Daumen hoch

Ob auf der Fahrradstange oder einem Tuk-Tuk, mit vielen schönen Erlebnissen, Glück und einmal mit Todesangst – Nicola Deska ist von London nach Australien getrampt, an ihrem Lieblingsort will sie nun ein Café eröffnen.

Acht Autos sind in vier Stunden vorbeigekommen – und sie ist keinen Meter weiter. Nicola, eine junge Frau mit langem braunem Haar, tätowierter Haut und großen braunen Augen, ist irgendwann nur noch frustriert. Die Chinesen sind zwar unglaublich hilfsbereit, aber wollen scheinbar einfach nicht verstehen, wo sie hin möchte. Schließlich gibt sie auf und fährt mit dem Bus zur richtigen Autobahnauffahrt – in der Hoffnung, dass sie jemand von dort mitnimmt und nicht plötzlich einfach umdreht und sie weitere vier Stunden im Kreis um die immer selbe chinesische Millionenstadt fahren muss.

Nicola Deska, 28, kann viele solcher Anekdoten erzählen. Während der acht Monate, die sie von London in England bis nach Byron Bay in Australien durch 20 Länder getrampt ist, hat sie lustige, absurde, frustrierende und traurige Geschichten erlebt, wie sie das Leben schreibt.

Schon seit sie 14 ist, reist Nicola regelmäßig alleine. Länger an einem Ort gehalten hat es sie seitdem nie. „London habe ich schon ein paar Mal in meinem Leben mein Zuhause genannt“, sagt Nicola.

Geboren ist sie in München. Doch dort habe sie sich schon als Jugendliche nie so wirklich heimisch gefühlt. „München war für mich immer ein Ort, der mir genau gezeigt hat, was ich im Leben nicht möchte“, sagt sie. Hier werde man auf Ausbildung, Netzwerk und Vermögen reduziert. Nur wegen ihrer Mutter und engen Freunden komme sie ab und zu noch zu Besuch. Länger hier gelebt hat sie nicht, seit sie mit 17 die Schule geschmissen hat, um „abzuhauen“.

Seitdem packt Nicola regelmäßig ihren Rucksack und lernt vom Leben das, was ihr kein Lehrer je hätte vermitteln können – da ist sie sich sicher. Das Geld, das sie zum Reisen braucht, verdient Nicola sich durch diverse Jobs in der Gastronomie. Bewusst hat sie sich für diesen Berufszweig entschieden, denn Restaurants und Bars, in denen man arbeiten kann, gibt es überall auf der Welt.

Von England nach Australien. In wie viele Autos sie gestiegen ist, weiß die junge Frau nicht mehr. Ab und zu musste sie mit der U-Bahn an die Stadtgrenze fahren; und einige Male haben Menschen sie zwar mitgenommen, wollten aber am Ende doch Geld dafür. Den Rest der Zeit hat sie sich hauptsächlich von Autos, aber auch Trucks, Fähren, fahrenden Essensständen und Tuk-Tuks mitnehmen lassen – völlig umsonst, wie das beim Trampen üblich ist. In Thailand habe ein Mann sie sogar auf seinem Fahrrad mitgenommen. „Ich saß vorne auf der Lenkradstange und meinen Rucksack hat er auf den Gepäckträger geklemmt“, sagt Nicola und lacht bei dem Gedanken daran.

Trampen. Eine Art zu Reisen, die in Deutschland vor allem in den 70er Jahren weit verbreitet war und dann durch zuverlässigere und sicherere Reisemöglichkeiten wie Mitfahrzentralen und Fernbusse kurzzeitig verdrängt wurde. Seit Anfang der 2000er Jahre scheint der Trend jedoch wiederbelebt worden zu sein. Vor allem junge Menschen haben das Trampen neu für sich entdeckt. Es ist die umweltfreundliche Alternative für jene, die nicht aufs Reisen verzichten wollen, aber der Umwelt zuliebe nicht fliegen wollen und sich, ähnlich wie beim Carsharing, ein Auto teilen, statt sich selbst eines zu kaufen.

In Deutschland sei es sehr einfach zu trampen, weil die Infrastruktur sehr gut ausgebaut sei, sagt Nicola. In Osteuropa sei Fahren per Anhalter ebenfalls seit jeher eine gängige Art zu Reisen, Menschen in Asien sei das Konzept allerdings größtenteils völlig fremd. Wie vielen anderen Trampern geht es Nicola aber nicht in erster Linie darum, kostenlos zu reisen: Im Gegenzug für die Mitfahrgelegenheit habe sie für die Menschen, die sie mitgenommen haben oder für Couchsurfer, die sie bei sich übernachten haben lassen, gekocht und dafür häufig mehr Geld ausgegeben, als sie für ein Zugticket bezahlt hätte, sagt sie. Es ist der Austausch, der ihr gefällt. „Die tun etwas für mich, ich tue etwas für die – so schließt sich der Kreis“, lautet ihre Philosophie. Genauso handhabt sie das auch bei der Suche nach einem Schlafplatz: Sie hilft in Hostels beim Saubermachen oder auf Bauernhöfen bei der Ernte und bekommt dafür Essen und ein Bett. Es ist ein Geben und ein Nehmen – das für viele Tramper zum Lifestyle geworden ist.

Eine Frau allein auf Reisen, das klingt für viele nach Gefahr. Und obwohl Nicola, die ein goldenes Septum in der Nase trägt und deren Arme und Beine mit Tattoos übersät sind, nicht wie eine Frau aussieht, die sich nicht zu helfen weiß, hat sie doch einige Regeln beim Reisen, die sie immer befolgt. Regel Nummer eins: Vertraue immer deinem Bauchgefühl. „Wenn ich merke, dass mich ein Typ erst mal von oben bis unten mustert, dann steige ich gar nicht erst ein“, sagt sie. Außerdem würde sie niemals betrunken oder unter Drogeneinfluss trampen. Länder wie Finnland, Russland, Malaysia, China und Kambodscha hat Nicola auf dem Landweg durchquert – ohne ein einziges Mal in Gefahr gewesen zu sein. „Es ist unglaublich, wie gut die meisten Menschen sind“, sagt Nicola.

Natürlich hat Nicola aber auch schon mal Angst gehabt, Todesangst. Sie wartet eines Abends auf einer Landstraße in Lappland auf eine Mitfahrgelegenheit, knietief steht sie im Schnee. Es wird schon langsam dunkel, als endlich ein Auto anhält. Ein großer Mann mit ernstem Gesichtsausdruck steigt aus und nimmt, ohne auch nur Hallo zu sagen, ihren Rucksack und wirft ihn ins Auto. Nicola hat nur wenige Sekunden, um zu entscheiden, ob sie einsteigen soll. Sie wägt ihre Möglichkeiten ab: Entweder im Schnee erfrieren oder mit dem Mann mitfahren und hoffen, dass alles gut ausgeht. Sie steigt ein. Per Translator-App versucht sie dem Mann zu erklären, dass sie an der nächsten Tankstelle raus gelassen werden will.

Die Tankstelle kommt, aber der Mann fährt weiter. Nicola malt sich die verschiedensten Horrorszenarien aus. Als das Auto schließlich anhält, stehen sie vor einem Haus mitten im Wald. In der Tür stehen eine Frau, ein kleines Kind und ein Hundewelpe. Sie kann duschen und bekommt etwas zu essen und schließlich fährt sie der Mann sogar mitten in der Nacht in die 200 Kilometer entfernte Stadt Turku – einfach so. „Der Mann war einer der nettesten Menschen, die ich je kennengelernt habe“, sagt Nicola. Damals hatte sie Angst, heute weiß sie, dass diese Angst unbegründet war – und dass sie viel Glück gehabt hat.

Wer alleine reist, der lernt aber nicht nur seine Mitmenschen besser kennen, sondern vor allem sich selbst. „Ich habe gelernt, mein eigener bester Freund zu sein“, sagt sie, und als sie lacht, klingt es wie ein Glucksen. Statt, wie früher, jeden Tag nach der Arbeit noch mit ihren Kollegen feiern zu gehen, gehe sie heute lieber alleine im Wald spazieren, sagt Nicola.

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie nicht mehr gerne unter Menschen ist – im Gegenteil. Durch ihre Reisen habe sie wunderbare Menschen überall auf der Welt kennengelernt, sagt sie. Natürlich ist es nicht immer leicht, über die Distanz den Kontakt zu halten, aber das ist für Nicola eher eine Frage des Willens. „Ich habe nicht das Gefühl, dass meine Freundschaften unter dem Reisen leiden“, sagt sie. Alle Menschen, die ihr nahe stünden, wüssten, dass das Reisen ein Teil von ihr sei und würden diesen Freiheitsdrang auch an ihr schätzen, sagt sie. Nicola gefällt vor allem die Idee, ihre Freunde überall auf der Welt miteinander zu verbinden. Viele ihrer Freunde haben sich über sie kennengelernt und so hat sich über die Zeit eine Art „Netz aus Freunden“ gebildet, wie sie sagt, die sich alle gegenseitig kennen und schätzen. Für Nicola ist es wie ein Sicherheitsnetz, das sie immer wieder auffängt – egal, wo auf der Welt sie gerade ist.

Das Ziel ihrer Reise, Byron Bay, hat Nicola im Juni diesen Jahres erreicht. Viele ihrer Freunde und Bekannte haben ihr von diesem Ort erzählt, ihr gesagt, der sei genau das Richtige für sie. Vorgestellt hat sie sich diesen paradiesischen Ort mit vielen, kleinen Holzhütten direkt am Strand, umgeben von blühender Natur. Genau so einen Flecken hat sie auf ihrer Reise gefunden, aber der Ort hieß nicht Byron Bay, sondern Koh Phayam, eine Insel im Westen von Thailand. Im Winter 2017 möchte sie dorthin zurückkehren und an der Stelle ein Café eröffnen. Für Nicola ideal: Die Westküste Thailands ist während der Regensaison besonders stark betroffen und so kann sie sechs Monate im Jahr dort arbeiten, sechs Monate im Jahr reisen. Für die rastlose Weltenbummlerin ein idealer Kompromiss: An dem für sie schönsten Ort der Welt kann sie zeitweise leben und gleichzeitig mit dem Café Geld für ihre nächsten Reisen ansparen.

Text: Jacqueline Lang

Foto: Marcel a Vie

Zeichen der Freundschaft: Nah und fern

Reisen verändert. Nicht nur die eigene Wahrnehmung von den Dingen die einen umgeben. Auch Freundschaften, die auf einer Reise entstehen, heben sich oft von anderen ab. So ein Kennenlernen hat unsere Autorin erfahren, auf einer Reise durch Thailand

19. Dezember 2016, 10:00 Uhr, Flughafen München, Terminal 2:
Ich starre gespannt auf die Anzeigetafel der Arrivals. Die Air Canada 846
verspätet sich um eine Stunde. Ich bin aufgeregt und kann zugleich meine
Vorfreude kaum verbergen. Vor fast genau einem Jahr öffneten sich für mich die
Türen des Terminals nach 3 Monaten Asien. Liebevoll und unter Tränen der Freude
wurde ich von meine Liebsten empfangen.

Im Flughafengetümmel lasse ich mich von meinen Erinnerungen
treiben. Neben mir Menschen, die sich in die Arme fallen, sich küssen, zusammen
weinen, spüren, wieder vereint zu sein.

Und gleich soll es mir genauso gehen. Nach fast einem Jahr soll eine meiner
besten Reisebekanntschaften aus meiner Zeit in Asien landen: AJ, eine junge New
Yorkerin, die das Leben liebt und gerne lacht. Sie ist so ganz natürlich sie
selbst, manchmal tollpatschig, immer ehrlich, immer offenkundig an Jedem und
Allem interessiert.
Wie wird unser Wiedersehen wohl aussehen? Was wird uns erwarten?

Ich blicke ein weiteres Mal sehnsüchtig auf die
Anzeigetafel. Eine weitere Stunde Verspätung. Ich denke über AJ und unsere
Freundschaft nach.

Zu gerne erinnere ich mich an unser erstes Kennenlernen zurück. Es war eine ganz besondere Begegnung. Mit anderen Freiwilligen verbrachten wir unseren ersten Abend in Chiang Mai auf einem der wundervollen Märkte. Künstler der ganzen Stadt trafen sich hier um ihre Kunstwerke an den Mann zu bringen. Der Duft von thailändischem Essen, die Livemusik im Hintergrund und die vielen verschiedenen Künstler schafften eine ganz eigene Atmosphäre. Fasziniert von den fremden Eindrücken, riss mich AJ plötzlich mit den schiefen Klängen einer Ukulele aus den Gedanken. Sie konnte nicht Gitarre spielen und auch nicht Singen. Da stand sie nun, musizierte, lachte und fragte mich wie ich die Ukulele denn fände und ob ich nicht auch mit ihr spielen wollen würde. Ich lies mich von ihr mitreißen. Wir probierten uns durch den ganzen Laden. So richtig verstanden habe ich nicht, warum man sich eine Ukulele aus Thailand nach Amerika mitnehmen wollte. Es muss nicht immer alles Sinn machen, um Spaß zu machen, meinte AJ zu mir. So tanzten wir noch den ganzen Abend lebensfroh über den Markt und ließen uns vom Nachtleben treiben. Zwar ohne Ukulele, aber mit dem Gefühl, den Beginn einer Freundschaft gefunden zu haben. Vor fast genau einem Jahr feierten
wir dann meinen Geburtstag  mit Singha Bier
und Pizza aus dem Wok. Weihnachten zelebrierten wir unter Palmen mit Plätzchen
aus der Heimat. Es war die beste Zeit meines bisherigen Lebens.

Auch wenn wir uns nicht täglich sehen und wenn wir wissen,
dass ein Wiedersehen nach nur fast einem Jahr über diese Distanz nicht selbstverständlich
ist, so wissen wir doch, dass unsere Freundschaft etwas ganz Besonderes ist und
wir immer aufeinander zählen können. Wir haben uns unter besonderen Umständen
kennengelernt. Eine Begegnung, wie es das Schicksal wollte. Wir fühlten uns miteinander
verbunden. Auf derselben Wellenlänge getragen. Ich war zu Beginn die
Vernünftige, AJ das pure Leben. So blieb die Ukulele auf meinen Rat in
Thailand, unserer peinlicher Auftritt an jenem Abend aber für immer in unserer
Erinnerung.

12:00 Uhr: Die Türen des Terminals öffnen sich. Hinaus
strömt eine ganze Menge an unterschiedlichen Menschen. Inmitten der Menge eine
kleine New Yorkerin mit viel Gepäck und einem Strahlen im Gesicht. Ich spüre
unsere unveränderte Verbundenheit in unserer langen, innigen Umarmung inmitten
des Flughafengetümmels, inmitten all der unvergesslichen Erinnerungen. Seit
wenigen Tagen ist AJ wieder in Amerika und wir fühlen uns noch immer verbunden.
Und wer weiß,
vielleicht geben wir eines Tages tatsächlich noch ein Ukulele-Konzert als Zeichen unserer Freundschaft.

Text: Laura Schurer

Foto: Yunus Hutterer