Harte Zeiten

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Ellen ist dreiundzwanzig, Studentin und glücklich damit. Nur ihre Oma kann nicht glauben, dass das Studentendasein keine harte Schule ist und darum wird Ellen Besuch um Besuch von ihr verhätschelt und verwöhnt. Mittlerweile wehrt sich Ellen nicht mehr – aber nicht ganz ohne schlechtes Gewissen.

Ellen tut ihrer Oma leid. Da ist sie schon dreiundzwanzig und muss immer noch büffeln. Ihre Enkelin hat es schon schwer, findet die Oma. Diese Situation kommt mir bekannt vor. Auch ich habe es noch nicht geschafft, meine Oma davon zu überzeugen, dass mein Studentendasein gar nicht so entbehrungsreich ist: Ich bewohne eine hübsche Zwei-Zimmer-Wohnung und nehme mindestens eine warme Mahlzeit täglich ein. Wenn es an meinem Studentenleben irgendetwas auszusetzen gibt, dann dass es den Namen nicht verdient, weil ich eine verkappte Spießbürgerin bin, die ihre Brühe selbst kocht und zur Entspannung die Nähmaschine rausholt. Aber egal, wie oft ich Oma von meiner Gemüsebrühe Marke Eigenkreation erzähle, beim letzten Essen vor meiner Abfahrt nach Hause sagt sie immer das Gleiche: Ich soll reinhauen, denn ab morgen, da brechen die harten Zeiten wieder an.

Vor dem ersten Besuch meiner Großeltern in meiner eigenen Wohnung bin ich deshalb nervös. Nervös und voller großer Pläne: Ein paar Minuten vor ihrer Ankunft knie ich noch im Putzwasser und schrubbe ein letztes Mal die Badfliesen. Endlich ist die Chance gekommen, Oma zu zeigen, was für ein großes, wohlsituiertes Mädchen ich doch bin; mit vollem Kühlschrank und glänzenden Armaturen! Alles läuft gut, ich wähne mich schon am Ziel – da unterläuft mir der fatale Fehler. Ich erwähne Oma gegenüber, dass ich kein Bügeleisen besitze. Und schon ist die Mission gescheitert: Als ich das nächste Mal bei ihr zu Besuch bin, kocht meine Großmutter am Tag vor der Abreise nicht nur ein mehrgängiges Menü, sondern bügelt auch meine gesamte Wäsche. Ich stehe daneben und fühle mich sehr klein.

Aber: Wahrscheinlich sollte ich nicht versuchen, meiner Oma das Privileg wegzunehmen, mich zu verhätscheln. Denn wie um Himmels willen soll man ein Enkelkind verwöhnen, das sich selbst mehrgängige Menüs kocht oder beteuert, dass das Studium gar nicht so anstrengend sei. Wenn Omas ihren Enkeln solche Aussagen wirklich glauben würden, was gäbe es denn da zu verwöhnen?

Deshalb hat auch Ellen aufgehört, ihrer Oma zu widersprechen: Ja, ja, mit 23 noch zu studieren, das ist schon hart. Ganz wohl ist Ellen dabei aber nicht. Denn ihre Oma hat mit vierzehn angefangen zu arbeiten: Als Fischerin. In einem Strafgefangenenlager. In Sibirien.

Von Susanne Krause