Zwölf Stunden täglich

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Der australische Straßenmusiker Ziggy McNeill erspielt sich mit seiner Fingerstyle-Technik gerade ein größeres Publikum in München. Wie? Mit „90 Prozent Arbeit und 10 Prozent Talent“.

Von Sandra Will

Barfuß und mit Surfboard am Fahrrad sucht Ziggy McNeill, 23, nach einer geeigneten Stelle, um seinen Gitarrenkoffer aufzustellen. In der Sonne bleibt er stehen und steigt ab. Seine schwarzen Locken fallen ihm auf die breiten Schultern, er schiebt seine Haare zurück und setzt ein Cap auf, damit sie ihm beim Spielen nicht ins Gesicht fallen. Seine linke Hand schiebt er tonlos ein paar Mal die Bünde hoch und runter, bevor er die Finger seiner rechten für eine Sekunde still auf den Saiten vor dem Schallloch positioniert. Dann legt er los.

Wie ein Protokollant auf seine Tastatur hämmernd beginnt Ziggy die Saiten anzuschlagen. Die Straße ist seine Bühne. Vorbeilaufende Passanten bleiben stehen. Ziggy springt auf und ab, legt sich die Gitarre in seinen Nacken und spielt ohne einen Blick auf seine Finger fehlerfrei die Melodien von Klassikern wie „No woman no cry“ oder aktuellen Popsongs wie „Happy“ von Pharrell Williams.

Ziggy braucht keinen Gesang, damit die Menschen auf ihn aufmerksam werden. Der gebürtige Australier spielt Gitarre, seit er zwölf ist. Sechs Jahre war er Gitarrist in einer Punkband, bis er mit 20 Jahren zum Fingerstyle wechselte. Beim Fingerstyle zupfen die Finger die einzelnen Saiten, ein Plektrum wird dabei nicht benutzt, da man auch mehrere Saiten gleichzeitig erklingen lassen kann. Um die Technik zu beherrschen, braucht es Übung und Durchhaltevermögen. Weil Ziggy diese Technik erst seit drei Jahren spielt, bekommt er viel Anerkennung von Musikern.  

Der Grund für den Wechsel der Spielweise war ein Treffen mit seinem Idol Tommy Emmanuel, einem der weltbesten Fingerstyle-Gitarristen. Ziggy nahm am Tommy Emmanuel Camp 2013 teil und hatte die Chance, vor dem Profi zu spielen. Dieser machte ihm jedoch klar, dass er für den Erfolg mehr Zeit und Übungsstunden investieren müsse. Seitdem übt Ziggy sechs Stunden am Tag und spielt zusätzlich noch Auftritte auf der Straße oder auch in kleinen Locations. „90 Prozent sind harte Arbeit, der Rest ein wenig Talent und viel Glück.“, sagt Ziggy. Seine Finger tragen mittlerweile eine fast streichholzdicke Hornhautschicht, anders würde er nicht so viel spielen können. Seine Schmerzgrenze liegt allerdings noch höher. Während er sein Album aufgenommen hat, spielte er bis zu zwölf Stunden täglich.

„Timeless“ ist sein erstes Album und beinhaltet nur eigene Songs, die er selbst geschrieben hat. Ganz ohne Gesang wollte er es dann aber doch nicht und ließ zwei australische Singer-Songwriter auf wenigen Tracks singen. Nach der Veröffentlichung seines Albums in diesem August fasste er spontan den Entschluss, seine Gitarre zu packen und in Europa Straßenmusik zu machen. „Ich habe mich in eine Münchnerin verliebt, da war es klar, dass ich nach München muss“, sagt Ziggy und erzählt, dass sie sich in Sydney kennen gelernt haben, als sie als Ferienjob Merchandising-Artikel auf einem Festival verkaufte. Inzwischen fühlt er sich fast wie daheim, denn mit umgedrehter Cap und gebräunter Haut gliedert er sich am Eisbach bestens in die Reihe der wartenden Wellenreiter ein. „Die Welle auf dem Eisbach läuft zwar rückwärts, aber daran gewöhnt man sich“, sagt er. 

Alles an ihm ist ein bisschen größer als normal: seine buschigen Augenbrauen, seine Schultern, seine Finger. Nur seine Stimme ist überraschend ruhig. „In Sydney kannte mich jeder, wenn ich auf der Straße gespielt habe. Hier muss ich den Menschen erklären, dass ich Fingerstyle spiele.“ Was die Stadt von seiner Heimat unterscheide, seien neben dem guten Bier und den Brezen die vielen Fahrradspuren, die ihn immer noch ein wenig verwirren.  

„München ist sehr strikt, du brauchst eine Lizenz zum Spielen wie in Sydney, aber ich darf hier keinen Verstärker benutzen.“, sagt er. Für Fingerstyle wäre das aber notwendig, damit das Publikum jeden Ton hört. Deshalb spielt er oft im Englischen Garten, wo er die Lautstärke mal ein wenig höher drehen kann, ohne dass gleich die Polizei kommt. Aber auch am Marienplatz sucht er sich oft einen Platz zum Spielen. Dort gibt es auch mehr Menschen, die sein Album kaufen.

Seine Musik kommt bei den Münchnern gut an. Sein Album verkaufe er hier pro Auftritt mindestens zehn Mal, sagt Ziggy. Zusätzlich spielt er aber noch einige Gigs in Bars oder Clubs. In München war er zum Beispiel schon Gast im Bahnwärter Thiel, am 18. November spielt er in der Schwabinger Bar The Keg. Das Geld, das er mit seiner Musik auf der Straße verdient, reicht nicht zum Leben, aber mit dem Verkauf seines Albums und einigen Gewinnen von Wettbewerben kann er sich finanzieren. 

Nun will Ziggy neben München auch in anderen deutschen Städten Straßenmusik machen und an Wettbewerben teilnehmen. In Australien war er damit immer sehr erfolgreich. Bemühen will er sich auch um Unterstützung von der deutschen Gitarrenmarke Lakewood, dessen Arbeit er sehr schätzt. Dazu will er vermehrt auf Gitarrenfestivals spielen. Eine Gitarre der Marke hat er in Sydney gelassen. „Meine Lakewood war mir zu kostbar, um sie im Flieger mitzunehmen“, sagt Ziggy.

Spätestens nächstes Jahr wird er wieder nach Australien zurückkehren, doch Ziggy ist sich sicher, dass er nicht zum letzten Mal in München gewesen ist. Neben dem Eisbach und seiner Freundin gibt es nämlich auch noch einen anderen Grund, hier Straßenmusik zu machen: „Beim Klatschen bleiben die Deutschen eher im Takt als die Australier.“

Foto: Lynn Krüger