Bei Freundschaften zwischen Mann und Frau besteht die Gefahr, sich in alten Geschlechterrollen zu verstricken. Aber echte Gleichberechtigung bedeutet auch, die Freiheit zu haben einfach mal typisch Mädchen oder Junge zu sein, ohne darauf reduziert zu werden. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.
Emanzipation ist wichtig. Frauen sollen und müssen im 21.
Jahrhundert die gleichen Rechte haben wie Männer. Das verfechte ich rigoros
– nicht nur, wenn es um Heidi Klum und ihre „Mädchen“ geht, die sich auf ihren
weiblichen Körper reduzieren lassen.
Trotzdem trage ich gerne Kleider mit Blümchen drauf, kichere,
wenn ich angetrunken bin, und werde rot, wenn man mir ein Kompliment macht.
Ich musste zu dem Schluss kommen, dass das in Ordnung ist, weil
die Menschen, die wirklich wichtig sind in meinem Leben – oder das werden
wollen – schon von selbst merken, dass ich nicht nur kichernd und blumig bin,
sondern dass ich weiß, dass das bürgerliche Familienmodell eine Konstruktion
des 19. Jahrhunderts ist, auf der Polarisierung der Geschlechtscharaktere
beruht und es einen Unterschied zwischen „sex“ und „gender“ gibt.
Deshalb würde auch keiner der Menschen, die mir wichtig sind,
mich als eine „chica“ bezeichnen (Spanisch für „Mädchen“, was letztendlich eine
ständige diskursive Reproduktion und Reduktion meiner Person auf mein
natürliches Geschlecht darstellen und nur den Unterschied zur männlichen Natur
hervorheben würde). Ein Anachronismus, würde man sagen. Nicht mehr zulässig im
21. Jahrhundert.
Nur Senne. Senne darf das.
Senne ist einer der besten Freunde, die ich während meines
Erasmus-Jahres in Spanien kennengelernt habe.
Senne ist ein bisschen jünger als ich, Senne weiß unglaublich
viel, ist unglaublich wortgewandt und kennt unglaublich viele Leute – was schon
eine Leistung ist, in einem Land, dessen Sprache er am Anfang des Semesters
noch weniger beherrschte als ich.
Senne verdreht die Augen und legt beim Lachen den Kopf in den
Nacken, wenn ich Angst habe, dass ich durch die Prüfung gefallen sein könnte. Und Senne hält mir ein Glas Wasser hin, wenn ich seiner Meinung nach zu viel
Sangria in zu wenig Zeit getrunken habe. Und Senne nennt mich nie bei meinem
richtigen Namen. Senne sagt immer „chica“. Dabei klingt das „i“ wie ein
leichtes Glucksen und das „c“ wie ein doppeltes „g“.
Ja, vielleicht nennt er mich nicht nur „chica“, vielleicht
behandelt er mich manchmal sogar so, aber das ist mir herzlich egal. Denn ich
weiß, dass er mich niemals im Stich lassen würde, dass er mich niemals
vergessen würde und dass er mir immer wieder zeigen wird, dass Freunde
aufeinander aufpassen. Vielleicht gerade dann, wenn ich mich selbst benehme wie
eine „chica“, für die Emanzipation ein Fremdwort mit einem „z“ und einem „p“
irgendwo in der Mitte ist. Wenn ich tatsächlich viel zu schnell viel zu viel
Sangria getrunken habe, weil ich einmal wieder viel zu schnell viel zu verguckt
war in den Jungen, der mir all die Komplimente für mein Blümchenkleid gemacht
hat und über dessen Witze ich viel zu auffällig gekichert habe. Vor Senne
schäme ich mich nicht einmal dafür, dass ich nicht umhin kann, manchmal ein
unemanzipiertes Mädchen zu sein. Vor allem dann nicht, wenn er zufällig einen
seiner Kumpels auf der Straße sieht und ihm lauthals zuruft: „eh… tío“
(Spanisch für „Onkel“).
Denn wenn ich es mir recht überlege, bin ich noch lieber
einfach ein Mädchen als irgendjemandes Onkel.
Von: Theres Parstorfer
Foto: Yunus Hutterer