Der Spieler

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Der Games-Engineering-Student Paul Tolstoi hat ein neuartiges Spielekonzept entwickelt: Bei ihm zockt man gleichzeitig mit Tablet und Smartphone. Für diese Innovation wurde er nach Seoul zu einem Weltkongress eingeladen

Das Wort „hacken“ kann verschiedene Bedeutungen haben – mindestens eine analoge und eine digitale. Man kann aber auch beide Möglichkeiten kombinieren. Wie das aussieht? Menschen führen mit ihrem Smartphone wilde Auf-und-ab-Bewegungen über einem Tablet-Computer aus. Als ob sie etwas kaputt machen wollten. Etwa mit einer Spitzhacke. Was hat es damit auf sich? Die Erklärung für dieses auf den ersten Blick etwas wunderliche Verhalten liefert der Münchner Games-Engineering-Student Paul Tolstoi, 26. Er hat ein Spiel entwickelt, das man zwar auf dem Tablet spielt, bei dem man gleichzeitig aber einige Elemente mit dem Smartphone steuert. Beim Abbau von unterschiedlichen Ressourcen, die man im Spiel braucht, kommt nun die „Handy-Hacke“ zum Einsatz – indem man eben mit seinem Smartphone über dem Tablet „Hackbewegungen“ durchführt.

Paul Tolstoi wurde in der heutigen kasachischen Hauptstadt Astana geboren. Er ist allerdings in Bayern aufgewachsen. Zum damals an der TU München neugegründeten Studiengang Games-Engineering kam er nur durch Zufall – das ursprünglich geplante Informatikstudium in Karlsruhe kam nicht zustande, München war nur eine Notlösung. Heute bezeichnet er das als Glücksfall, das Studium sei wie auf ihn zugeschnitten. Schon von klein an programmierte Paul gerne, und sein aktuelles Spiel ist nicht sein erstes. Keine schlechte Voraussetzung für einen Studiengang, der als sehr anspruchsvoll gilt. 

Die Entwicklung seines Spieles begann zunächst
nur als Experiment

Das Projekt, das er für seine Bachelorarbeit entwickelte, brachte ihm sogar die Teilnahme an der CHI 2015 ein, eine der weltweit größten Konferenzen für Mensch-Computer-Interaktion. Sie fand Ende April in Seoul statt und bot unter anderem jungen Spieleentwicklern die Möglichkeit, ihre Werke zu präsentieren. „Der Erfolg kam etwas überraschend“, sagt Tolstoi. An eine mögliche Karriere durch diese Einladung denkt er nicht. Zunächst werden die Dateien für das Tablet und das Smartphone auf der Website seines Lehrstuhls zum Download veröffentlicht.

Die Entwicklung seines Spieles begann zunächst auch nur als Experiment. Die Spielebranche wird immer innovativer, neben Geräten, die virtuelle Realitäten vorgaukeln (wie etwa Facebooks „Oculus“-Brille), lautet der große Hoffnungsträger „Augmented Reality“. Das bedeutet auf Deutsch so viel wie „erweiterte Realität“. Paul erklärt das Konzept so: „Augmented Reality bedeutet, dass man nicht reale Objekte in Echtzeit auf reale Objekte anwendet.“ Dies geschieht, wenn man „virtuelle Gegenstände“ in die echte Welt projiziert – ein gutes Beispiel sind Einblendungen auf dem Spielfeld bei Sportveranstaltungen. Andreas Dippon, der Betreuer seiner Bachelor-Arbeit, forscht zu diesem Thema. Deshalb überlegte sich Paul gemeinsam mit ihm, wie er den „Raum über dem Tablet nutzbar machen“ konnte. Besonders wichtig war ihm dabei, dass das Spiel auf Hardware läuft, die sich jeder kaufen kann. Man sollte kein besonders leistungsstarkes Gerät benötigen, um das Spiel nutzen zu können.

Er durfte sein Spiel als einziger deutscher Vertreter der
Weltöffentlichkeit präsentieren

Paul nahm sich diese Überlegung als Grundstein und entwarf ein Spiel, bei dem man eine Kombination aus Smartphone und Tablet als Steuerung nutzt. Das Grundprinzip des Spiels ist simpel. Vereinfacht ausgedrückt, muss der Spieler anrückende Gegnerhorden durch das taktisch geschickte Aufbauen von Türmen aufhalten. Dieses Spielprinzip wurde schon in unzähligen Variationen, in kleinen Indie- wie auch in teuren Massenmarktproduktionen bemüht. 

Das Besondere an Pauls Konzept ist, dass man das normale Spielfeld zwar auf dem Tablet hat, aber gleichzeitig über das Smartphone die höheren Stockwerke der eigenen Türme betreten kann. Dort kann man das Innenleben des Turms sehen, Tische, Stühle, Fenster. Pauls Spiel nutzt also zwei Geräte, um zwei verschiedene Zugänge zu ein und demselben Spiel zu bekommen. Durch sein Konzept hebt Paul das zweidimensionale Spiel auf dem Tablet in eine dreidimensionale Ebene. So betont sein Betreuer Andreas Dippon auch, dass „die typische Verwendung von mehreren Geräten in einer Spieleumgebung in diesem Projekt deutlich erweitert wird“. Paul schafft durch seinen Umgang mit den technischen Komponenten ein „innovatives und immersives Spielerlebnis“.

Dies beeindruckte auch die Jury der Student-Game-Competition – ein internationaler Wettbewerb für studentische Spieleentwickler – so sehr, dass sie Paul auf die CHI 2015 einluden. Er durfte sein Spiel als einziger deutscher Vertreter der Weltöffentlichkeit präsentieren. Paul erzählt, dass das Publikum meist sehr interessiert an seinem Spiel war – ihm aber auch noch die momentanen Grenzen der „Augmented Reality“ aufzeigte. Denn nicht immer konnten die Spieler die beiden visuellen Ebenen miteinander verbinden. Oft kam es vor, dass Leute auf dem 3D-Rundgang durch ihren Turm das Smartphone auf das Tablet fallen ließen. „Für viele war der Kontextwechsel zwischen Tablet und Smartphone einfach zu stark“, meint Paul, „zum Glück hat mir keiner während der Konferenz das Tablet kaputtgehackt.“

Philipp Kreiter

Foto: Stephan Rumpf