Krise auf dem Brett

Waffen kaufen und Politiker bestechen – Nikolai Diekert und Julian Schärdel haben ein Spiel entwickelt, mit dem man die vergangene Finanzkrise ungeschönt nachempfinden kann.

Von Theresa Parstorfer

Es muss zur Krise kommen. Schuldenschnitt, Geldentwertung und Verstaatlichungen inklusive. Am Ende werden weder Bunga-Bunga-Parties in Rom, die Politiker zu günstigen Reformen bewegen sollen, noch der Kauf weiterer Staatsanleihen Europa vor der Finanzkrise retten.

Dienstagabend, Nikolai Diekerts frisch bezogene Wohnung in Freiburg. Außer einem Tisch und zwei Sofas steht noch nicht viel im Wohnzimmer. Nur Nikolais Leidenschaft, sie lugt hinter der Couch hervor: Gesellschaftsspiele, gestapelt. Nikolai, 28 und gebürtiger Münchner, sitzt mit Julian Schärdel, 29, am Wohnzimmertisch und sie spielen ihr selbst entwickeltes Brettspiel €urocrisis. In diesem Spiel geht es darum, als Bank europäische Länder finanziell auszubeuten, was unweigerlich zum Staatsbankrott führt. 

Zusammen mit drei weiteren Freunden teilen Nikolai und Julian die Begeisterung für Gesellschaftsspiele. Die fünf haben zusammen schon an einer Brettspielmeisterschaft teilgenommen und seit beinahe vier Jahren arbeiten sie an ihrem eigenen Spiel. Mittlerweile leben sie in ganz Deutschland verstreut, aber das gemeinsame Projekt bringt sie immer wieder zusammen.
Einen Prototyp haben sie vor zwei Jahren auf der Spielemesse in Essen vorgestellt und da das Feedback der Leute so positiv ausgefallen sei, hätten sie dann tatsächlich ernsthaft begonnen, das Projekt voranzutreiben. Ohne Verlag. „Wir wollten da keine beschönigte Version, nicht auf political correctness achten. €urocrisis ist kein Kinderspiel, kein Sagaland“, sagt Julian und Nikolai fügt hinzu: „Bei uns kauft man wirklich Waffen und besticht Politiker. Klar, ist es eine vereinfachte, überzogene, wahrscheinlich auch sehr persönlich geprägte Sicht auf die Finanzkrise, aber wir wollten keine Kompromisse eingehen.“

€urocrisis soll aber kein Spiel für Banker sein. „Die finden es vielleicht lustig, weil es in ihrer Welt spielt, aber ich glaube, mit dem Thema kann man tatsächlich auch Leute an den Spieltisch bewegen, die sonst gar nicht so viel mit Brettspielen am Hut haben“, sagt Nikolai, während er das Spiel aufbaut. Es gibt sechseckige Holzklötzchen, die für Staatsanleihen stehen und gelbe viereckige Steinchen, das Gold. Die Aktionskarten sehen aus wie iPhones. „Telefone unbekannten Anbieters“, sagt Nikolai und lacht. „Da hatten wir echt Angst, dass wir richtig Ärger bekommen.“

Spanien, Irland, Griechenland
und Frankreich werden
von den Banken ausgenommen

Spanien, Irland, Griechenland und Frankreich werden während eines Spiels, das in drei Jahre mit jeweils vier Quartalen unterteilt ist, von den Banken ausgenommen. Ziel ist es, möglichst viele Privatisierungen zu ersteigern. Das Spiel soll die Finanzkrise nicht unbedingt erklären, aber zum Nachdenken anregen, zur Diskussion, was eigentlich falsch läuft im Bankensystem. „Als Bank leiht man sich Geld. Das gehört einem zwar nicht, aber man verdient daran und es ist auch nicht schlimm, wenn man es verliert, weil man ganz bestimmt nicht dafür haften muss“, erklärt Nikolai die Regeln.

Julian, der in Politikwissenschaften promoviert, sitzt ihm gegenüber und im Laufe des Abends und mit sinkendem Pegel in der Weinflasche werden seine blonden Haare immer verwuschelter. Er plant seine Spielzüge sehr überlegt. „Das Interessante ist, dass man tatsächlich in diese Banker-Denke reinrutscht“, sagt er. „Man hält sich an die Regeln und letztendlich machen das die Banker ja auch. Da will man dann wirklich den meisten Profit rausschlagen.“ „Am Anfang ist es mir wichtig, dass alle Spaß haben“, sagt Nikolai und lacht, „aber am Ende will ich gewinnen.“
„Du bist anders, wenn du spielst“, sagt seine Freundin Eva, die auf der anderen Seite des Tisches sitzt und gerade um ihre Anteile an der Akropolis bangt. „Du jammerst und sagst: Hätte ich doch das gemacht oder das.“ Eva hat ein bisschen Angst, dass ihre neue, noch kaum eingerichtete Wohnung vor lauter Eurokrisenspielen, die bald aus der Produktion kommen, nicht mehr begehbar sein wird. 1000 Stück haben die jungen Männer anfertigen lassen. Möglich sei das nur durch eine Crowdfunding-Kampagne geworden. „Die ist besser gelaufen als erwartet“, sagt Julian. 400 Spiele hätten sie über dieses Vorbestellsystem schon verkauft. Sie hoffen jetzt auf die im Oktober stattfindenden Spielemesse in Essen. 35 Euro wird eine Krise dort kosten.
 „Wir sind froh, wenn wir auf Null rauskommen“, sagt Nikolai und runzelt die Stirn. Die wenigsten Spiele-Entwickler können von ihren Spielen leben. „Das sind meistens so Leute wie wir, die eben gerne spielen, aber hauptberuflich etwas ganz anderes machen.“

Ein einfaches Spiel ist €urocrisis nicht. Eva, die es am Dienstagabend zum dritten Mal spielt, schiebt immer wieder die Holzklötzchen vor sich hin und her, dreht die Aktionskarten in den Händen und fragt, ob Nikolai ihr noch einmal die eine oder andere Regel erklärt. Er und Julian ergänzen sich in ihren Ausführungen, überlegen immer wieder laut, welcher Spielzug taktisch am klügsten wäre und als es in Griechenland tatsächlich zu einem Volksaufstand kommt, kochen die Gemüter auch am Spieltisch hoch. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass Niki die Akropolis retten wird. Davon hat er doch überhaupt nichts“, versucht Julian Eva auf seine Seite zu ziehen und sie davon abzuhalten, das Militär mit Waffen zu unterstützen.

Als Julian grandios gewonnen hat und die Weinflasche beinahe leer ist, sind ein paar Spielsteine durch das Zimmer geflogen. Nun beginnt die eigentlich heiße Phase: Die beiden Freunde fangen an, über das Spiel zu diskutieren. Sie analysieren Züge und Aktionen. „Ich bin generell eher der Typ, der sagt, es kommt nur darauf an, strategisch gut zu spielen“, sagt Nikolai, „Julian glaubt, es gehört schon auch immer ein bisschen Glück dazu. Zumindest tut er so.“
Aber auch für die Freunde ist jede Partie €urocrisis neu und unvorhersehbar. „Wir wissen zwar wie die Regeln funktionieren, aber wir können auch noch nicht einschätzen, was alles passieren kann. Aber die Banken verstehen in der echten Welt ja auch nicht wirklich, was sie machen. Sie halten sich an die Regeln und machen ihr Ding. So sehen wir das zumindest.“

Foto: Theresa Parstorfer