Die Macht sitzt oben

Typisch Soziologie, hatte Martina über ihren Freund Jan geschimpft: Verständnis für alle, nur nicht für die eigene Freundin. Jan kann aber auch heldenhaft für das Wohl der Gesamheit eintreten, typisch soziologenhaft halt.

Als die Schranke zu den Raststätten-Klos den Geist aufgab, war Svetlana der erste Anlaufpunkt für den verschwitzten Typ, der vom Raststättenbetreiber losgeschickt wurde, um Ersatz zu beschaffen. Für gewöhnlich klimpert Svetlana in der Geschlechterschleuse im Untergeschoss vor den jeweiligen Zugängen herausfordernd mit Kleingeld. Jetzt wacht sie ein Stockwerk weiter oben darüber, wer überhaupt hinuntergelassen wird. Und die Moral von der Geschichte? Die Macht sitzt immer am oberen Treppenabsatz, sagt Jan.

Jan erzählt von der Rückfahrt aus dem Italienurlaub mit seiner Freundin Martina. Seine Anekdoten haben immer etwas Pädagogisches, das ist normal, er studiert Soziologie. Ich mag ihn trotzdem, weil er insgeheim ein Rebell ist, also lasse ich ihn weitererzählen: Wir befinden uns auf einer Autobahnraststätte kurz nach Verona, die Mittagshitze brennt den staugeplagten Reisenden das letzte bisschen Geduld aus den Haarwurzeln – und Martina muss Pippi. Geht aber nicht. Weil Svetlana an der Klo-Schranke steht und keinen durchlässt. Weil der Automat nicht funktioniert, in den die Leute normalerweise die Toilettengebühr werfen. Und ohne Gebühr darf nun mal niemand aufs Klo.

Das ist Jans Schuld. Findet Martina. Weil der nie was unternimmt. Schon im Urlaub nicht, als die Holländer aus Apartment 3 ausgerechnet die Liege am Pool besetzten, auf der Martina schon die ganze Woche über gelegen hatte. Oder als der Kellner in der Enoteca den Brotkorb nicht mehr auffüllen wollte, nachdem sie ihn zum dritten Mal leer gegessen hatte. In beiden Fällen hatte Jan nur ihre Hand genommen und beruhigend auf sie eingeredet. Typisch Soziologie, hatte sie geschimpft: Verständnis für alle, nur nicht für die eigene Freundin.

Vor Svetlanas Schranke wird es indes unruhig: Kinder quengeln, Frauen trippeln leicht verkniffen auf der Stelle. Ein Österreicher droht damit, gebührenfrei die Schranke zu bewässern, sollte er nicht endlich durchgelassen werden. Svetlana steht. Stoisch, mit einem Gesichtsausdruck wie ein Breitmaulfrosch auf Ritalin. Sie zeigt auf den defekten Automaten: keine Gebühr – kein Klo.

Jan will Martinas Hand nehmen, aber die hat ihre Fäuste tief in den Hosentaschen vergraben und versucht krampfhaft, nicht an einen Wasserfall zu denken. Da beschließt Jan, dass es Zeit ist, etwas zu unternehmen. Er wirft Svetlana ein Geldstück hin. Die fängt es, ist aber kurzzeitig abgelenkt, während Jan Martina vor sich her an der Schranke vorbeischiebt. Nach einer kurzen Schrecksekunde werden hinter ihm Jubelschreie laut. Münzen klimpern, die Schranke wird ausgehebelt und auf Svetlana geht ein wahrer Klogebührenhagel hernieder. Martina bekommt feuchte Augen. Typisch Soziologen, sagt sie: heldenhaft voran – für das Wohl der Gesamtheit.

Und die Moral von der Geschichte? Die Macht sitzt immer bei denen mit dem Geld, sagt Jan. Ich mag ihn aber trotzdem. Lisi Wasmer

Mal ehrlich: Jeder junge Mensch ist auf der Suche. Nach Liebe. Nach einem Lebensabschnittsgefährten. Vielleicht nach einer Affäre. Das Problem: Sobald sich das Leben um mehr als nur eine Person dreht, wird es verzwickt – eine Kolumne über die Tücken der Partnersuche. „Beziehungsweise“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Bei Krause zu Hause“.

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Lisi Wasmer setzt sich in ihrer Kolumne mit allen Tücken der Partnersuche auseinander. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gibt uns Lisi Einblicke in verschiedenste Beziehungen. Die Lektüre endet bei uns oft mit Tränen in den Augen – sei es vor Lachen, Freude oder Traurigkeit.