Zeichen der Freundschaft: Automatische Tränendrüse

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Wenn unsere Autorin mit ihrer besten Freundin Kitschfilme guckt, muss niemand Stärke beweisen: Die Tränen rollen die Wangen runter, die Wimperntusche löst sich auf – und beide sind froh, vor dem anderen echte Gefühle zeigen zu dürfen.

Mein Blick wandert nach links. Auf Annas Wange hinterlässt
gerade eine Träne eine schwarze Spur Mascara auf ihrer Wange. Ihre Hand  tastet nach der Taschentuchbox, die in
Reichweite auf dem Tisch steht. Auf dem Bildschirm meines Laptops liest Louisa
Clark gerade einen Brief ihres vor kurzem verstorbenen Geliebten Will Traynor
vor, indem er ihr viel Glück für einen Neubeginn ohne ihn wünscht. So kitschig.
Aber auch so traurig. Automatisch steigen auch mir Tränen in die Augen.

Schon seit wir im Teenager-Alter zusammen das erste Mal den
Film „P.S. Ich liebe dich“ gesehen haben, ist es unser Ritual, gemeinsam
besonders kitschig-traurige Filme zu schauen. Wir beide sind, wie man so schön
sagt, etwas nahe am Wasser gebaut. Ein Merkmal, das mir sonst immer eher
peinlich ist. Denn so schnell möchte niemand als Sensibelchen abgestempelt
werden. Doch bei den Filmabenden mit Anna wird diese Eigenschaft zu einer
schönen Gemeinsamkeit. Die kleinen Gefühlsausbrüche werden geteilt. Und unser
Zusammengehörigkeitsgefühl wächst mit jedem Taschentuch, das vollgeschnäuzt auf
dem Tisch landet.

Es schweißt zusammen, wenn man ein paar Mal gemeinsam so
richtig schön bei einem kitschigen Liebesfilm geweint hat. Doch nicht nur
weinen kann ich mit meiner besten Freundin. Auch herrlich kindische Lachanfälle
gehören zur Tagesordnung, wenn wir zusammen Zeit verbringen. Und vor ihr kann
ich nicht nur offen und ehrlich meine Emotionen zeigen, sondern auch über meine
Gefühle sprechen. Denn Liebesdramen à la „Er steht einfach nicht auf dich“ oder
„Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“ finden nun mal auch im echten Leben
statt. Und müssen mit einer guten Freundin beredet und analysiert werden. Anna
ist so eine Freundin, mit der ich solche Dramen durchstehen kann. Ob nun als
Zuschauer vor dem Bildschirm oder im realen Leben.  

Wenn der Abspann läuft, nach einem besonders traurigen Film,
verweilen wir beide noch ein paar Momente auf meinem Sofa. Mit geröteten Wangen
und glasigen Augen. Irgendwann schauen wir uns dann an und müssen etwas
verlegen grinsen. Denn dann wird uns wieder bewusst: Die soeben tränenreich
gewürdigten Geschehnisse finden im fiktionalen Raum statt. Also ist es
eigentlich völlig übertrieben, darüber so viele Tränen zu vergießen. Und doch
werden wir beim nächsten traurigen Nicholas-Sparks-Film wieder gemeinsam
heulend auf meinem Sofa sitzen. Ganz bestimmt.

Text: Amelie Völker

Foto: Yunus Hutterer

Band der Woche: The King of Cons

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Romantik im Waschbärenpelz – Franko van Lankeren, The King of Cons, vertraut in gut gemachte Popmusik. In einer Zeit, in der wild zusammen gestückelt und collagiert wird, sticht er heraus! Mit geschlossenen Bildern, die er in ausgesuchte Welten zeichnet. Beispielsweise das Bild einer alten “Railroad”-Strecke, die in eine staubige Einöde führt, wie in dem Song “Racoon”, auf seiner aktuellen EP.

Franko van Lankeren ist ein Romantiker. Und da er auch noch ein ziemlich begabter Musiker ist, kann man an seinem musikalischen Schaffen ganz wunderbar die derzeitigen Spielarten von Romantik in der Popmusik beobachten. Nun hat die popmusikalische Romantik wenig mit der Romantik in der klassischen Musik zu tun. Im 19. Jahrhundert brachen Komponisten aus den strengen Formalia der Epoche der Klassik aus, es ging auch darum, das Selbst, auch aus damals noch viel stärkeren gesellschaftlichen Konventionen, zu befreien. Die Musik von Franko, den München erst als Sänger und Kopf der Band Talking Pets kennen lernte und später dann solo unter dem Namen The King of Cons, aber ist romantisch, weil er gut gemachter Popmusik vertraut, die in geschlossenen Bildern erzählt.
In Zeiten postmodernem Stückel-Wahnsinns, in dem zitiert, collagiert und neu-konstruiert wird, ist eine derartige Geschlossenheit selten. Denn gut 150 Jahre nach der eigentlichen Romantik wirkt es nun einmal romantisch verklärt, sich diesem Trend zu widersetzen. Doch Franko schafft das ungemein überzeugend, auch weil er sich die richtigen Welten, von denen er geschlossen erzählen will, aussucht. Mit den Talking Pets war das britische Popmusik, als King of Cons ist das bisher Americana. Seine aktuelle EP veröffentlichte er im April 2015. Und obwohl das Cover-Artwork mit Stechpalmen und Hipster-Cap durchaus dem aktuellen Urban-Outfitters-Look entspricht, sind die Songs darauf gespickt von der romantischen Vorstellung einer Welt, in der man beispielsweise mit einer „old railroad“ irgendwo in die Einöde fährt und dort auf ein paar „Settlers“ trifft, wie in der Single „Raccoon“. Mit der Neunzigerjahre-Space-Optik eines ICEs hat das ebensowenig zu tun wie mit dem Berliner Abriss-Chic, der seit mehr als einem Jahrzehnt vieles an deutscher Popmusik prägt. Doch Frankos Musik und seine Bilder sind in sich intakt und zeigen eine – ja, irgendwie auch vergangene – Welt, die hyperkapitalistischen Zeiten längst nicht mehr real ist. Romantisch eben.
Nun aber arbeitet Franko van Lankeren seit einiger Zeit live wieder mit seinem Bandkollegen Buddy Lil’L zusammen. Schon dessen Künstlername zeigt: da kommt ein Aspekt aktuellere Pop-Kultur hinzu. Und nach Hip-Hop, New York in den Achtzigern und Bouncen klingt auch das, was der zu der Musik beisteuert: Beats, die er live auf sogenannten Pads spielt und Synthie-Flächen. Doch selbst eine solche Trend-Anpassung löst Frankos Sinn für Geschlossenheit nicht. Mit Kopfstimme singt er nun zu E-Gitarre über das satte Beat-Bett. „Aktuell höre ich viel R’n’B und Elektrosoul, was sich auch in meinem eigenen Sound niederschlägt“, erklärt er. Doch ein einfacherer Grund sei auch, dass es sehr viel mehr Spaß mache, live zu singen, wenn man die Beats über die Anlage pumpen höre. Gerade arbeitet er an einer neuen EP für den neuen Sound, obwohl er bei kleineren Gigs vorhabe, auch weiterhin mit Akustik-Gitarre und Mundharmonika aufzutreten.  

Stil: Folk / Americana / Neo-Soul

Besetzung: Franko von Lankeren (Gitarre, Gesang, Songwriting), Gast: Buddy Lil’L (Beats)

Aus: München

Seit: 2013

Internet: www.thekingofcons.com

Von Rita Argauer
Foto: Christoph Philadelphia