Band der Woche: Pho Queue

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Songs an der “Schnittstelle zwischen
Auflegen und Musikmachen”, zwischen “elektronischer Musik und Ensemble-Arbeit”: das Münchner Trio Pho Queue beweist, dass computerbasiertes Soundgdesign keinen Gegensatz zu anspruchsvoller Komposition darstellt.

Wenn man vor 40 Jahren elektronische Musik machen wollte, musste man gut bei Kasse sein. Die ersten Synthesizer, die ansatzweise dem entsprachen, was man sich heute darunter vorstellt, kosteten so viel wie ein Haus. Entwickelt wurden sie von Robert Moog, und sie waren noch monophon – sie konnten also immer nur einen Ton zur gleichen Zeit erzeugen. Mit Akkorden ging da nichts, der Weltraum-Ufo-Klang passte aber zum damaligen Mondlandungsgefütterten Science-Fiction-Geist.

Heute ist der Synthesizer, der das Zeitalter der elektronischen Musik einläutete, hingegen wohl eher ein Demokratisierungsinstrument der Musik. Denn während man für die Beherrschung der üblichen Instrumente Unterricht braucht, ist es einfach und selbst erlernbar, auf einem Synthesizer zu spielen; man braucht dafür viel mehr Ideenreichtum und Experimentierfreude als technische Beherrschung. Sowieso ging die Entwicklung der elektronischen Musik zwangläufig mit der Entwicklung neuer Instrumente einher – und diese zu spielen, ist etwas, dass man neben der Musik quasi mit hinzu erfinden muss.

Für den Münchner Felix Kirner zeigte sich das in seiner Jugend an einem noch extremeren Beispiel als dem Synthesizer, den er heute bei der Band Pho Queue spielt: Mit 13 Jahren sei er durch das Auflegen zur Musik gekommen: „Am Turntablism hat mich damals speziell interessiert, dass sich der Plattenspieler als Instrument einsetzen lässt und man so neue Musik kreieren kann“, sagt er. Im März 2017 gründete er mit Adriano Prestel (auf dem Foto rechts neben Felix Kirner) und Ferdinand Kirner die Band Pho Queue. Ein etwas wirrer Name, der diverse Assoziationen zulässt, von einem vietnamesischen Suppengericht zur oft belächelten englischen Sitte, sich bei jeder Gelegenheit in Reihen anzustellen, hin zum Billard-Stoßgerät und dem Homophon zu VoKü, der Abkürzung für Volksküche, im linken Punkbereich beliebt, um günstiges Essen für alle bereitzustellen. Die Band selber verweist dabei konsequent auf die Suppe, denn beim Genuss dieser hätten die drei Musiker beschlossen, doch mal zusammen zu musizieren.

Letztlich ist das jedoch auch alles nicht so wichtig, denn spannender ist hier die Musik: Pho Queue ist eine Band, die sich genau an der Schnittstelle zwischen Auflegen und Musikmachen und zwischen elektronischer Musik und Ensemble-Arbeit befindet. Eine klassische Bandbesetzung wird hier durch elektronische Elemente erweitert und ersetzt. Pho Queue schreiben aber weiterhin eher Songs und keine Tracks. Denn darin befindet sich der vielleicht substanziellste Unterschied zwischen Band-Musik und DJ-Musik. Die Tracks der DJs sind beatbasierte, meist instrumentale Endlosschlaufen, die durch Modulation und Addition von Geräuschen und anderen Klängen der Stimmung im Club angepasst werden. Band-Songs hingegen orientieren sich meist am Gesang, aber auch an Strukturen wie Strophen und Refrains. Pho Queue schreiben nun Songs, die sich am souligen und breiten Gesang von Adriano Prestel entfalten, deren musikalische Substanz sich aber aus dem Turntablism und der Ästhetik von DJ-Tracks ergibt. Auch in ihrer Besetzung vollzieht das Trio die Verbindung dieser beiden Herangehensweisen: Die Brüder Felix und Ferdinand Kirner spielen Gitarre und Synthesizer – auch hier werden also die jeweiligen Signature-Instrumente von elektronischer Musik und Bandmusik vereint. Ohne den ganzen theoretischen Hintergrund klingt etwa der Song „Downtight“ dann nach modernem Soul, der den Geist der Clubs atmet. Ihren ersten Auftritt hatten sie auf dem FNY-Festival in einer Tiefgarage im Werksviertel. Gerade arbeiten sie an einem ersten Album.

Stil: Soul/EDM
Besetzung: Adriano Prestel (Gesang), Felix Kirner (Synthesizer), Ferdinand Kirner (Gitarre)
Aus: München
Seit: 2017
Internet: www.soundcloud.com/phoqueue


Text: Rita Argauer

Foto: Sophie Wanninger

Band der Woche: Fox & Grapes

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Der Sound der Münchner Dark Pop Band Fox & Grapes ist geprägt von schwelenden Synthesizer. Mit ihrer Musik stechen sie aus dem gewohnten Synthie-Indie-Pop

heraus.

Madonna wurde eine Zeit lang für ihr Dasein als Chamäleon ziemlich geschätzt. Das war um die Jahrtausendwende und noch vor der Zeit, als die Grande Dame der Popmusik eher durch Seltsamkeiten als durch Musik die Aufmerksamkeit auf sich zog. Damals hieß es, die Dame erfinde sich für jedes Album neu. Da kam sie für ein Lied als Henna-tätowierte Gothic-Raben-Lady („Frozen“) an den Strand, einen Song später landete sie dramatisch und mit allerhand religiösen Symbolen des Judentums ausgestattet beinahe auf dem elektrischen Stuhl („Die another Day“). Ziemlich radikal, provokant und dennoch spannend waren diese Sprünge in der Ästhetik. Anders ist das bei Radiohead. Die gibt es heute auch noch und die machen auch heute noch ziemlich großartige Musik. Doch der fließende Übergang von der Gitarrenband auf „Pablo Honey“ und „The Bends“ zu den elektronisch angereicherten und im Popkontext bis dato eher unerhörten Klängen auf „Ok Computer“, „Amnesiac“ und „Kid A“ beeindruckt. Eine Entwicklung, viel weniger spektakulär als bei Madonna, aber musikalisch entsprechend tiefer greifend.

Ein wenig wirkt es so, als würde die Münchner Band Fox & Grapes diesen Weg musikalisch nachzeichnen. Auf den ersten Blick sieht das Münchner Quartett um Sänger, Gitarrist und Songschreiber Jonathan Haellmayer, das sich am liebsten im blau-gefärbten Gegenlicht ablichten lässt und verträumt-verloren im Leben herumsteht, wie eine weitere Reinkarnation des Dream- bis Dark-Pop der Achtzigerjahre aus. Schwelende Synthesizer prägen auch den Sound der aktuellen Single „Song for U“, Glöckchen-Samples gesellen sich zum echten Schlagzeug, und Jonathan singt über unerfüllte Begierde. Doch beim zweiten Titel der aktuellen EP „Demo XVII“, „Everybody has a Prize“, rauscht eine Gitarre dazwischen. Und plötzlich entsteht dieses akustische Zwielicht zwischen Knister-Beat und Gitarrenwärme, welches Radiohead auf der Platte „Kid A“ perfektioniert hatten. Es ist künstlerisch höchst virtuos, solche Momente zu konstruieren. Doch in dieser Intensität entsteht so etwas wohl am ehesten, wenn man als Musiker selbst diesen Weg von der Gitarren-Band zum elektronisch-avancierten Popprojekt gegangen ist.

Bei Jonathan und seinem Bandkollegen, dem Bassisten Antonio Merker, war das die Gitarren-Band Vaccine. Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends spielten sie zwischen der Zurückhaltung der frühen Radiohead und dem ausladenden Harmonie-Gebade von Coldplay. Nach der Auflösung von Vaccine, fanden sich die beiden dann mit dem Schlagzeuger Philip Spiegel und Sabrina Seitz am Synthesizer und Sampler 2015 zu Fox & Grapes zusammen. Und zur jahrelangen Gitarrenband-Erfahrung begannen sie nun auch eine gewisse Faszination für den größenwahnsinnigen Synthie-Symphoniker Jean Michel Jarre auszuleben. „Jarre ist Gott“, sagt Jonathan pragmatisch-ironisch dazu. In der Musik prallen so jedoch eine ganze Menge spannender Unvereinbarkeiten aufeinander: die Künstlichkeit großer Synthie-Flächen und die Nahbarkeit von Gitarren etwa. Oder der warme emotional involvierte Gesang Jonathans und die kühlen reduzierten Disko-Beats am Schlagzeug. Dass das Ganze nicht nach beliebigem Synthie-Indie-Pop klingt, mag wohl an der jahrelangen Entwicklung der Band liegen. Doch ein klein wenig Plan steckt auch dahinter: „Aus unserer völlig subjektiven Sicht gibt es in München einen Überfluss an tanzbarer Partymusik“, erklärt Jonathan, sie hätten jedoch hier auch tolle Freunde gefunden und würden nun das System eben von innen heraus zerstören. Die Trümmer, die sie dabei erzeugen, klingen ganz herrlich.

Stil: Dark Pop
Besetzung: Jonathan Haellmayer (Gesang, Gitarre), Philip Spiegel (Schlagzeug), Antonio Merker (Bass), Sabrina Seitz (Gesang, Synthesizer, Licht)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: www.foxandgrapes.net


Text: Rita Argauer

Foto: Thomas Lutz