Klare Linien

Grafik-Designer Simon Marchner, 27, druckt Konzertplakate – etwa für „The Notwist“. Das Besondere: Die Plakate sind Handarbeit und hängen nicht an Litfaßsäulen, sondern im Fan-Shop oder im Rahmen.

Im Skizzenbuch von Grafik-Designer Simon Marchner, 27, gibt es eine Doppelseite mit Eulen. Die Linienführung der schemenhaften Skizzen wechselt zwischen dicken und dünnen Strichen. Eine der Eulen ist im Gesicht ausgemalt. Unter ihr steht die genaue Bezeichnung: Schleiereule. Vögel und Eulen ziehen sich durch das Leben des jungen Mannes: „Ich habe schon im Kindergarten Vögel gezeichnet.“ 

Heute gestaltet Simon, der in München wohnt und arbeitet, neben den altbewährten Eulen vor allem Plakate für Musiker, Bands und Festivals. Aber keine Ankündigungsplakate, die an Litfaßsäulen oder Stromkästen hängen, sondern Kunstdrucke, die er in Handarbeit selbst herstellt und die als Erinnerungen oder Kunstwerke verkauft werden. Simons Arbeiten sind limitierte Unikate, nummeriert und vom Künstler signiert. Zu seinen Kunden gehören etwa die US-Indie-Gruppe Band of Horses oder die weit über Bayern hinaus bekannte Band The Notwist. Die Musiker mögen die individuellen Plakate von Simon und bieten sie ihren Fans an. Im Gegensatz zu Plakaten aus Internetdruckereien erhalten sie handgedruckte Plakate.
 Simon druckt die Plakate im Siebdruckverfahren – echte Handarbeit. Die 70 bis maximal 200 limitierten Plakate entstehen in einem Keller-Atelier in der Maxvorstadt. Alleine die Vorbereitung für den Druck dauert eine Stunde.

Das Verfahren ist sehr aufwendig, es lohnt sich aber für Simon: „Jedes Plakat unterscheidet sich durch den Druck minimal vom anderen“, sagt Simon, so gebe es nur Unikate. Besonders schätzt er seine Unabhängigkeit im Entstehungsprozess. Die sei ihm besonders wichtig. Er sei ein „absoluter Perfektionist“, der alles selbst machen muss. Aber nicht, weil er anderen nicht vertraue, sondern weil er viel Herzblut in seine Projekte steckt.
 Simon spricht sehr analytisch über einen „Prozess“. Einmal sagt er, dass er auch Leidenschaft und Gefühl in die Arbeit steckt, sagt aber gleich danach: „Aber ich lenke die Emotionen.“ Das Ergebnis sei wichtiger als der Prozess. Wirklich?
 

Auf der ersten Seite des schwarzen Skizzen-Buchs hat Simon handschriftlich eine Gleichung aufgeschrieben: „Beauty = Function.“ Schönheit ist Funktion. Ein Gegenthese zum Grundsatz der Kunstschule Bauhaus („Form Follows Function“), nach dem die Form der Funktion folgen muss, also die Funktion wichtiger sei als das Ästhetische. Simon räumt mit diesem Satz der Schönheit einen prominenten Platz ein, ohne aber die Sachlichkeit zu verlieren. Simon wird von beidem gleichermaßen geleitet, von dem Gefühl der Schönheit und der nüchternen Funktion, die sich so zeigt: Er überlegt lange, antwortet sehr reflektiert und strukturiert.
 

In der Arbeit speichert er jeden Zwischenschritt in einer eignen Datei ab. Simon hat klare Prozesse: Er entwickelt eine Idee, verbildlicht diese mit einem digitalen Stift am Computer und arbeitet dann schriftweise weiter bis zum fertigen Plakat. Das Emotionale zeigt sich so: Am Anfang zeichnet er kopflos Dinge und Gedanken in sein Skizzenbuch und lässt seiner Kreativität freien Lauf. Für Musik und die Bands, für die er arbeitet, entwickelt er mit Leidenschaft und Begeisterung Ideen. Er kann sich in Dingen verlieren: „Ich versuche abzuschalten, kann es aber nicht lassen“, sagt Simon, der oft nach der Arbeit zu Hause weiter arbeitet.
  

Simon bewegt zwischen Emotion und nüchterner Funktion. In ihm prallen der emotionale Künstler und der nüchterne Grafiker aufeinander: Simon sagt aber klar: „Ich bin Grafiker.“ Er denkt die Dinge vom vorgegebenen Ziel aus. Das sieht man auch an den Plakaten. Sie wirken durchdacht: selten mehr als drei Farben, klare Linien, minimalistisch und mit viel Freiraum. Neben den Lieblingsprojekten, den Plakaten, an denen er oft eine ganze Woche arbeitet, erledigt er auch grafische Auftragsarbeit. Da sei das reine Ergebnis das Ziel: „Das Logo für eine Ergo-Therapie-Praxis gehört eben auch dazu“, sagt Simon.

Solche Jobs hält Simon in vielen kleineren To-do-Listen im Skizzenbuch zwischen gezeichneten Wolken und Schmetterlingen fest. Bis vergangenen Freitag gehört auch die Finanzierung eines Buchs per Crowdfunding dazu. „Squeegee“ ist die Neuauflage eines Konzertposter-Buchs verschiedener Siebdruck-Künstler in Europa, die der Münchner Bernd Hofmann, besser bekannt als „Señor Burns“, herausgibt. „Squeegee“ stehe für den Sound des Rakel beim Siebdruckverfahren. Das Ziel, 9 000 Euro, wurde erreicht. Nun kann das Buch gedruckt werden. Es beinhaltet auch fünf Poster und ein Interview mit Simon. Die Eulen übrigens finden darin keinen Platz. Die werden im September gedruckt – auf der Unterseite eines Skateboards. Auch so etwas gehört dazu.  

Von: 

David-Pierce Brill

Fotos: 

David-Pierce Brill

Band der Woche: Vorteilspack

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Das Münchner Quartett Vorteilspack spielt auf ihrem zweiten Album „Dreamconstruct“ sphärisch verwunschene Popmusik. Akustik-Gitarre, Klarinette und Schlagzeug, unterlegt mit Bass und Synthesizer – fantasievoll und überraschend!

Der Bezug zur südosteuropäischen Volksmusik gab Blasinstrumenten in der Popmusik einen neuen Sinn. Zuvor tauchten diese – abseits von Funk- und Soul-Produktionen – fast nur noch im Ska auf. Als hektisch hüpfende und vorlaute Instrumentalstimmen, die Ende der Neunzigerjahre eine seltsame Liaison mit verzerrten Punk-Gitarren eingingen. Abseits dessen waren die Blasinstrumente dank des Musikantenstadls fest im Alpin-Kitsch gefangen. Doch irgendwann nach der Jahrtausendwende entdeckten westeuropäische Musiker die treibenden Wechselbässe der Volksmusik – jedoch eher in Moll statt im obligaten C-Dur gespielt. Die Inspiration kam vom Balkan und von Filmen wie „Schwarze Katze, weißer Kater“. Der Erfolg dieser Gruppen, deren bekannteste Vertreter La Brass Banda wurden, machte aus den neuen Klängen eine neue Bewegung der Popmusik, schließlich durfte dann auch die bayerische Volksmusik wieder ein Einfluss sein, was zu so skurrilen und eigenen Gruppen wie Kofelgschroa führte. Und mittlerweile hängen Blasinstrumente so fest in diesen musikalischen Assoziationen, dass die junge Münchner Band Vorteilspack noch einmal richtig überraschen kann.

Das Quartett, das ursprünglich aus dem westlichen Münchner Umland stammt, könnte laut Besetzung genau eine dieser Neo-Volksmusik-Gruppen sein. Doch die Musiker nutzen ihre Instrumente (Akustik-Gitarre, Klarinette und Schlagzeug) anders: Sphärisch verwunschene Popmusik spielen sie auf ihrem zweiten Album „Dreamconstruct“, das sie im vergangenen Sommer veröffenlichten. Lang gezogene Songs, in denen man Einflüsse von Portishead über Bon Iver bis The Notwist hört, und die weit entfernt sind von der verschrobenen Umpfta-Romantik manch einer der Bayern-Beat-Bands.

Damit jedoch dieser zurückgenommene, atmende Klang mit einer derartigen Besetzung gespielt werden kann, brauchten Vorteilspack ein wenig Einfallsreichtum und einen Synthesizer als Kitt. Denn die Töne der Klarinette und der Akustik-Gitarre sind erst einmal sehr konkret, klar definiert und ohne viel Nachhall oder eine große klangliche Breite. Doch die beiden Sänger und Gitarristen Max Grüner und Jakob Schuster haben schon seit Schulzeiten gemeinsam musiziert – und waren dabei immer mit einer gewissen Experimentierfreude zu Gange: Zu Hause haben sie damals schräge Gitarrenklänge, Stimmen und ab und an auch Geschrei aufgenommen, mit verschiedenen Effektgeräten verfremdet und daraus ihre Songs geschmiedet. Doch durch diesen Prozess sei es dann ziemlich bald „endgültig unmöglich“ gewesen, „diese Klänge live umzusetzen“, erzählt Max. Erst als Jonas Dannecker mit der Klarinette hinzu kam, konnten sie ihren Songs eine aufführbare Form geben: Der begann die klanglichen Lücken mit dem Blasinstrument zu füllen und den „einfach nur sehr fantasievoll zusammengespielten Gitarren“ ein rhythmisches Fundament zu geben. Und seit Elias Finsterlin mit Bass und Synthesizer einstieg, bekam die Musik trotz der immer noch hörbaren akustischen Zerbrechlichkeit Fülle.

An dieser Herangehensweise liegt es nun wohl auch, dass die Musik der Anfang-20-Jährigen nun so eigen klingt. In der Stilfindungsphase, die jede Band zu Beginn des jeweiligen Zusammenspiels durchmacht, haben sich Vorteilspack nicht auf klangliche Vorbilder bezogen, sondern die Musik, die bereits da war, der Frage unterworfen, was es denn brauche, um sie zu vervollständigen. Eine Mühe, die sich gelohnt hat. Denn auch wenn die Band ihren Namen etwas unsexy von einer Nudelverpackung abgelesen hat: Die Musik, die sie machen, öffnet das Gehirn des Zuhörers – einfach weil sie weder zu gewollt Trends hinterher rennt, noch überintellektualisiert kompliziert wirkt. 

Stil: Neo-Akustik

Besetzung: Max Grüner (Gitarre,
Gesang), Jakob Schuster (Gitarre, Gesang), Jonas Dannecker (Klarinette,
Drums, Gesang), Elias Finsterlin (Bass, Synthesizer)

Aus: München, Germering, Gilching, Herrsching

Seit: 2013

Internet: vorteilspack.bandcamp.com

Von Rita Argauer
Foto: Lorenz Zitzelsberger