht“. Hinzu kommen ein Plattenvertrag bei “Starwatch Entertainment”, dem Label
von Pro7, Auftritte bei selbigem Sender und die Zusammenarbeit mit den
bekannten Münchner Produzenten Achtabahn. About Barbara scheint mit
ihrem kommerziell ausgerichteten Deep House auf den ersten Blick so gar nicht
in das Schema der Münchner Musikszene zu passen. Man übersieht jedoch leicht
die große Münchner Szene hierfür, die von Musikern wie Julia Kautz, Wincent
Weiss, Körner und eben neuerdings
auch About Barbara bestimmt wird.
Deep House ist eine Mischung aus Singer/Songwriter und Elektro – entfremdeter
Gitarrenpop könnte man sagen. Schon früh zeichnete sich die musikalische
Richtung von About Barbara ab. Sie
begann bereits in Kindheitstagen mit dem Komponieren einfacher Gitarrensongs. Mit
der Zeit kam die elektronische Komponente dazu.
Fest steht: About Barbara hat es mit
ihrer lasziv anmutenden Schlafzimmerstimme geschafft, eine enorm große
Zuhörerschaft zu gewinnen. Wenn sie dann am ersten Juli auf der
Stadt-Land-Rock-Bühne steht, werden wir Münchner hoffentlich auch endlich
verstehen, wie sie das angestellt hat. 

Das Stadt Land Rock Festival findet dieses Jahr vom 29. Juni bis
zum 1. Juli statt, täglich von 19 bis 22:30 Uhr in der Half Moon Bar auf
dem Sommertollwood. About Barbara spielt am 1. Juli zusammen mit Eliza, Nick Yume und Flonoton.


Text: Tilman Waldhier

Foto: Yves Krier

Neuland: Walk of Happiness

Die Stadt ein kleines bisschen fröhlicher machen soll das neue Projekt der Designerin Rosa Kammermeier. Sie entwirft dabei Schriftzüge mit positivem Inhalt und verziert Münchner Schaufenster damit.

Die Designerin Rosa Kammermeier, 26, will mit ihrem Projekt Walk of Happiness München zu einem fröhlicheren Ort machen. Dabei sollen sogenannte Letterings, Sprüche mit positivem Inhalt, auf verschiedene Münchner Schaufenster geklebt werden. Die Designerin hatte via Facebook dazu aufgerufen, sich bei ihr zu melden, wenn man ein öffentliches Schaufenster zur Verfügung hat und bereit ist, dieses von ihr verzieren zu lassen. Rosa beschäftigt sich innerhalb ihrer künstlerischen Arbeit viel mit Kalligrafie und hat so schon viele dieser Letterings entworfen. Dabei fertigt sie für gewöhnlich eine Skizze des Spruchs an, scannt sie ein und bearbeitet und perfektioniert sie dann auf dem Computer. Die insgesamt voraussichtlich zehn Schaufenster werden alle in Laufnähe zueinander liegen. Auf einer eigens angefertigten Stadtkarte sollen alle Stationen des „Walk of Happiness“ aufgelistet sein, sodass man in einem Spaziergang das gesamte Werk anschauen kann. 

Text: Tilman Waldhier

Foto: Sophie Wanninger

Zauberhaft und düster

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In wenigen Tagen ist Stadt Land Rock 2017. Hier geben wir Einblicke
in die Tiefen des diesjährigen Kosmos aus Britpoppern, Traumwandlern und
Chartstürmern. Heute im Kurzportrait: ELIZA.

ELIZA machen experimentellen Pop und Folk.
Vor zwei Jahren noch als Solosängerin aufgetreten, hat Elisa Giulia Teschner mittlerweile zwei Musiker gefunden, die ihr musikalisches Ideal teilen: zauberhafte,
sphärische Klänge mit einem klaren Hang zur Düsterkeit. Auf einem ihrer
Bandfotos steht die Sängerin in schwarz-rotem Spitzen-Outfit vor einem See,
gesäumt von Tannen und einem etwas verhangenen Himmel – „Game of Thrones“ lässt
grüßen. Dieses groß angelegte Fantasy-Reich findet sich auch in der Musik. Die verträumten
Kompositionen gehen jedoch trotzdem oft in die Singer/Songwriter-Richtung, in
der Elisa eigentlich ihre musikalischen Wurzeln hat. Es entsteht Musik, die
nicht unbedingt die Popmusik neu erfinden will. Es entsteht aber auch Musik,
die in Deutschland so eher selten entsteht. Außer vielen Spontan-Videos, die
Elisa im Laufe der Zeit auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hat, gibt es
noch nicht viel offizielles Audiomaterial zu hören – was daran liegt, dass sie
ihre erste EP gerade erst aufnehmen.

Das Stadt Land Rock Festival findet dieses Jahr vom 29. Juni bis
zum 1. Juli statt, täglich von 19 bis 22:30 Uhr in der Half Moon Bar auf
dem Sommertollwood. Liann spielt am 1. Juli zusammen mit About Barbara, Nick Yume und Flonoton.

Text: Tilman Waldhier

Foto: Conny Mirbach

Der Pop-Poet

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In wenigen Tagen ist Stadt Land Rock 2017. Hier geben wir Einblicke
in die Tiefen des diesjährigen Kosmos aus Britpoppern, Traumwandlern und
Chartstürmern. Heute im Kurzportrait: WENDEKIND.

WENDEKIND ist ein Soloprojekt von Gitarrist, Sänger und
Pop-Poet Benjamin Süß. Sein erstes Album „Ein Baum, ein Wald“ hat er 2014 in Bandbesetzung
aufgenommen, aus zeitlichen Gründen wurde die Gruppe jedoch aufgelöst.
Mittlerweile ist WENDEKIND wieder
solo unterwegs und vereint dabei nach eigenen Angaben „die Einflüsse
Rock, Pop und Hip Hop, die mich schon mein ganzes Leben begleiten, mit einem
Hauch des Elektronischen“. Um solch eine Klangfülle alleine produzieren zu
können, arbeitet er live viel mit Playback und unterlegt diese mal mit
poppiger, mal mit rockigerer Gitarre. Dazu kommen seine prosaischen Lyrics, die
zu denen gehören, die man auch in Schriftform freiwillig lesen würde – und
fertig ist der WENDEKIND-Sound.
Benjamin Süß ist übrigens nicht, wie man ja meinen könnte, in der Nacht des
Mauerfalls geboren: „Egal, wie
tief die Löcher aus meinem Leben sind, ich wende das Blatt mit dem kleinen
Jungen zum Guten, ich bin das Wendekind!“, freestylte er vor vielen Jahren in
seinem heimischen Studio – geboren war sein Künstlername.

Das Stadt Land Rock Festival findet dieses Jahr vom 29. Juni bis
zum 1. Juli statt, täglich von 19 bis 22:30 Uhr in der Half Moon Bar auf
dem Sommertollwood. Wendekind spielt am 30. Juni zusammen mit Liann, Matija und Mola.

Text: Tilman Waldhier

Foto: Bjoern Matthes