Ein letztes Mal Sex. Und Sonntagsbraten

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Beste Freundin. Mitbewohner. Auf jeden Fall Komplize. So fühlten wir uns seit fünf Jahren. 256 Kolumnen haben Lisi Wasmer und Susanne Krause seit Juni 2010 auf der Junge-Leute-Seite geschrieben. Über junge Menschen bei der Paarungssuche. Und über das Zuhause, was immer das auch sein mag. Nun ist es vorbei. Mit Sex. Und mit Sonntagsbraten.  

Heimat.
Sex. Im Wechsel. Kürzer lassen sich die beiden Kolumnen der Jungen Leute Seite,
„Beziehungsweise“ und „Bei Krause zu Hause“, wohl nicht beschreiben. Nun erschien der letzte Text: Nach fünf Jahren voller komischer, absurder und
nachdenklicher Geschichten aus dem Leben und Liebesleben ihrer Freunde und
Bekannten, legen Lisi Wasmer und Susanne Krause den Stift nieder. Ein Abschied.

Kolumnen
binden Leser. Sie sind Aushängeschilder. Konstanten, auf die man sich verlassen
kann. Ein Grund, die Seite aufzuschlagen, auch wenn einen die restliche
Themenauswahl nicht sofort anspricht. Das Spannende: Selbst wenn das Erzählte
oft absurd klingt, im Kern sind die Kolumnen wahr. So oder so ähnlich hat es sich
tatsächlich zugetragen. Marcels Name zum Beispiel, den mag Susanne in ihrem
„Bei Krause zu Hause“ Text verändert haben, sein Balkon allerdings war
tatsächlich eines Tages die Hauswand hinabgestürzt.

Angefangen
hat die Kolumnen Reihe im Juni 2010 – mit einem „Beziehungsweise“-Text von Lisi
und einem Tampon, das auf der Wasseroberfläche eines Toilettenbeckens trieb.
Als ekelhaft kann man das bezeichnen. Oder als Stilmittel. Lisi bedient sich
gerne der Effekthascherei, wählt Ausdrücke und Worte meist so geschickt, dass
sie sich gerade noch in der Zeitung drucken lassen. Und es funktioniert: Was im
ersten Moment obszön oder abstoßend klingt, macht letztendlich doch neugierig –
Sex sells eben. Ganz nebenbei erzählt die Autorin von kleinen und großen
Wahrheiten über Männer, über Frauen, über das Lieben und Geliebt-werden. Spätestens
am Ende, wenn aus dem Tampon zum Beispiel ein Sinnbild für das Verlangen nach
einer festen und ehrlichen Beziehung geworden ist, ganz ohne Make-up und ohne
sich zu verstellen, nach der letzten Zeile also, weicht Abscheu dem Gefühl
von guter Unterhaltung. Lisis Texte sind zum herzhaft Lachen.

„Bei
Krause zu Hause“ im Gegensatz ist anders: Kein Sex, zumindest eher selten und
weniger explizit. Und anstelle eines prustenden Auflachens bleibt am Ende
dieses Lächeln, das sich einstellt, wenn man sich in einer Situation selbst
wiedererkennt. Susanne Krause schreibt Wohlfühl-Texte, die auf genüssliche und
humorvolle Art die Tücken und Überraschungen des Alltags beschreiben, wenn man
einmal das Hotel Mama hinter sich gelassen hat. Es geht um das Leben bei Krause zu Hause. In der Tat gewährt Susanne ihren Lesern Einblicke in ihre
persönlichen vier Wände: In die Burschenschaft, in der sie gelebt hat. In ihre
Küche, in der  sie nur die Stellen und Oberflächen putzt, die ins Auge
eines mittelgroßen Betrachters fallen. In ihr Wohnzimmer, von wo aus sie über
ihre Sehnsucht nach einem eigenen Balkon schreibt – ein Balkon in einem guten baulichen
Zustand, versteht sich, nicht wie Marcels Balkon. Susanne erzählt von Dingen,
mit denen sich jeder immer irgendwie identifizieren kann.

Ebenso
wie ihre Texte für die Leser auf die Seite gehören – nicht umsonst kommen jedes
Jahr viele Zuschauer zu ihren Sex und Sonntagsbraten Lesungen im Farbenladen -,
wird es auch schwer, sich die beiden aus der Redaktion der Junge-Leute-Seite wegzudenken.
Angesichts ihrer eigenen Themenwahl verwundert es nicht, dass sie auch im
echten Leben oft unterschiedlich sind: Man kann Susanne durchaus als verkannte
Rebellin bezeichnen, die mit ihren blonden Locken und manchmal zurückhaltenden
Art zwar unschuldig wirkt, sich aber mit quietschbunten Strumpfhosen
aufbegehrt, wenn die Geschäftswelt einen Stiftrock von ihr verlangt. Lisis Potenzial
zur Rebellion dagegen ist offensichtlicher. Nicht nur ist sie braunhaarig, was
sie vor der Engels-Assoziation bewahrt, auch ihr Blick hat immer etwas freches
und herausforderndes. Wenn ihr die Idee für eine Geschichte gefällt, setzt sie
sich ein, und schreckt auch nicht vor Diskussionen zurück. Sie ist
selbstbewusst, kämpferisch und doch immer mit einem guten Rat zur Seite.

Dass
die beiden eines Tagen nicht mehr als Kolumnistinnen für die Junge-Leute-Seite
schreiben würden, das war eigentlich auch 2010 schon klar. Über die Jahre sind
Autorinnen und Texte gleichermaßen erwachsener geworden. Statt um den
chaotischen Studentenalltag ging es bei „Bei Krause zu Hause“ immer mehr um
Identität und die Frage, wo man hingehört. Und seit einiger Zeit gibt es auch
immer wieder „Beziehungsweise“-Kolumnen, in denen Worte wie Sex, Rammler und
Artverwandtes keinen Platz mehr finden. Stattdessen waren Liebe, Partnerschaft
und selbst Kinderkriegen Thema. Lisi Wasmer und Susanne Krause sind älter
geworden, keine Studentinnen mehr. Es ist also durchaus gerechtfertigt, wenn
auch schade, dass sie aufhören. Im neuen, im echten Leben jetzt werden sie sich
wohl vielen neuen Dingen widmen, Sex und Sonntagsbraten allerdings werden
vermutlich auch weiter eine Rolle spielen.

Dorothée Merkl

Foto: Lorraine Hellwig

Spektakel Sonntagsbraten

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Wie lebt es sich an einem Ort, wo Bier und Sahnetorte in ausgefallenen Lokalen weniger kosten als einmal Pinkeln am Münchner Hauptbahnhof? Endlich mal jeden Tag die Sau rauslassen mit Wodka und Piwo? Von wegen. Es überwiegt die Sehnsucht nach dem Alltag, nach dem deutschen Alltag.

Im Alltag, wenn man Woche um Woche dasselbe tut, sehnt man sich nach Abenteuern in der Ferne. Und in der Ferne? Da lernt man, was für ein unterschätzter Freund der Alltag doch ist. Für zwei Monate wohnt Judith in der Stadt, die behauptet, Europas größte Kneipendichte zu haben – Krakau. Sie lebt an einem Ort, wo Bier und mehrstöckige Sahnetorten in ausgefallenen Lokalen weniger kosten als einmal Pinkeln am Münchner Hauptbahnhof. Judith ist für ein Praktikum quasi in eine Art Paradies für Alltagsverächter gezogen. Ihr Mitbewohner in der heruntergekommenen Altbauwohnung lebt ihr vor, wie’s geht: Tag-Nacht-Rhythmus? – Wen interessiert das? Trinken geht immer und Kochen auch nachts um halb vier.

Zwischen ihren unregelmäßigen Schichten im Museum könnte Judith also die Sau rauslassen mit Wodka und Piwo. Tut sie aber nicht. Stattdessen – verrät mir Judith in einem Krakauer Restaurant über einer Portion Buchweizen mit Pilzen – freut sie sich schon wieder auf einen geordneten Stundenplan, auf den Cafébesuch am Dienstag und auf regelmäßige Sonntagsausflüge zu Mama; also darauf, zu Hause Woche um Woche dasselbe zu tun. Judith hat Sehnsucht nach ihrem Alltag.

Denn ohne ihn funktioniert Judith nicht richtig. Man könnte denken, es wäre entspannend, das Alltagsleben einfach so in Westeuropa zu lassen, um an einem freien Tag völlig ohne Pläne und Verpflichtungen in einer fremden Stadt aufzuwachen. Aber das ist es nicht. Nicht zu wissen, was man an einem Donnerstag tut, ist überhaupt nicht entspannend. Denn jetzt muss Judith nachdenken, was sie tun könnte, viel schlimmer noch: was sie tun möchte. Und das ist für so einen freien Tag schon mal zu viel des Denkens. Folglich bleibt Judith einfach liegen. Das ist kurzfristig entspannend, auf Dauer aber öde. Selbst der elterliche Sonntagsbraten ist dagegen ein packendes Spektakel. Was lernen wir hieraus? Ohne Alltag ist das Leben einfach fad!

Nur eine Frage bleibt: Wie kriegt der Mitbewohner das auf die Reihe? Nach vielen Nächten, in denen klappernde Töpfe und wummernde Bässe Judith wachgehalten haben, lässt sich folgende Bilanz ziehen: Auch der Mitbewohner hat einen klar strukturierten Alltag. Sein Alltag findet allerdings nachts statt.

Von Susanne Krause