In seinem Unternehmen verbindet Lukas Linner seine beiden Leidenschaften: Geschichte und Musik. Auf dem Flohmarkt kauft er historische Kisten und Koffer – in seiner Werkstatt verwandelt er sie in Soundsysteme.
Behutsam öffnet Lukas Linner (Foto: Monika Reitthaler) die hölzerne Truhe aus dem Zweiten Weltkrieg. Im Deckel kleben die Reste einer Gebrauchsanleitung in altdeutscher Schrift. Sie erklärt, wie der Benutzer die Gasmasken anzubringen hat. Im Innern der Truhe stößt man aber auf keine Gasmasken, sondern eingebaute Lautsprecher.
Elektronische Musik dröhnt daraus, der Bass lässt den Boden vibrieren. „Das ist
mein massivstes Stück“, sagt Lukas. Der 23-Jährige kauft alte Gegenstände vom
Flohmarkt oder Antikhändler und baut sie zu Soundsystemen um. Die
Gasmaskentruhe ist mit verschiedenen Lautsprechern, einem Verstärker und Akku
ausgestattet. Beliebig können Handys, Laptops oder MP3-Player angeschlossen und
Lieder abgespielt werden.
Mit seinem Ein-Mann-Unternehmen, das er Re-designed nennt,
verbindet Lukas seine beiden Leidenschaften: Geschichte und Musik. „Bei uns in
der WG sieht es aus wie im Museum“, sagt er. Lukas übertreibt nicht:
Kontrabässe, Gitarren, unzählige Truhen, Schachteln und Koffer häufen sich in
der Schwabinger Wohnung, in der er mit seiner Freundin und einer weiteren
Mitbewohnerin lebt. Zu fast jedem Gegenstand kann Lukas die passende Geschichte
erzählen. Von der Reisetruhe zum Beispiel, die noch aus Titanic-Zeiten stammen
soll. Oder der Gitarre eines ukrainischen Gitarrenbauers aus Odessa, er schätzt
ihr Alter auf mehr als 150 Jahre. „Ich möchte nutzlos scheinenden Dingen neues
Leben einhauchen, ihnen wieder einen Sinn geben“, sagt er.
Lukas trägt ein tief ausgeschnittenes Shirt und Jeans-Hemd,
die kurzen blonden Haare sind zur Seite gestylt. Bei gutem Wetter verbringt er
seine Wochenenden auf Flohmärkten, auch an diesem Samstag kehrt er mit voll
beladenem Auto zurück. „Eigentlich kann ich alle Dinge verwenden“, sagt er.
„Sie müssen nur alt und gebraucht sein.“ Von den Verkäufern lässt er sich über
die Geschichte seiner Neuanschaffungen aufklären, oder er recherchiert selbst.
Auch alten Akustikgitarren flößt Lukas mit Lautsprechersystemen neues Leben
ein, zusätzliche Informationen über das Instrument sucht er über die
Seriennummern im Internet.
„Ich versuche manchmal, Gegenstände an ihren Ursprungsort
zurückzuführen“, sagt er. Neulich habe er eine Gitarre von einem Flohmarkt im
bayerischen Chiemgau an ein Café in der Region verkaufen können. „Oft verliert
sich aber die Spur.“ Im Laufe der Zeit habe er ein Gefühl für Kostbares, Altes
bekommen. „Haben die Sachen Museumswert, baue ich sie nicht um.“ Lukas ist
fasziniert von dem Lebensweg, den die Gegenstände hinter sich haben. Da
verwundert es kaum, dass der 23-Jährige „nebenbei“ Geschichte studiert, wie er
sagt. „Ich mache das, weil es mich interessiert. Was ich später beruflich damit
anfange, weiß ich noch nicht.“ Bereits als Kind habe er Wert darauf gelegt,
dass Bücher auf realen Tatsachen beruhten, Fantasy-Romanen konnte er nie etwas
abgewinnen.
Einmal in der Woche fährt Lukas in die Werkstatt der
Familie in der Nähe von Landshut und baut dort seine Stücke zusammen. Er fräst,
sägt, schleift, meist die ganze Nacht. Dann setzt er die Elektroteile in
stählerne Ölkanister, Gitarren, Geigen- oder Kosmetikkoffer ein. Beigebracht
habe er sich das alles selbst, erzählt er mit seinem niederbayerischen Akzent.
„Die erste Gitarre ist noch explodiert, weil der Lautsprecher zu groß für das
dünne Holz war.“ In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat Lukas einiges
dazugelernt, „hauptsächlich durch Ausprobieren und Falschmachen“. Das technische
Wissen habe er sich angelesen oder Experten gefragt.
Für Andreas von Stosch, 21, hat Lukas eine alte Kiste vom
Flohmarkt zum Soundsystem umgebaut. Wenn Andreas unterwegs ist, hat er sie oft
dabei: „An der Isar, im Wald, auf der Straße: Ich transportiere die Anlage in
meinem Fahrradanhänger.“ Viele neidische Blicke habe er damit schon auf sich
gezogen. Andreas gefällt der Sound mehr als der von normalen Musikanlagen, wie
er sagt. Er erklärt: Da die Lautsprecher in einem eigenen Klangkörper eingebaut
sind, schwingt dieser automatisch mit. „Die Kiste selbst hört sich sehr gut an,
sie hat einen eigenen Sound“, sagt er. „Das Holz schnarrt und knarzt mit. Das
ist das Besondere.“ Andreas macht gerade eine Ausbildung zum Tontechniker. Für
seine „Schatztruhe“, wie er sie nennt, hat er knapp 200 Euro bezahlt.
Auch Lukas gibt seinen Stücken liebevoll Namen: Die
Gasmaskentruhe heißt wegen ihres massiven Sounds „Madame Bass“, eine
Hutschachtel mit Ledergürtel zum Umhängen „The Little Royal“. Lieblingsstück in
der WG von Lukas ist ein alter Kontrabass, der als Heimanlage umfunktioniert
wurde. „Davon würde ich mich nur ungern trennen“, sagt er. Auch seine erste
umgebaute Gitarre würde er nicht weggeben. Lukas hängt sehr an seinen Stücken:
„Es gibt Sachen, die wurden für den Verkauf hergestellt, aber jetzt kann ich
mich nicht mehr davon trennen.“ Erst kürzlich habe er schweren Herzens einen
Cello-Koffer an einen 73-jährigen Mann verkauft. Auf den Koffer hat Lukas
Familienfotos geklebt, die er von der Enkelin bekommen hatte.
Auf der Facebook-Seite von Re-designed hält Lukas
fotografisch die Geschichte seiner Stücke vom Erwerb über den Umbau bis zum
Verkauf fest. Der Besucher der Seite sieht den Cello-Koffer sogar in der
U-Bahn, auf dem Weg zu seinem neuen Besitzer – und schließlich in seinem neuen
Zuhause. „Wenn die Kunden die Stücke nicht wertschätzen, verzichte ich lieber
auf den Auftrag und das Geld“, sagt Lukas. Das sei bisher aber erst einmal
vorgekommen. Da musste er einen Club-Besitzer davon überzeugen, dass er dessen
Partyraum nicht mit seinen Heimanlagen ausstatten könne.
Lukas pflegt ein persönliches Verhältnis zu seinen Käufern:
„Oft schicken sie mir Fotos mit ihren Stücken.“ Besonders gerne erzählt er die
Geschichte von der Frau mit dem weißen Lederkoffer, einem Familienerbstück.
Lukas erinnert sich: „Schon als ich ihn gekauft habe, hatte ich das Gefühl,
dass sie sich nur schwer davon trennen konnte.“ Das war auf dem Flohmarkt in
Riem, Lukas hatte da bereits vier weitere Koffer unter dem Arm. Was er mit all den
Koffern vorhabe, wollte die Frau wissen. Er erzählte ihr von seinem Geschäft,
die beiden blieben in Kontakt und er schickte ihr regelmäßig Fotos von dem
Koffer aus der Werkstatt. Nach dem Umbau zur Musikanlage reiste die Frau aus
Burghausen nach München und kaufte den schicken Reisekoffer ihrer Großmutter
zurück.
Jenny Stern