Stoff-Wechsel

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Mit dem Modelabel ‘Aimée Couture’ hat Miriam Aimée Kubeng ein ausgeklügeltes Nachhaltigkeitskonzept entwickelt: Kunden können nach einer Saison ihre Kleidungsstücke zurückbringen, um daraus neue Klamotten schneidern zu lassen.

Es ist noch ruhig an diesem Morgen in den Räumen der Unholzer Ateliers. In der ehemaligen Fabrik zwischen Schwabing-West und Moosach haben knapp 100 junge Kreative einen Raum zum Arbeiten. Miriam Aimée Kubeng ist eine von ihnen. Sie blättert in einem dicken Ordner mit Entwürfen für ihre Kleider. „Wenn ich eine Idee im Kopf habe, muss ich diese erst visualisieren und irgendwo festhalten“, sagt sie. Dabei spielen Farben und klare Linien ein große Rolle: Rot, Gelb, Blau und auch Schwarz. Der holländische Künstler Piet Mondrian arbeitete in seinen Gemälden mit den gleichen Farben, die Miriam für die Kreation ihrer Kleider verwendet. Charakteristisch sind die viereckigen Farbblöcke in seinen Gemälden. Dieses Merkmal findet sich auch in der Kollektion der jungen Designerin wieder. Baukasten-Kollektion nennt sie die Serie, es ist ihre erste eigene Kollektion. 

Bei Aimée Couture – dem Label, das Miriam vor etwa drei Jahren gründete – steht neben der Ästhetik auch das Nachhaltigkeitskonzept im Vordergrund: „Mir ist es wichtig, dass die Kundin ein aktiver Teil des Schaffensprozesses ist. Dass eine Art Interaktion und ein Kreislauf entsteht – es soll ein Zwischenspiel aus Kleidung und Persönlichkeit sein.“ Wer ein Kleid bei Aimée Couture kauft, darf mitbestimmen, wie die einzelnen Farbblöcke angeordnet werden sollen. Das Grundmodell bleibt dabei stets ähnlich. Die Kundin trägt das Teil für eine Saison, kann es dann zurückgeben und gegen einen Aufpreis designt Miriam ein neues Kleidungsstück daraus. Bei diesem Vorgang wird der alte Stoff geschreddert und eine geringe Menge an neuem Stoff für die Produktion hinzugefügt. Man bekommt für seine alte Kleidung ein neues Teil, das den eigenen Wünschen entspricht und in der Herstellung insgesamt umweltfreundlicher ist, da am Ende weniger Stoff weggeworfen wird. „Ich glaube, dass Nachhaltigkeit in der Mode immer wichtiger wird“, sagt Miriam. „Die Menschen legen mehr Wert auf die Qualität ihrer Kleidung. Große Modeketten müssen sich auch diesem Anspruch stellen.“ Ihre kurzen, braunen Haare bindet sie zu einem Pferdeschwanz, während sie spricht.

Sie blickt an sich selbst herunter und schaut auf das fast knielange, gerade geschnittene Kleid, das sie trägt. Es ist schwarz mit einem kleinen blauen Farbblock und einem etwas größerem, roten gleich darunter. „Das hier“, sagt sie und zeigt dabei auf den schwarzen Stoff ihres Kleides, „sind Stoffe meiner Großmutter aus den Sechzigerjahren. Für meine erste Kollektion habe ich ihre Stoffe wiederverwertet. Sie war Schneiderin.“ Miriam lächelt. Das Rot auf ihren Lippen ist exakt der gleiche Farbton wie der auf dem Kleid. 

Die Idee zur Wiederverwertung getragener Ware kam ihr in Amsterdam. Dort entdeckte sie einen Designer, der aus alten Jeans neue Hosen für seine Kunden herstellte. „Statt unnötig viele Klamotten zu Hause anzuhäufen, bringt man sein altes Teil einfach zurück und bekommt aus dem recycelten Material ein Neues, mit dem man glücklich ist“, erklärt sie. „Man befreit sich so auch von der ganzen überflüssigen Menge, die man oft im Kleiderschrank hortet. Ich finde das genial.“

Seit Mai 2015 arbeitet sie im Atelier Unholzer an den Kleidern für Aimée Couture. Die Ateliers sind durch Regale voneinander abgegrenzt, die bis zur Decke vollgestellt sind. Pappkartons mit Scheren, Klebebändern, Maßbändern und Stoffen. Zwischendrin eine Packung Tee. Ein Föhn. Mehrere Nähmaschinen. Kreatives Chaos. „Man ist hier abgeschottet und hat die Möglichkeit, ungestört seine Ideen umzusetzen“, erzählt Miriam. „Wir tauschen uns aber auch gegenseitig über unsere Projekte aus, das schätze ich hier sehr. Es gibt mir viel.“ Manchmal entstehen so auch Kooperationen unter den Künstlern. So gestaltete Miriam zusammen mit Lichtdesigner Matthias Singer für das Puls-Open-Air 2016 leuchtende Pyramiden.

Was nach einem Kindheitstraum klingt, ist in Wahrheit eine Geschichte voller Umwege. Nach der Ausbildung zur Fachangestellten für Tiermedizin begann Miriam Romanistik und Rechtswissenschaften in München zu studieren. „Trotzdem war ich unglücklich damit und hatte das Gefühl, dass es nicht mein Ding ist. Also entschloss ich mich dazu, Abstand von der Uni zu nehmen.“ Um sich neu zu orientieren, legte sie ein Urlaubssemester ein und absolvierte in dieser Zeit eine Hospitanz in der Boutique Elephants Wedding bei Rabia Darouiche. Die Begeisterung für die Modekreationen aus afrikanischen Stoffen war sofort da. Auch bei Noh Nee – Dirndl à l’Africaine, dem Laden, den Rabias Schwester, Rahmee Wetterich leitet, durfte sie reinschnuppern. Sie lernte in dieser Zeit, wie man ordentlich näht und mit den Materialien umgeht. Während ihre Freunde abends feiern gingen, verbrachte sie ihre Nächte von diesem Zeitpunkt an mit der Nähmaschine und übte und übte. „Als ich bei Rabia gearbeitet habe, hatte ich das Gefühl, dass ich endlich das gefunden habe, wofür ich brenne.“ Recht schnell entfalteten sich in ihrem Kopf Ansätze für eigene Modelle und Schnitte.

Zurück an der Uni tüftelte sie beim LMU Entrepreneurship Center an einem Businessplan für Aimée Couture. Auch der Ansatz, die Kunden als aktiven Bestandteil in den Herstellungskreislauf ihrer Mode einzubinden, nahm hier Form an. Im Wintersemester 2015/2016 beendete Miriam ihr Studium doch noch. 

Sie ist glücklich über die Entscheidungen, die sie getroffen hat. Auch wenn es manchmal schwierig war. Finanzieren kann sie sich allein durch ihr Label noch nicht. Sie arbeitet momentan als Managerin bei einer Modefirma. Diese Tätigkeit verschafft ihr finanzielle Unabhängigkeit und genug Spielraum, um an Aimée Couture zu feilen. 

Gerade arbeitet sie an einem neuen Projekt. Ihr größter Traum ist es, irgendwann eine eigene Modeboutique führen zu können. Am besten in Frankreich. In Paris. Miriam strahlt eine innere Ruhe aus, die beneidenswert ist. Manchmal muss man eben Umwege gehen, um ans Ziel zu kommen.

Text: Ornella Cosenza

Foto: Sebastian Botzler