Über die Illusion der Zweisamkeit

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Die Fotografin Eva-Marlene Etzel hat in ihrem Buch „Menschen, die behaupten sich zu lieben“ Szenen gestellt, die

mögliche Momente zwischen zwei Liebenden zeigen.

Eine junge Frau sitzt hinter einem jungen Mann in der Badewanne und hält ihn fest umschlungen. Die beiden sind komplett angezogen und tief in Gedanken versunken, sein Blick ist zu Boden gerichtet. Eine Szene großer Intimität zwischen zwei Menschen, möchte man meinen. Und doch ist dieses Bild die pure Inszenierung: Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat die Fotografin Eva-Marlene Etzel, 27, mögliche Momente zwischen zwei Liebenden fotografisch umgesetzt und in ihrem Buch „Menschen, die behaupten sich zu lieben“ zusammengefasst. 

Die dargestellten Liebesbeziehungen sind ganz unterschiedlicher Art: Mal zeigt sie ein verliebtes Pärchen, das ein Kind erwartet, mal sind es Mitbewohner, die sich (noch) nicht trauen, sich ihre Liebe offen zu gestehen, mal ist es ein Paar, das Kommunikationsschwierigkeiten hat und vielleicht nicht mehr lange zusammen ist. Marlene interessieren die Kräfte, die Liebende aussenden.
Doch die Liebe ist Gegenstand von unzähligen Gedichten, Gemälden und Songs – umso schwerer ist es, dieses mystifizierte Gefühl nicht allzu abgedroschen darzustellen. Das weiß auch die 27-jährige Fotografin. Dennoch hat sie sich an dieses große Thema herangewagt.

Angefangen hat alles mit dem Ende einer Beziehung. Genauer gesagt mit der zweiten Trennung in Marlenes Leben, zwei Wochen vor ihrem Bachelorabschluss 2014, und ihrem Entschluss, den Herzschmerz diesmal schneller zu verarbeiten – denn um über ihre erste große Liebe hinwegzukommen, hatte sie zuvor Jahre gebraucht: „Mit meinem ersten Freund war ich von 15 an zusammen, wir wurden quasi zusammen erwachsen und ich habe ihn im Nachhinein noch lange idealisiert.“ Nach dem Abitur wollte sie seinetwegen von München nach Köln ziehen, doch kurz vor ihrem Umzug war Schluss, nach vier Jahren Beziehung.

Marlene ging trotzdem nach Köln – für sie war diese Trennung auch eine von ihrer Heimatstadt und ihrer Jugend. „Heute finde ich all meine Irrungen und Wirrungen wichtig“, sagt Marlene und zupft an den Ärmeln ihres schlichten schwarzen Kleides, den Schmerz hat sie aber nicht vergessen. Erst das Ende ihrer zweiten Beziehung habe sie Jahre später angespornt, sich mit dem Unverständnis zwischen zwei Menschen auseinanderzusetzen – mit einem Foto-Projekt über die Liebe. Das Ergebnis davon hält sie heute stolz in den Händen: Mittels Crowdfunding konnte sie die Exemplare ihres handgebundenen Buches in A-3-Format drucken lassen – und darüber hinaus eine Ausstellung im Münchner Provisorium organisieren, die sie am kommenden Dienstag, den 4. April, eröffnen wird. 

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In Köln machte die damals 19-Jährige ein zehnmonatiges Praktikum bei einem Fotografen: Ihren Eltern zufolge hatte sie ihr erstes Foto mit drei Jahren geschossen, erzählt sie, und spätestens seit sie als Teenie eine analoge Spiegelreflexkamera bekommen hatte und am Pestalozzi-Gymnasium die Klassenfotos machen durfte, war ihr klar, dass sie Fotografin werden wollte. „Um mich als Einzelkind nicht zu langweilen, musste ich schon immer sehr kreativ sein“, erzählt Marlene, die auch einige ihrer Tattoos selbst entworfen hat, „doch ich war unsicher, ob ich gut genug für diesen Beruf war.“
Das Praktikum war für sie zwar keine positive Erfahrung, doch davon ließ sich Marlene nicht entmutigen. Sie erstellte in dieser Zeit ihre Bewerbungsmappe – und begann 2009 die „Photographic Studies“ in Dortmund. Schnell war der kreativen jungen Frau klar, dass sie nicht dokumentarisch fotografieren wollte: „Ich will immer mit Menschen, aber auch konzeptuell arbeiten.“

So sind auch die Bilder in ihrem Buch Hybride aus Mode- und Porträtfotografie: Kleidung, Accessoires und die Sets sind sehr ästhetisch und genau nach ihrer Vorstellung konzipiert, wofür Marlene unter anderem mit dem jungen Modedesigner Mario Keine sowie mit Make-up-Artisten, Stylisten und Set-Designern zusammen arbeitete. Dennoch sind die sieben Strecken in ihrem Buch keine reinen Modestrecken. „Besonders bei diesem Projekt war mir wichtig, dass auch der Charakter der Personen durchblitzt“, sagt Marlene.

Darum hat sie auch keine professionellen Models, sondern Menschen aus ihrem Freundeskreis fotografiert: Zwar waren darunter vier „echte“ Liebespaare und alle kannten einander – doch einige waren es nicht gewohnt, vor der Kamera zu stehen, wodurch oft etwas Anderes herauskam, als Marlene geplant hatte. Womit sie dann bewusst spielte: „Was ist inszeniert, was ist authentisch bei der Darstellung einer Liebesbeziehung?“ Eine Frage, die man sich im heutigen Zeitalter der Sozialen Medien wohl häufig stellen muss. Wobei Marlene ihre offensichtlichen Inszenierungen für realer hält als die „vorgegaukelte Authentizität in der Social-Media-Welt“.
Zentrale Metapher seien vor allem die Blicke: Wie schauen sich die Liebenden an? Schauen sie sich überhaupt an? Wie blickt der Betrachter auf das Paar – kann er unterscheiden, ob ihre Liebe echt oder inszeniert ist? Und was ändert sich, wenn die Models plötzlich in die Kamera schauen und mit der Illusion der Zweisamkeit brechen?

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Für ihre Inszenierungen ließ sich Marlene von ikonischen Liebespaaren inspirieren, im Buch finden sich immer wieder Verweise zu Shakespeare-Stücken. Das Theatrale wird jedoch nicht nur durch ein Bühnenshooting, eine zauberhafte Szene in einem Wald oder ein Paar in elisabethanisch anmutenden Kleidern verdeutlicht: Jede Bilderstrecke ist mit einem eigens verfassten Dialog von der Münchner Autorin Sibylla Hirschhäuser angereichert, die derzeit ihren Master am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig macht. Marlene schätzt die Texte ihrer Freundin sehr: „Sie lässt die Menschen, die ich abgebildet habe, sprechen.“ Das mache die Situationen zwischen den Paaren viel glaubwürdiger.

Doch Sibylla und ihre Dortmunder Freunde sind nicht die einzigen, die Marlene bei ihrem Projekt unterstützten: „Für Morgan, den ich liebe“, steht vorne im Buch. Im September 2015 lernte Marlene den Amerikaner kennen, damals plante sie gerade ihre Masterarbeit. „Es war keine Liebe auf den ersten Blick, doch bald merkte ich, dass er alles vereint, was ich mir von einem Mann wünsche“, erzählt Marlene. Er habe ihr die Kraft gegeben, das durch Herzschmerz entstandene Projekt auch zu realisieren. Mittlerweile leben sie zusammen in München – und sind verheiratet, nach nur einem Jahr Beziehung. „Die Liebe ist das Gegenteil von Angst: Sie bringt einen dazu, Risiken einzugehen“, sagt Marlene und lächelt. Sie habe sich eben immer für die Liebe entschieden.

Text: Anna-Elena Knerich

Fotos: Morgan Etzel / 

Eva-Marlene Etzel

Fremdgänger: Judith Butler statt Angela Merkel

Unsere Autorin erkennt diese Woche im Ratespiel-Klassiker „Wer bin ich“ eine Verkörperung ihres Universitätslebens in Oxford.

Zehn paar Augen richten sich gespannt auf Theo. Als letzter im Raum hat er einen kleinen Notizzettel auf der Stirn kleben. Auf dem Zettel steht „Kate Winslet“. Es ist Freitagabend und mehr als die Hälfte meines Kurses drängt sich um die Kochinsel in der Küche eines meiner Kommilitonen. An den Fensterscheiben kondensiert der Dampf des frittierten Tempura-Gemüses und meine frisch gewaschenen Haare riechen nach heißem Brat-Öl. Wir spielen „Wer bin ich“, mit einer Konzentration und Hingabe, die ich mittlerweile vor allem aus unserem „Movement and Morality“-Kurs kenne, wenn wir über die normative Rechtfertigung von Nationalstaatsgrenzen diskutieren.

Auf Theos erstem Zettel stand „Shakespeare“ – das war eindeutig zu einfach gewesen: Theo schreibt und veröffentlicht gefühlt jede Woche ein neues Gedicht und hat, seit ich ihn vor knapp fünf Monaten kennengelernt habe, mindestens vier verschiedene Poesie-Preise gewonnen. Aber jetzt, bei einer der derzeit berühmtesten britischen Schauspielerinnen, scheint er zu versagen. Er hebt hilflos die Hände und meint „Guys, I don’t know this person – I swear.“ Das kann eigentlich keiner der Anwesenden glauben, denn Theo, der außerdem auch schon seinen Bachelor in Geschichte und Politik hier in Oxford absolviert hat, ist nie um eine Antwort verlegen. Doch selbst als alle Mädchen im Raum mit ausgebreiteten Armen anfangen „My Heart Will Go On“ zu singen, bleibt er ratlos.

„Wer bin ich“ war schon immer eines meiner Lieblingsspiele, weil es ein bisschen mehr über die spielenden Personen verrät, als das vielleicht den Anschein haben mag. Vielleicht ist dieser Abend gerade deswegen eine der besten Verkörperungen des Universitätslebens in Oxford, die ich bisher erlebt habe. Wenn ich zu Hause in München mit meinen Freunden „Wer bin ich“ spiele, ist der ausgefallenste, um nicht zu sagen intellektuellste Name vielleicht „Angela Merkel“ oder „Günter Jauch“. Aber die Klassiker sind „Johnny Depp“, „Pamela Anderson“ oder „Philipp Lahm“.

In der vergangenen Stunde haben meine internationalen Freunde hingegen „Friedrich Engels“, „Cecil Rhodes“, „Sigmund Freud“, und „Judith Butler“ erraten müssen – und das nicht selten auch nach kürzester Zeit geschafft. Zu Hause in München gibt es eine Trennung zwischen intellektuellem Universitätsleben und Privatleben. Meine Freunde sind nicht notwendigerweise meine Kommilitonen, niemand würde bei „Wer bin ich“ auf die Idee kommen, einen berühmten Historiker oder gar einen Professor auf die Stirn des Nachbarn zu kleben. Nicht nur läuft hier in Oxford Studium, Leben und Freundschaft ineinander, oft habe ich auch das Gefühl, dass die Leute hier viel mehr in ihren akademischen Leidenschaften aufgehen und soziale und kulturelle Vorlieben hegen, bei denen etwa meine party-freudige kleine Schwester die Augen verdrehen und gähnen würde.

Der letzte, der seine Person – „Edith Piaf“ – vor Theo erraten hat, war Francesco. Seine Augen verengten sich angestrengt, als er die Antworten auf seine Ja-Nein-Fragen aufzählte: „I am not famous for my pretty looks, nor for being a politician, an intellectual or a sportsperson – for what other reasons would one be famous?“ Ich musste schmunzeln, denn es ist beinahe erleichternd, dass es für diese Menschen, die ich in den vergangenen Monaten nicht nur unglaublich lieb gewonnen, sondern auch von Anfang an in dem ein oder anderen Moment als einschüchternd wahrgenommen habe, angesichts dessen, was sie schon erreicht haben, Wissens-Bereiche gibt, in denen sie ratlos sind. Auch wenn das „nur“ die Namen der derzeit angesagtesten Schauspieler sind.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat