Weg vom Links-Rechts-Schema

image

Ferdinand Riedl, 22, hat eine App entwickelt, die eine Diskussion ohne Vorurteile ermöglicht. Die Nutzer werden mit jemandem zusammen-gebracht, dessen Position von der eigenen abweicht – der Streit kann beginnen.

Ferdinand Riedl ist mitten in der Diskussion. Ruhig hört der 22-Jährige seinem Gegenüber zu, wägt ab und bringt sachlich seine Argumente vor. Es ist ihm wichtig, dass jeder seine Meinung sagen darf und alle Argumente ernst genommen werden – auch wenn das durchaus mal wehtun kann. Kontroverse Meinungen gehören da genauso dazu. Da kann es auch schon einmal passieren, dass man mit seinen Freunden fast aus einem Restaurant fliegt, weil die Diskussion so hitzig geführt wird. Meinungsfreiheit ist eben anstrengend, wenn sie gepflegt wird. Gut, dass Menschen wie Ferdinand das tun.

Aber der BWL-Student tut mehr, als nur im Privaten über Politik zu diskutieren. Er hat die App „Thesio“ programmiert, auf der sich Nutzer anonym und sachlich über Sachthemen austauschen und nach Möglichkeit kontrovers diskutieren sollen. Das Programmieren hat er sich selbst beigebracht und mittlerweile bereits eine Reihe von Apps entwickelt, etwa eine Zitate-App oder auch eine anonyme Frageplattform. Manche davon hat er schon wieder verkauft, außerdem entwickelt er Anwendungen für Unternehmen. Jetzt arbeitet Ferdinand mit seinem ganzen Einsatz an „Thesio“, „teilweise mehr als zwölf Stunden am Tag“, wie er sagt. 

Schon lange war er mit der Qualität der Diskussionen in Deutschland unzufrieden: zu oberflächlich, zu wenig konstruktiv aus seiner Sicht. Aber die Art und Weise, wie über die US-Wahl berichtet wurde, war für ihn der Auslöser, dass sich etwas ändern muss. Und dass endlich wieder Sachthemen im Mittelpunkt stehen müssen.

Doch wie soll die App genau funktionieren? Die Idee ist einfach: Nachdem ein Nutzer das Programm auf sein Smartphone geladen hat, beantwortet er zunächst einige Fragen zu seiner politischen Einstellung. Die Fragen sind bunt gemischt und gehen von der eigenen Parteipräferenz, über Einstellungen zu EU und Flüchtlingskrise bis hin zum Klimaschutz. „Ich will mich vom klassischen Links-Rechts-Schema möglichst entfernen und die Ideen in den Vordergrund stellen“, sagt Ferdinand über die Fragenauswahl. Danach werden die Nutzer anonym mit jemandem zusammen gebracht, dessen Position von der eigenen abweicht. Schließlich wird eines der Themen mit ausreichend großer Differenz vorgeschlagen: Nun soll eine sachliche Diskussion beginnen.

image

Eine sachliche Diskussion? Über kontroverse Themen wie die Flüchtlingskrise? Und das alles noch anonym? „Ich weiß, dass es im ersten Moment naiv klingen könnte. Aber ich glaube, dass bei vielen Leuten der Bedarf da ist, aus der persönlichen Blase rauszukommen und konstruktiv zu diskutieren“, sagt Ferdinand. Er ist sich bewusst, dass sein Ansatz radikal ist. Aber der Student ist überzeugt, dass man nur dadurch wieder mehr Struktur in die Debattenkultur bringen kann – und verhärtete Fronten auflösen kann. Und selbstverständlich gibt es Mechanismen, die erlauben, einen Nutzer zu blockieren oder eine Diskussion sofort zu beenden, wenn man es möchte. Auch ein gegenseitiges Belohnungssystem für eine sachliche Situation ist implementiert, wodurch man sogenannte Awards sammeln kann. Die Idee ist, dass Nutzer auf der gleichen Stufe zusammengebracht werden, sodass man sich hocharbeiten kann und mit Diskutanten redet, die ebenso sachlich wie man selbst an die Sache rangehen.

Dabei ist Ferdinand die eigene Neutralität als Plattformbetreiber sehr wichtig. Gelöscht oder blockiert werden nur Nutzer, die strafbare Inhalte verbreiten oder anderen Gewalt androhen, alles andere ist in der Verantwortung der Nutzer. „Ich habe ein absolutes Verständnis der Meinungsfreiheit und würde nur in Ausnahmefällen eingreifen. Ich habe aber einige Mechanismen eingebaut, die den Missbrauch der Plattform verhindern“, sagt er dazu. Eine offene Diskussion ist eben wichtig, wenn das Konzept funktionieren soll.

Kann so eine App erfolgreich sein und tatsächlich den Diskurs in Deutschland verbessern? Unter Umständen schon, findet Ronny Patz vom Münchner Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaften: „Ich finde die Idee, Leute aus ihren Filterblasen zu holen und ihnen eine Art Testumgebung für ihre politischen Argumente zu geben, sehr gut. Die Frage ist aber, wie man die Nutzer dann auch längerfristig an die Plattform binden kann.“ Er glaubt, dass dabei weniger ein Belohnungssystem, als eher der tatsächliche Mehrwert für die User helfen könnte: „Gerade bei kleineren Differenzen oder Differenzen nur in einzelnen Politikfeldern kann die App eine Möglichkeit sein, tatsächlich gemeinsame Synthesen zu finden, die der bloße Austausch von Extrempositionen nicht bieten kann. Hier könnte dann ein echter Erkenntnisgewinn für die einzelnen Nutzer liegen.“

Auch Ferdinand selbst ist sich bewusst, dass es das Schwierigste sein wird, die Nutzer dauerhaft zu konstruktiven Diskussionen zu animieren. Deshalb soll so schnell wie möglich eine Funktion implementiert werden, die es erlaubt, die gewünschte Distanz zwischen sich und seinem Diskussionspartner zu bestimmen. Aber natürlich wird der tatsächliche Erfolg der Anwendung hauptsächlich vom Engagement der Nutzer abhängen – und von deren Bereitschaft, die eigene Komfortzone zumindest teilweise zu verlassen. Ferdinand glaubt fest daran, dass „Thesio“ ein Erfolg wird und etwas zur politischen Debattenkultur in Deutschland beitragen kann. Natürlich weiß er, dass „Thesio“ auch scheitern kann, aber daran will er gar nicht denken: „Vielleicht bin ich einfach ein Idealist.“

Wen Ihr Lust habt, noch weiter über die App zu diskutieren, freut sich Ronny Patz darüber mit Euch auf Twitter zu schreiben (ronpatz).
Thesio selbst bekommt Ihr im iTunes-Store oder im Google Playstore.

Text: Philipp Kreiter

Fotos: Florian Peljak