Schrecklich schön

Nadja Ellinger, 25, hat das Buch „About A Girl Gone Into The Woods“ illustriert – ein Märchen für Erwachsene,eingebettet in eine düster-schöne Fotostrecke. Die junge Künstlerin wandelt Emotionen in ausdrucksvolle Bilder um.

Ganz sanft, fast schon streichelnd fährt Nadja Ellinger, 25, über den Einband des kleinen Buches in ihrer Hand. Das Material ist schwarz und ähnelt dunklem Holz. Ein Schmetterling ist darin eingeprägt. „Man kann allein schon mit dem Buch an sich so vieles machen. Die Prägung, das Material, die Farbe – in allem steckt eine Bedeutung“, sagt Nadja fasziniert, ohne ihren Blick davon zu lösen. Nicht nur auf dem Einband finden sich Symbole. Alle 132 Seiten von „A Girl Gone Into The Woods“ sind gespickt mit Anspielungen. Autorin Sinem Scheuerer schrieb die Erzählung, die Nadja Ellinger mit ihren Fotografien illustrierte. Entstanden ist eine ungewöhnliche Mischung: ein Märchen für Erwachsene, eingebettet in eine düster-schöne Fotostrecke.

Rückblick: Die beiden Frauen lernten sich während der Arbeit an einem Videoprojekt kennen. „Sinem erzählte mir, dass sie eine Illustratorin für ihre Märchenerzählung suchte. Der Text passte super zu meinem Foto-Konzept“, sagt die junge Fotografin. „Ich hatte mich bereits zuvor viel mit Märchen beschäftigt und mich in die Theorie eingelesen. Das Medium gefiel mir von Anfang an“, sagt Nadja. Ihrer Meinung nach seien Märchen sehr offen, und dennoch gebe es oft einen ähnlichen Ausgangspunkt in den Erzählungen. Der Held oder die Heldin bricht zu Beginn von zu Hause aus und flieht in eine unbekannte Welt, in der Aufgaben und Herausforderungen warten.

Eine solche Dramaturgie verfolgt auch der Erzählstil von „About A Girl Gone Into The Woods“. Ein junges Mädchen verlässt ihr Heimatdorf und betritt den angrenzenden Wald. Wie für ein Märchen typisch, begegnen ihr dort unterschiedliche Gestalten. „Zuerst wird die Protagonistin von Wölfen verfolgt. Sie hat Angst, erkennt dann aber, dass es gar keine Wölfe, sondern Hunde sind, vor denen sie weg läuft. Das Fremde erweist sich als weniger furchteinflößend, wie zu Beginn vermutet“, erklärt Nadja. „Visuell habe ich das so umgesetzt, dass auf den Bildern nachts die drei jagenden Hunde dargestellt werden. Sobald das Mädchen jedoch seine Furcht überwindet, stellt es fest, dass es nur ein harmloser Hund ist, der ihr Begleiter wird“, sagt die Fotografin. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass ein Auge des Hundes zugenäht ist. „Das ist so, weil Sinem selbst in ihrer Kindheit einen Hund hatte, dem ein Auge fehlte. Die Geschichte enthält viele autobiografische Details aus dem Leben der Autorin“, erklärt Nadja.

Sinem Scheuerer schreibt überwiegend Schulbücher für Deutsch als Fremdsprache. Sie möchte in Zukunft auch Romane und Kinderbücher veröffentlichen. „Als ich mit Nadja über das Konzept sprach, wurde schnell klar, dass sie – auch ohne Sachen groß erklären zu müssen – verstand, worum es mir bei diesem Text geht. Die Arbeit an dem Projekt war etwas sehr Persönliches“, sagt Sinem Scheuerer. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit und enthält viele Parallelen zum Leben der Autorin. „Klar versteht nicht jeder die autobiografischen Symbole in den Bildern. Das ist aber nicht weiter schlimm. Die Geschichte spielt auf so vielen unterschiedlichen Ebenen. Jeder kann sie auf seine Art lesen“, sagt die 35-jährige Autorin.

Wenn Nadja durch die Seiten des Buches blättert und jedes einzelne Symbol erklärt, dann scheint es so zu sein, als ob jeder Millimeter der Fotografien bis auf das kleinste Detail durchdacht wurde. „Es sind einige Anspielungen auf Mythen enthalten. Auch der Schmetterling spielt eine zentrale Rolle. Das Symbol wiederholt sich mehrfach im Buch. Er steht für das Gefangensein und die Entfaltung zugleich“, erklärt Nadja. Das Buch soll jedem gewidmet sein, der Mut beweisen muss. Autorin Sinem Scheuerer weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, Angst vor Herausforderungen zu haben. „Manche Dinge scheinen anfangs schlimmer zu sein, als sie in Wirklichkeit sind. Man muss nur begreifen, dass man selbst den Schlüssel zur eigenen Befreiung hat“, sagt sie. Thematisiert wird die Angst vor dem Fremden.

Sinem Scheuerers Geschichte spricht Menschen unterschiedlich an. Der Zugang zum Text der Geschichte, besonders aber zu den Bildern ist sehr individuell. „Bei der Umsetzung des Projekts brachten sich alle Beteiligten auf unterschiedliche Art und Weise ein“, sagt Nadja und zeigt auf eine Buchseite mit einer verschwommenen Fotografie. „Das sind Blätter von Bäumen. Ich war nachts alleine im Wald und habe einige Aufnahmen gemacht. Ich wollte das Gefühl und die Atmosphäre auf mich wirken lassen und so meine eigene Emotion in das Buch packen. Ein Foto-Shooting ist immer eine Art Seelen-Striptease, auch für den Fotografen selbst.“

Obwohl sich die Umsetzung des Projekts anfangs auf Nadjas Bachelor-Arbeit begrenzte, wollen die beiden Frauen das Märchen nun für eine breitere Masse zugänglich machen. Momentan sind sie auf der Suche nach Verlagen und überlegen, eine Crowdfunding-Aktion ins Leben zu rufen. „Das Buch ist sehr speziell, was es aber besonders macht. Ich würde mir wünschen, dass viele etwas damit anfangen können, gerade weil der Zugang zur Geschichte und den Bildern etwas sehr eigenes und persönliches ist“, sagt Nadja.

Charakterstudien und Gefühlswelten ziehen sich wie ein roter Faden durch Nadjas Projekte. Im Rahmen der Ausstellung „10 im Quadrat Reloaded“ der Junge-Leute-Seite im Farbenladen des Feierwerks haben zehn junge Münchner Fotografen jeweils zehn junge Menschen aus der Münchner Kreativen-Szene fotografiert. Jeder der Fotografen entwickelte dazu ein individuelles Konzept.
 Nadjas Arbeit beschäftigte sich mit dem Thema „Zerbrechlichkeit“. Sie traf sich mit jedem der Models zwei Mal. Zuerst zu einem Gespräch, dann erst zum Shooting selbst. „Ich wollte mit jedem individuell über das Thema sprechen und herausfinden, was für ihn oder sie Zerbrechlichkeit bedeutet“, sagt die Fotografin. Beim Shooting selbst spielte sie wieder mit Symbolen. Ihre Bilder zeigen die zehn jungen Menschen mit Obst oder Gegenständen wie Lupe, Messer oder Verband. Die Fotografin setzte ihren Fokus auf den jeweiligen Gegenstand und dessen Zusammenspiel mit dem Körper des Models. So sind ihre Bilder zwar keine Porträts, zeigen aber die unterschiedlichen Persönlichkeiten der jungen Menschen auf eine sehr ausdrucksstarke Art und Weise.

Nadjas Bilder und auch die der anderen neun Fotografen sind noch bis Ende März im Farbenladen zu sehen.

Fotos: Nadja Ellinger

Text: Anastasia Trenkler

Geheimnisvoll und märchenhaft

image

Wir porträtieren an dieser Stelle bis zur Vernissage alle 20
mitwirkenden KünstlerInnen unserer Ausstellung
“10 im Quadrat Reloaded”
 im Farbenladen – mal Fotograf, mal
Modell. Heute: Fotografin Nadja Ellinger.

Die Zerbrechlichkeit eines Menschen zu zeigen, ist gar nicht
so einfach. Doch Nadja Ellinger, geboren 1993, möchte genau das tun. Sie möchte
von den Models ihr Scheitern, ihre Ängste und ihre Verletzlichkeit erfahren und diese
mithilfe von Symbolen darstellen. Nadja fotografiert die Models zuhause oder an
Orten, an denen sie sich geborgen und wohl fühlen. „Ein Symbol kann viele
Bedeutungen haben“, sagt die 25-Jährige. „Der Betrachter kann viele Nuancen
sehen.“ Nadja greift eine Idee auf und zeigt nicht direkt, was passiert. „Bei
mir geht es darum, etwas eine Zeitlang abstrahiert zu betrachten und auf die
Realität zu übertragen“, sagt sie. „Es gibt einen Bezug zur Realität, aber sie
ist nicht eins zu eins dargestellt. Das ist die Aufgabe der Nachrichten und
nicht der Kunst. Jeder legt seine eigene Bedeutung in die Fotos.“

Meistens fotografiert Nadja Frauen, „weil mir ihre
Erlebniswelten ähnlicher sind.“ Meist tragen diese Frauen dann aufwändiges
Make-Up und Outfit. Nadjas Fotos sehen mystisch, geheimnisvoll und märchenhaft
aus. Wie in einer Traum- oder Fantasiewelt. Als Kind lasen ihre Eltern Nadja
viele Märchen und Gedichte vor, diese Bilder haben sich bis heute eingeprägt.
Aber auch ihre Heimatstadt Lich, ein Relikt aus dem Mittelalter, inspiriert sie
bis heute. Erst im Alter von zwölf Jahren ist Nadja mit ihren Eltern nach
München gezogen.

Für Nadja waren die Shootings für „10 im
Quadrat Reloaded“ eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema
Zerbrechlichkeit: „Auch wenn die inneren Dämonen immer individuell sind, ist
der Kampf dagegen immer der gleiche“, sagt sie. „Zu wissen, dass man mit seinen
Unsicherheiten nicht alleine ist, war eine beruhigende Erkenntnis.“

Text: Lena Schnelle

Foto: Nadja Ellinger

Band der Woche: Zoo Escape

image

Die Münchner Band Zoo Escape hat alles zu bieten, was das Popherz begehrt: Mitreißende Melodik und Energie, die richtig verteilt wird, so dass der Hörer an den gewollten Stellen, nämlich wenn es zum Refrain hingeht, mitgrölt und im besten Fall zu hüpfen anfängt. Dazu beherrschen sie das Spiel mit Symbolen und verwandeln dadurch ihren Pop-Cocktail zum Punkrock.

Symbole sind out. Sie haben ihre Bedeutungskraft im Pop verloren. Schlicht, weil es zu viele wurden. In den Sechziger- und Siebzigerjahren war das noch anders. Während die Hippies die Peace-Flaggen schwenkten, präferierten die Punks knapp zehn Jahre später sämtliche Polit-Insignien: Die Dead Kennedys bauten aus den Initialen des Bandnamens ein Logo zusammen, das irgendwo zwischen kommunistischer Aufbruchspartei und dem Alpha-Omega-Look der Osterkerzen lag, die Sex Pistols traten selten ohne irgendeine Form des Union Jack auf und Rage Against the Machine schmückten sich seit jeher mit dem Sozialisten-Stern. Doch klar, dass all das nicht mehr viel bedeutet, allerspätestens seit Pop-Sternchen wie Madonna in den Neunzigern die Symbole der Punks als Zeichen des Widerstands übernahmen, um ihre glattgebügelte Version von Popmusik mit ein wenig Subversion zu schmücken. Seitdem ist kaum mehr ein Symbol ernsthaft zu gebrauchen in der Popwelt.

Außer in einer Bewegung, die von Kunstwissenschaftlern gerne als Hypersymbolisierung beschrieben wird. Also wenn zu viele Symbole benutzt werden, die sich gar gegenseitig widersprechen, aber trotzdem nicht ironisch wirken, sondern eigentlich zu ernst genommen werden. Die slowenische Band Laibach ist dafür das vielleicht konsequenteste Beispiel. Auch dafür, dass Symbole nicht immer nur in Zeichen- oder Logoform vorliegen müssen: So war der größte Akt des Hypersymbolismus in der Popmusik in letzter Zeit wohl der Auftritt Laibachs in Nordkorea. Doch auch die Münchner Band Zoo Escape (Foto: John Steam) spielt ein gekonntes Verwirrspiel mit Symbolen. Auch wenn das bei dieser Punk-Rock-Band noch ein wenig leichter wirkt als bei Laibach. Das mag aber vielleicht auch an der Musik liegen. Denn die ist bei Zoo Escape, die gerade ihr erstes Album auf einem größeren Label mit Vertrieb herausgebracht haben, eigentlich all das, was das Popherz begehrt. Mitreißende Melodik und Energie, die richtig verteilt wird, so dass der Hörer an den gewollten Stellen, nämlich wenn es zum Refrain hingeht, mitgrölt und im besten Fall zu hüpfen anfängt. Oder zu Pogen. Denn: Durch das geschickte Spiel mit Symbolen wird dieser Pop-Cocktail zum Punkrock. Und das liegt nicht nur an den verzerrten Gitarren, die spätestens seit den Libertines und den Strokes im Pop salonfähig sind. Doch Zoo Escape beziehen sich auf Seventies-Punk und wissen den ziemlich perfekt in Szene zu setzen, ohne sich selbst dabei zu ernst zu nehmen. Das beginnt doch wieder beim Logo der Band: Hammer und Sichel, was will der Agit-Prop-Popper mehr, doch der Hammer weicht bei Zoo Escape einem Martini-Glas. Das Cover-Artwork des Albums „Apart from Love“ zeigt dann auch ein im Polit-Pop nicht unbekanntes Symbol: In körnigem Raster-Druck wird darauf auf den sozialistischen Bruderkuss zwischen Breschnew und Honecker verwiesen – allerdings knutschen bei Zoo Escape Brecht und Adorno. Und das Auftreten der Musiker könnte von Vivienne Westwood nicht schöner designt sein, inklusive der Künstlernamen, die in bester Relation zu Johnny Rotten und Sid Vicious stehen.

Und in der Musik, deren Pop-Songwriting eben auch schön als treibender Punk verkleidet ist, wird hinter „Hey“- und „Oi“-Rufen über Montage geklagt (schon fast ein wiederkehrender Aphorismus der Pop-Musik). Doch was den Reiz von Zoo Escape so stark macht, dass die gealterte britische Punk-Legende TV Smith vergangene Woche eigens aus London zum Release-Konzert von Zoo Escape anreiste, um deren Support zu spielen, sind genau diese intelligent verschachtelten Hinweise auf die Pop-Vergangenheit und das Geschick, daraus eine zeitgenössische Rebellionsmusik zu schmieden. 

Stil: Punkrock / Pop

Besetzung: Marc Villon (Gesang),
David Bizarre (Gitarre, Backgroundgesang), Truc Trouve (Bass), Luc
Batteur (Schlagzeug), Gregor Clochard (Gitarre, Backgroundgesang)

Aus: München

Seit: 2009

Internet: www.zooescape.bandcamp.com

Rita Argauer

Foto: 

John Steam