Hin und weg

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Wen packt das Fernweh, und wer bleibt doch lieber daheim? „München – eine Sehnsucht“: Im Farbenladen des Feierwerks ergründen 15 junge Künstler auf Einladung der SZ das Gefühl dieser Stadt (Foto: Kerstin Rothkopf).

München, ein Sehnsuchtsort: Nach was sehnen sich die Bewohner dieser Stadt? Wen packt das Fernweh, und wer bleibt doch lieber daheim? In der Ausstellung „München – eine Sehnsucht“ im Farbenladen des Feierwerks, organisiert von der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung, versuchen junge Münchner Künstler das seltsame Gefühl der Sehnsucht zu ergründen. Ihre Ansätze sind dabei sehr unterschiedlich – ein Überblick.

Kräftige Farben auf schweren Holzplatten – die Malereien von Catalina Jara Schenk  fallen auf. „Sehnsucht ist ein Gefühl, das mich in seiner Unbestimmtheit seit meiner Kindheit begleitet und mir als Suche nach Heimat gut vertraut ist“, erklärt Catalina, die 1991 in Santigo di Chile geboren wird. Mit acht Jahren kommt Catalina nach Deutschland, wo sie heute Medizin und Germanistik studiert. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit Flüchtlingen, für die München die Sehnsucht auf ein besseres Leben bedeutet. „Im Grunde sind es entwurzelte Menschen, in denen sich mir Vertrautes widerspiegelt“, sagt sie. 

Einen weiten Weg hat auch Felix Rodewaldt, 26, hinter sich: Felix, der an der Akademie der Bildenden Künste München studiert, kehrt für die Ausstellung „München – eine Sehnsucht“ aus Barcelona zurück, wo er seit Anfang März als „artist in residence“ lebt und arbeitet. Arbeiten, das heißt für Felix: Kleben, denn er erstellt Bilder und Rauminstallationen aus Klebeband. Seine „Sehnsucht“ wird er am Sonntag, 3. Mai, live auf eine Wand im Farbenladen kleben.

Lorraine Hellwig, geboren 1993, nähert sich der Sehnsucht in ihrer Arbeit „Petrichor“ mit der Kamera: „Fotografie“, erklärt Lorraine, die an der Hochschule München Fotodesign studiert, „ist die Sehnsucht, Momente festzuhalten. Momente, in denen man spürt, dass das Gefühl fast greifbar ist. Und doch weiß man, dass es das niemals sein wird.“ (Foto: Lorraine Hellwig)

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Ähnlich melancholisch fasst Phaedra Richter alias Fedralita, 27, das Thema Sehnsucht auf: „Bei meiner Sehnsucht handelt es sich um den menschlichen Schmerz, wenn man nach einem Gefühl verhungert, wie zum Beispiel der
Liebe“, sagt Digital-Painterin Fedralita, die in Griechenland aufgewachsen ist. „Man sagt: Liebe dich selber. Aber reicht das wirklich? Wollen wir nicht alle gesehen und geliebt werden? Wollen wir nicht auch Liebe geben? Und wenn uns niemand die Tür dafür öffnet?“, fragt sie mit ihrem Bild.

Lion Fleischmann, Jahrgang 1987, hat sich für seine Arbeit von einem Indienaufenthalt inspirieren lassen: 2014 ist Lion, der Illustration an der Freien Kunstwerkstatt München studiert hat, vier Monate durch Indien gereist. „Sehnsucht spiegelt für mich Fernweh und Neugier auf fremde Kulturen wider“, sagt Lion, dessen farbintensive Illustrationen unter anderem bei der Kunstmesse Stroke ausgestellt wurden.

Maximilian Gutmair fotografiert, seit er 16 ist. Im Farbenladen zeigt Maximilian, 25, die Fotoreihe „Box“, bei der die Sehnsucht nach Identität und Sinn gezeigt werden soll. „Personen und Objekte werden in einem vom Künstler geschaffenen Raum in einer mystifizierten Art und Weiße porträtiert.” (Foto: Maximilian Gutmair)

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Die Sehnsucht nach Fremdem wird auch in Rita Kocherscheidts Arbeit spürbar: Die Kommunikationsdesignstudentin, 28, hat zwölf ihr unbekannte Personen durch deren Alltag begleitet. Entstanden ist eine Reihe von Porträts und Zeichnungen, die diesen Alltag dokumentieren. „Es geht dabei nicht um meine Welt oder seine. Es geht darum, durch Zeit Raum zu schaffen und die Schönheit, die in jedem Menschen steckt, zu sehen und zu zeigen“, sagt Rita.

Das Sehnen nach Freiheit greift Simon Lohmeyer in seiner Arbeit auf: Der 26-jährige Fotograf, der selbst als Aktmodel arbeitet, untersucht in seinen Fotos den Zusammenhang von Freiheit und Nacktheit. „Die Charaktere sind auf der Suche nach ihrem eigenen Ich – sie sind einerseits von einer erstickten Freude aber auch von Trieben und Lust zerrüttet“, sagt er. (Foto: Simon Lohmeyer)

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Paulina Nolte, geboren 1991, zieht es in die Ferne: „Sehnsucht habe ich oft nach anderen Orten: die Insel in Florida, auf der ich aufgewachsen bin, der Pampelmusenbaum in unserem Garten oder der Blick durch das Fenster unseres spanischen Hauses“, sagt Paulina, die Medienkunst an der Akademie der Bildenden Künste München studiert. Ihre Werke – ein Mix aus Zeichnung, Malerei und Fotografie – waren bereits bei einer Gruppenausstellung im Haus der Kunst zu sehen.

In Lila Hartigs Fotografien geht es um die Sehnsucht nach Amerika: Die 25-jährige Fotodesignstudentin hat US-amerikanische Kasernen in Bayern fotografiert. Die Soldaten, die oft nur wenige Jahre am gleichen Ort sind, sehnen sich nach Beständigkeit, nach Heimat: „Um der Heimat näher zu sein, gibt es in den Supermärkten innerhalb der Kasernen alles, was das amerikanische Herz begehrt“, sagt Lila.

Für Illustrator Jakob Hauser, 25, ist Sehnen eng mit Träumen verbunden: „Meine Arbeiten zeigen meist Motive aus meinen Träumen“, erklärt Jakob, der 2011 Teilnehmer am International Munich Art Lab war und seit 2012 Kommunikationsdesign an der Hochschule München studiert. „Durch die Zeichnungen halte ich diese Motive, die oft so flüchtig sind, fest.“ (Zeichung: Jakob Hauser)

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Georg-Christoph Maria Stadler, 25, zeigt im Farbenladen digitale Illustrationen, deren Assoziationen zur Sehnsucht vom Betrachter selbst ausgehen sollen: „Der Betrachter darf darin sehen, was er möchte. In den Arbeiten geht es vorwiegend um meinen persönlichen Werdegang, um meinen Weg nach München“, sagt Georg, ursprünglich aus Regensburg, der Kommunikationsdesign an der Hochschule München studiert.

Für Fotografiestudent Florian Tenk, 27, bedeutet Sehnen „eine Bildwelt zu gestalten, in der ich gerne leben würde – jenseits von Geschlechterrollen, Klischees, Ängsten und Scham“. 2014 hat Florian für seine Arbeiten ein Stipendium der Stadt München erhalten.

Anne Puhlmann, 28, beleuchtet in ihren Fotografien den Kontrast zwischen Stadt und Natur: „Ich habe mich mit der Sehnsucht nach Grenzenlosigkeit auseinandergesetzt, mit dem Drang, dem Alltagstrubel zu entkommen, die Stadt zu verlassen und die Ruhe der Natur zu genießen, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist“, sagt Anne, die 2014 erstmals Arbeiten auf der Foto Muc ausgestellt hat. (Foto: Anne Puhlmann)

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Fotografin Kerstin Rothkopf alias Kerstins Kopf zieht es eher in die Stadt: Die 26-Jährige, die aus dem Bayerischen Wald nach München gezogen ist, sehnte sich nach der Großstadt: „Hier passiert etwas, ist was los.“ Genau das will Kerstin, derzeit Studentin an der Designschule München, in ihren Bildern zeigen: „Das ist die Sehnsucht nach purem Leben und Unabhängigkeit von alten Strukturen.“ Eine Sehnsucht, die besonders München verkörpert, weil es eben keine typische Großstadt ist, findet Kerstin.

Carolina Heberling

Komm mit, lauf weg

Sie kennen sich nicht und doch verbringen sie den Tag miteinander: Für ihre Bachelorarbeit hat Designstudentin Rita Kocherscheidt (Foto: Jonas Nefzger) zwölf fremde Menschen einen Tag lang begleitet und ihren Alltag mit Fotos und Zeichnungen dokumentiert.

Kann man jeden Menschen mögen, wenn man ihn nur kennt? Elias verneint. Rita glaubt, ja, man kann. Die Frage entstammt einem Bogen, den Rita Kocherscheidt für ihre Bachelorthesis erstellt hat. Er ist Teil eines Projektes, in dem sich die Designstudentin mit Nähe und Distanz auseinandergesetzt hat. Hierfür hat die Münchnerin in den vergangenen Monaten zwölf fremde Menschen einen ganzen Tag lang begleitet, porträtiert und ihr Umfeld mit Kamera und Zeichenblock aufgenommen. Was dabei entstanden ist, stellt sie vom kommenden Samstag an in der Lothringer 13 Halle aus. 

Ihre Worte wählt Rita mit Bedacht, ihre Bewegungen sind ruhig. Bevor sie spricht, hält sie oft inne. Für die kleinen Dinge nimmt sie sich gerne viel Zeit. Doch – wie viele andere Menschen auch – ist Rita manchmal schnell darin, sich über Fremde ein Bild zu machen. Das will sie ändern – bei sich und anderen.
 Im Frühjahr 2014 reiste sie durch Israel und schlief auf fremden Sofas, war begeistert von der Offenheit ihrer Gastgeber: „Dort habe ich so viele tolle Menschen getroffen, die mir sehr offen begegnet sind, obwohl wir uns vorher nicht kannten.“ Ihre Bachelor-Idee nimmt seit diesen Erfahrungen Gestalt an: Reisen in andere Leben.

 Zurück in München beginnt die Planung der Arbeit, mit der die 28-Jährige nach gut vier Jahren an der Hochschule München ihr Designstudium abschließt. Sie hat sich Zeit gelassen, viele Nebenjobs und freie Arbeiten angenommen. Auch ihre letzte Arbeit sollte kein Ad-hoc-Projekt werden, sondern Stück für Stück entstehen. Ihr Plan: Toleranz und Vorurteile durch Konfrontation im Selbstversuch thematisieren. Zwei Tage will sie mit einer unbekannten Person teilen, sie in ihrem Alltag begleiten, sie kennenlernen. Und vor allem: beobachten, ohne zu urteilen. „Es geht dabei nicht um meine Welt oder seine. Es geht darum, durch Zeit Raum zu schaffen und die Schönheit, die in jedem Menschen steckt, zu sehen und zu zeigen.“ 

Die Arbeit beginnt in Berlin, wo sich Rita für zwei Monate im Herbst vergangenen Jahres aufhält. Hier trifft sie sieben verschiedene Menschen, die sie über Freunde, auf Facebook oder einfach auf der Straße kennenlernt. Meist Kreative, freischaffende Künstler und Selbstständige. Einer von ihnen ist Elias Kreuzmair, 28, ursprünglich Münchner und hier in der Literaturszene bekannt. Hin und wieder beobachtet er die Studentin bei ihrer Arbeit. „Ausgerechnet das hat sie fotografiert, dachte ich damals“, erzählt Elias, aber unangenehm und fremd sei es nie gewesen. „Ich habe meine Sachen gemacht, und Rita war auf angenehme Weise mit dabei. Die Stimmung war konzentriert und kreativ.“

Von den ursprünglich geplanten zwei Tagen rückt Rita schnell wieder ab: „Das ist einfach zu lang.“ Am Morgen nimmt die Studentin ein Porträt auf. Am Abend noch eins. Die Frage: Lassen sich in den Gesichtszügen Entwicklungen, Sympathien oder Antipathien erkennen? In der Zwischenzeit fotografiert Rita die fremde Wohnung, Arbeitsräume, das Café, in dem sie gemeinsam sitzen. Kleine Details und das große Ganze. Immer mit dem Blick auf das, was es ist. Ohne es zu interpretieren. Im Laufe des Tages wird ein Fragebogen ausgefüllt, auch hier spielt sie bewusst mit Worten: „Wo bist du richtig?“ „Was ist Inhalt?“ 

Nebenbei zeichnet Rita Dinge, die ihr auffallen, sie inspirieren. „Eigentlich war das gar nicht der Plan, aber ich hatte schnell den Eindruck, dass es den Beobachteten komisch vorkäme, wenn ich nur dort sitze und sie ansehe.“
 Doch dann ist sie es, die sich manchmal komisch vorkommt. Wie ein Kind, weil ihr alle Entscheidungen des Tages abgenommen werden. Vor allem aber, wenn andere Menschen hinzukommen: „Das ist Rita – die sitzt hier und zeichnet – ich kenne sie eigentlich auch nicht.“ Trotzdem schreibt sie irgendwann auf: „Es ist schön, weil wir beide schweigen“, nicht weil sie es so schön findet, dass der Andere endlich still ist, sondern „weil ich es faszinierend fand, wie mit einem fremden Menschen so schnell positive Stille entstehen kann.“ 

In München trifft die Designstudentin noch einmal fünf Menschen. Spürt sie einen Unterschied zwischen den Städten? Ja, irgendwie schon. Die Berliner seien lockerer, gewohnter, dass so etwas passiere, weil Berlin einfach mehr in Bewegung sei. In München hatten die meisten, die Rita traf, richtige Jobs, zu denen sie nicht mitkommen konnte. Also blieb meist nur das Wochenende. 

Zwölf fremde Menschen, 24 Porträts – sind sie ihr näher gekommen, an einem Tag? Rita überlegt: Was in sozialen Netzwerken sehr schnell geht, dauert in der Realität viel länger. „Etwas Echtes zu teilen braucht mehr Zeit. Da reicht kein Tag. Trotzdem hat es sich bei der Verabschiedung fast immer etwas vertraut angefühlt. Vielleicht, weil man sich anders kennenlernt.“ 

Die Essenz ihrer Arbeit? Toleranz. Auch wenn es nicht einfach sei, Rita versucht nun, bewusster Menschen kennenzulernen, ohne sich sofort ein Bild zu machen. „Ich glaube, jeder Mensch hat etwas Nettes, bei manchen muss man vielleicht nur genauer hinschauen.“

Gemeinsam mit ihren Kommilitonen, die auch im Wintersemester ihr Studium abgeschlossen haben, stellt Rita Kocherscheidt nun ihre Bachelorarbeit aus. Zu sehen ist ihr Buch am 14. und 15. März bei der „NEU NEU NEU“-Ausstellung in der Lothringer 13-Halle. Weitere Informationen zur Ausstellung unter www.neu-neu-neu.net.

Friederike Krüger