Herkules schläft schon durch – allerdings nur im Bett seiner Erziehungsberechtigten. Deshalb klingt mein Bruder am Telefon so müde. Er und seine Freundin sind gerade mal eine Woche Eltern eines kleinen Katers. Aber ich glaube, mein Bruder sieht sein Liebesleben schon jetzt in Gefahr.
Wenn man Herkules aussperrt, erzählt er mir, schreit der Kleine so lange vor der Tür, bis er zu ihnen ins Doppelbett darf. Mein Bruder seufzt. In seinem Kopf ist Herkules schon ein Sieben-Kilo-Kater; ein halber Tiger im Bett, der das Pärchen jeweils rechts und links von sich an die Bettkante drängt. Dabei hätten die beiden es so ruhig haben können in ihrer ersten Wohnung.
Die erste gemeinsame Wohnung: Das klingt nach so viel. Nach Unabhängigkeit und ungestörter Zweisamkeit. Nach spontanen Wochenendurlauben und Sonntagen im Bett. Man könnte so jung sein in dieser ersten Wohnung! Aber das reicht nicht. Irgendwas fehlt. Schon nach zwei Monaten fehlt irgendwas – und es sind nicht die Bilder an den Wänden. Wenn man morgens als Erster aufsteht, ist es so still. Und wenn man abends zu zweit nach Hause kommt, ist es so dunkel. Niemand, der wartet. Nur der Abwasch.
Nur vier Tage, nachdem ich mit meinem Bruder Katzentoiletten inspiziert habe, stehe ich wieder in einem Zoogeschäft. Die Stille in unserer Wohnung ist uns zu still geworden, meinem Freund und mir. Und so suchen wir nach dem Hamster, der schaffen soll, was all die selbst zusammengeschraubten Möbel und Abende auf dem Sofa nicht geschafft haben: dass wir uns zu Hause fühlen. In unserer Hoffnung sind wir nicht allein: Neben uns steht ein Pärchen vor dem Vogelzubehör, einen Gang weiter uns schleppt ein junger Kerl seiner Freundin das Katzenstreu hinterher. Es gibt hier keine einsamen alten Damen. Nur Pärchen um die zwanzig, die ihre Wohnung durch ein Heimtier heimelig machen möchten. Die sich beweisen wollen, dass sie ernst machen mit den Plänen vom eigenem Zuhause. Beinahe könnte es unheimlich sein. Aber ehe ich zu viel nachdenken kann, habe ich einen übergewichtigen Hamster in der Hand und ein warmes Gefühl im Bauch. Susanne Krause
Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.
Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.