Wie war das gleich mit der Zellteilung? Und dem Subjonctif? Wenn die minderjährigen Erstsemester in die Hörsäle strömen, merkt so mancher Mittzwanziger, wie viel er schon vergessen hat.
Nach dem Abitur sagte ein Lehrer zu Johannes, jetzt habe er die höchste Allgemeinbildung. Von nun an gehe es nur mehr bergab. Klingt völlig absurd. Wozu dann all die Mühe? Wozu noch ein Studium? Und doch: Es stellt sich als wahr heraus. Das Leben und vor allem das Studium lehrt uns zwar viel, der französische Subjonctif, das Schalenmodell des Atoms und die sechs Phasen der Zellteilung sind jedoch bald so passé, dass es als Leistung zählen kann, sich überhaupt noch zu erinnern, dass man dieses Wissen einst besessen hat. Die Sehnsucht, wie einfach in der Schule doch alles war, stammt also daher, dass nach profunder Lernstoff-Amnesie Erinnerungen an eine Zeit bleiben, in der man Freistunden mit Süßigkeiten am Kickertisch verbracht hat.
So wohlwollend Mittzwanziger sich ihre eigene Schulzeit ausmalen, so unbarmherzig trifft es die nachfolgende Schülergeneration. Sie ist uns unheimlich. Da wären diese minderjährigen Erstsemester an unseren Unis, die uns – G8 sei Dank – bereits bei Studienbeginn eine wichtige Erfahrung der Arbeitswelt voraus haben: das erste Burnout. Und dann sind da noch diese Schwärme von Kindern, die – obwohl sie uns nur bis zum Bauch gehen –, bessere Smartphones haben als wir. Ein bisschen Mitleid schwingt mit: Sie haben nie „Räuber und Gendarm“ im Innenhof gespielt wie wir einst (also, wenn wir wieder Fernseh- und Game-Boy-Verbot hatten). Wahrscheinlich überwiegt jedoch der Neid, dass sie mit ihren kleinen Fingern Touchpads viel effektiver bedienen können und noch nicht vergessen haben, welche Tiere Winterschlaf halten.
Als ich letztens beim Deutschen Museum in eine Wandertagshorde gerate, fragt mich ein blonder Junge, was ich am Samstagabend vorhabe. Warum? Er würde gern mit mir essen gehen. Sein Freund – er deutet nach rechts – sei zwar schwul, er aber noch frei. Zugegeben: Vom Interesse jüngerer Männer fühle ich mich geschmeichelt. Solange sie noch nicht ausgewachsen sind, erkundige ich mich aber nach dem Alter. Er ist elf. „Frag mich in zehn Jahren noch mal“, rufe ich ihm zum Abschied zu. Zu spät fällt mir ein, welche Chance ich mir damit verbaut habe: in sieben Jahren endlich mal wieder mit einem Mann mit bester Allgemeinbildung auszugehen. Susanne Krause
Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.
Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.