Tod und Torte

Gift im Essen und ein Messer im Bauch: Sabrina Peschke, 24, schreibt Konzepte für Krimidinner zu historischen Fällen.

„Ich verkehre ja öfter in gehobenen Kreisen“, sagt eine der Anwesenden. Sie trägt gehäkelte Handschuhe, schiebt mit spitzen Fingern ihren Fascinator zu Recht und fächelt sich dann etwas Luft zu. Allgemeines Lachen. Die Dame mit dem Hütchen ist eigentlich Grundschullehrerin, doch an diesem Tag schlüpft sie in die Rolle einer feinen Lady aus dem London des 19. Jahrhunderts. 

Ein Jugendzentrum am Rande der Stadt. Der hübsch gedeckte Tisch wirkt in dem kargen, unbeheizten Raum etwas provisorisch. Zehn Leute haben daran Platz genommen. Sie kennen einander nicht und sollen doch den Abend gemeinsam verbringen. Generalprobe. 

Generalprobenfeeling bei Autorin Sabrina Peschke. Die 24-Jährige hat zum Krimidinner geladen. Jack The Ripper, der berühmte Serienkiller aus London, dessen Identität bis heute nicht geklärt wurde, scheint mit am Tisch zu sitzen und soll am Ende eines dreigängigen Menüs gefasst werden. Dafür mimen Sabrinas Freunde und Kollegen einen Abend lang Prostituierte, Kommissare und dubiose Ärzte. Jeder Spieler hat im Vorfeld einen Einladungstext bekommen, darin Informationen über die Rolle, die es zu spielen gilt. Einige haben sich ihrer Figur entsprechend verkleidet. Ein junger Mann hat sich einen Schnurrbart angeklebt, ein anderer kommt mit Hut und Pfeife daher. Mit jedem neuen Gang werden nun verdeckt Hinweise zum möglichen Täter verteilt. Nach drei Runden wird der mutmaßliche Mörder schließlich angeklagt.

Das Konzept für dieses Dinner hat die junge Münchnerin selbst geschrieben. Ihr Spiel „Der Herbst des Schreckens“ wird im April im Samhain-Verlag veröffentlicht. Doch vorher gibt es einen letzten Testlauf. Nervosität bei Sabrina. Funktionieren die Figuren, die sie entwickelt hat? Sabrina, eine junge Frau mit aschblondem Haar und auffälliger Patchwork-Jacke, sitzt während des Essens mit am Tisch. Sie beobachtet. Manchmal, da würde sie gern etwas sagen, die Leute auf die richtige Fährte lenken, das merkt man. Aber sie bleibt stumm. Eingreifen darf sie nun nicht mehr. 

Die Vorspeise wird serviert, die ersten Hinweise verteilt. Ob der brutale Frauenmörder wohl Freimaurer war? Oder Organhändler? Nachdenken, Suppe löffeln, einander mustern. Man speist und diskutiert dabei über Blut, Verstümmelung, Eingeweide. Das klingt makaber. Doch in Sabrinas kompliziertem Geflecht aus Hinweisen bleibt nicht viel Zeit für derlei Gedanken, irgendwie wirkt jeder verdächtig. Die Figur des Russen Michael Ostrog etwa. Der packt plötzlich vier riesige Messer aus. Hat Sabrina sich das ausgedacht? Oder der junge Mann, der die Rolle an diesem Abend spielt? Man weiß es nie so genau, Sabrinas Texte lassen Raum für eigene Spielideen. 

Entwickelt hatte sich die Faszination um Jack The Ripper in Sabrinas Bekanntenkreis. Mit ihren Freunden trifft sie sich regelmäßig zum Spielen. Ein ganzes Zimmer mit Spielekartons hat sie inzwischen, zwei Regale bis an die Decke vollgestapelt. 121 Stück. Zu Silvester wollten ihre Freunde dann ein Krimidinner spielen, doch es findet sich keines, das auf die Bedürfnisse der Gruppe passt. „Sabrina, schreib du doch eins.“ „Okay. Zu welchem Thema?“ „Jack The Ripper.“ 

Dafür hat Sabrina, die hauptberuflich als Schulsozialpädagogin arbeitet, viel recherchiert. Hat Originaldokumente von damals gesichtet, Filme zu dem Thema geschaut. Und schließlich ein eigenes Spiel daraus entworfen. „Der eine Teil ist real, der andere kommt von mir.“ Logisch soll es sein, doch an historischen Fakten halte sie sich nicht zwangsweise. Viele Testrunden hat Sabrina inzwischen gespielt, in wechselnden Konstellationen.

Spaghetti Bolognese, zweiter Gang. Inzwischen hat jeder in seine Rolle hineingefunden. Da gibt es die Figur mit der Zwangsstörung, die plötzlich so sehr zittert, dass sie keine Gabel mehr halten kann. Die radikale Christin, die angesichts der ganzen Toten vorsorglich den Tisch mit Weihwasser segnet. Das ist zum Teil absurd. Aber es macht den Teilnehmer sichtlich Spaß. Sich gemeinsam reinsteigern in die Figuren aus dem 19. Jahrhundert, für ein paar Stunden jemand anderes zu sein.

Auf der Münchner Spielemesse „Spielwiesn“ hat sie ihre Idee einem Spieleverlag vorgestellt. Dort war man sofort angetan. Krimidinner gibt es viele, doch die basieren normal nicht auf historischen Fällen. Nun wird ihr Spiel veröffentlicht, ein zweites ist in Auftrag gegeben. Dazu erscheint diesen Frühling ihr Debütroman, eine Dystopie über einen Kindersoldaten mit dem Titel „Nummer 365 – die Lichtbringer“.

Für Sabrina ist das nicht selbstverständlich, sie ist Legasthenikerin. Sie, die immer gerne Geschichten erfand, sich als Kind eigene Brettspiele ausdachte. Aufgegeben hat sie trotzdem nicht. „Irgendwann habe ich begriffen, dass ich gut schreiben kann, obwohl ich keine Rechtschreibung beherrsche. Das sind zwei unterschiedliche Dinge.“ Ihre Arbeiten veröffentlicht sie unter einem Pseudonym. Sabrina Wolv, mit v geschrieben. „Das ist ein Fehler, der bei Legasthenikern oft passiert. Ich habe das bewusst gewählt, um mich selbst daran zu erinnern, dass ich das trotzdem kann.“

Schokoladentorte und Ratlosigkeit. Auf dem Tisch liegen inzwischen zahlreiche Hinweise. Drei Stunden hat man gespielt, nun gilt es, den Mörder per Votum anzuklagen. Zum Abschluss wird dann ein Text vorgelesen, der den Fall auflöst. Wer richtig tippt, hat gewonnen. Wer unenttarnt bleibt, auch. Das Seltsame bei all diesen Finten und Indizien: Sabrina, die Autorin, tritt dahinter zurück. Ihr Text ist eine Mischung aus Theaterstück, Krimi und einfacher Gebrauchsanweisung. Ob sie das störe? Schließlich werde so ein Text schneller vergessen als ein gutes Buch, das man gelesen hat. Sie denkt kurz nach. „Ich denke, man hat von dem Erlebnis viel länger was. Für mich ist das ein schöner Gedanke: Ich habe den Leuten einen guten Abend geschenkt.“ 

Text: Carolina Heberling

Foto: Bernd Volz