Aus der Masse herausstechen, das gelingt nicht vielen Künstlern. April Haze schafft es dennoch. Der Unterschied zu anderen Künstlern liegt im Kleinteiligen.
Fiona Apple brüskierte einst die Musikindustrie. Das ging 1997 noch recht einfach: Es reichte, wenn eine junge Frau mit famoser Stimme, die gerade für ihr Debütalbum gelobt und geliebt wurde, bei den MTV Music Awards in Fäkalsprache verkündete, was sie von dieser Welt halte: nämlich nichts. Entsetzen folgte bei den Plattenfirmen. Heute gehört die Kritik jedoch zum guten Ton. Stars, die sich differenziert äußern, werden gelobt. Und derbe Sprache ist zugleich eine Performance. Belächelt werden heute eher die Lieblichen. Aufrührerisches ist en vogue, das zeigt sich nicht zuletzt darin, wie sehr etwa queere Ästhetiken vom Mainstream benutzt werden und vormals subkulturelle Codes der Abgrenzung wie Tätowierungen bei den großen Glamour-Stars dazu gehören. Ganz anders ist das bei der Musik. Es scheint fast so zu sein: Je subversiver die Aussage, desto zuckriger der Sound. Eine These, die in Yun Hurns Achtzigerjahre-Schmonzette „Diamant“ einen Höhepunkt erlangt. Der Mainstream leiht sich die subkulturellen Symbole zwecks der Authentizität, die Subkultur bedient sich des Bubblegum-Pop-Sounds, um damit eine Art Ermächtigung über den Mainstream zu erreichen.
In dieser seltsamen Verdrehtheit taucht nun das Münchner Duo April Haze auf. Und hier funktioniert das plötzlich alles nicht mehr. Die Tattoos wirken hier nach alter Manier als Abgrenzung zur Masse. Und das Duo sieht aus wie die Clique der Outsiders in amerikanischen High-School-Filmen der Neunzigerjahre. Dazu machen April Haze Musik, die sich ernst nimmt. Aus einer coolen, postironischen Sichtweise der Gegenwart, die so etwas wie den Song „Diamant“ hervorgebracht hat, ist es ein Leichtes, über diesen Anspruch von April Haze zu lächeln. Sängerin Miriam Krost singt ein wenig überambitioniert, eben mit Nachdruck ob der Wichtigkeit ihrer Aussagen. Und Multiinstrumentalist und Arrangeur Rick Strauß schafft dazu einen opulent instrumentierten Sound. „Uns ist es wichtig, sich selbst bei der Musik treu zu bleiben“, erklärt Miriam. Sie wollen mit der Musik etwas „ganz Individuelles und Originelles“ kreieren. Doch angesichts der Ironie und der symbolischen Verdrehung, die ja auch zugleich ein Schutzmechanismus vor Kritik ist, erfordert es doch einigen Mut, so an die Musik heranzugehen, wie Miriam und Rick das tun.
Wenn man jedoch Songs wie „Hurricane“ hört, dann löst sich da etwas ein: Denn April Haze klingen wirklich anders als vieles in der Münchner Bandszene. Und das, obwohl sie nicht versuchen, die Dinge schreiend laut anders zu machen, die Abgrenzung erfolgt hier mehr im Kleinteiligen. Das beginnt bei Miriams Stimme, die in ihrer leichten Belegtheit eine gewisse Ähnlichkeit mit der bereits erwähnten Fiona Apple hat. Hinzu kommen opulente Streicher und eine gezupfte Gitarre, die mit sauberem Klaviersound gemischt wird und so ein wenig nach einem Cembalo klingt. Der Beat darunter rollt dagegen beinahe groovend wie in einem Soul-Song. Ja, das wirkt alles ein wenig zusammengeschustert, in den guten Momenten verbindet sich das aber zu einer Art der neuen Nachdrücklichkeit, die gut tut. Gerade in Deutschland. Denn oft wirkt es so, als fehle es der deutschen Popmusik im Vergleich zu den englischsprachigen Ländern ein wenig am Selbstvertrauen. So wird eben nicht einfach und mit den verfügbaren Mitteln, Stilen und Klängen, die sich in mehr als 70 Jahren Popmusik so gefunden haben, musiziert und experimentiert. Oft wird viel mehr über Text und Ironie ein Schatten dieser verschiedenen Popstile konstruiert. Da gibt es tolle Dinge. Doch es ist auch immer wieder erfrischend, wenn sich Bands unbefangen ans Songschreiben machen, wie April Haze das tun.
Text: Rita Argauer
Foto:
Alex Brandt