Neuland: Start Right

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Zwei Jurastudenten der LMU,  Andreas Holzgreve, 26 und Marc Wiesner, 25, haben mit „Start Right“ eine studentische Rechtsberatung gegründet, die kostenlose Beratung bietet.

Wie man die im Studium erworbenen theoretischen Fähigkeiten in der Praxis umsetzen kann, zeigen die beiden Jurastudenten der LMU, Andreas Holzgreve, 26 und Marc Wiesner, 25. Mit „Start Right“ haben sie eine studentische Rechtsberatung gegründet, die kostenlose Beratung bietet.

Nutznießer können soziale Projekte im wissenschaftlichen, kulturellen sowie gesellschaftlichen Bereich sein, die ihrem Engagement einen rechtlichen Rahmen geben wollen. Unter Aufsicht von Volljuristen können Jurastudenten (vom 3. Semester an) diese Projekte bei der Lösung rechtlicher Probleme unterstützen. Die Studenten sollen ihre theoretischen Kenntnisse in der Praxis umsetzen und eigenverantwortlich arbeiten. „Als Jurastudenten haben wir nach einer Möglichkeit gesucht, uns gesellschaftlich einzubringen und uns für ehrenamtliche und gemeinnützige Projekte einzusetzen“, erklären sie.  


Text: Laura Schurer

Foto:

Georg Schäfer

Die vergessene Insel

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Die Münchner Jura-Studentin Victoria Lehmann hat auf der griechischen Insel Chios Flüchtlinge beraten.
Es gab Erlebnisse, die sie auch hier in Deutschland nicht loslassen. Ein Gespräch.

Victoria Lehmann macht im Frühjahr ihr erstes Staatsexamen und sie gibt Rechtsinformationen für Flüchtlinge. In Griechenland. Zusammen mit ihren Freundinnen Mahja Afrosheh und Nessrin Scheppach verbrachte sie eine Woche auf Chios, einer kleinen, griechischen Insel etwa 15 Kilometer vor der Türkei.

SZ: Es ist schon ganz schön mutig, einfach nach Griechenland in ein Flüchtlingscamp zu gehen.
Victoria Lehmann: Was heißt mutig? Wir waren ja im Team unterwegs und haben auch gemeinsam in einer Unterkunft geschlafen, also waren wir nie alleine. Außerdem sind dort viele ehrenamtliche Helfer unterwegs, wir waren in ein größeres Netzwerk von Hilfsorganisationen eingebunden. Ich hatte also nie Angst.

Was hat dich bewogen, das zu machen?

Während des Studiums hat man sehr viel mehr Zeit als später im Job. Ich arbeite schon nebenbei in einer Kanzlei für Asylrecht und möchte später auch in diese Richtung gehen. Außerdem: Wenn man schon das Wissen für diese Rechtsinformationen hat, wäre es schade, damit nicht zu helfen, wenn es so dringend nötig ist.

Wie bist du zu dem Projekt gekommen?
Ich bin seit Jahren bei Amnesty International in der Hochschulgruppe und auch bei anderen NGOs aktiv und so zum Thema Asyl und Flüchtlinge gekommen.

Wie habt ihr vor Ort gearbeitet?
Beim Frühstück gab es die erste Teambesprechung, also: Wer macht was? Dann ging es in das Camp. Wir haben den Flüchtlingen erklärt, was rechtlich beim Asylverfahren auf sie zu kommt und welche Fragen gestellt werden könnten. Abends haben wir dann noch eine Art Homeoffice gemacht, also Anträge bearbeitet und Daten hochgeladen. Auch jetzt noch, also zurück in Deutschland, versuchen wir ein bisschen nachzuarbeiten. Denn der Bedarf vor Ort ist nach wie vor sehr groß, Chios ist ein bisschen die vergessene Insel.

Die vergessene Insel?
Ja, die mediale Aufmerksamkeit liegt eher auf Lesbos. Die Lage in Chios ist nicht so bekannt, keine Vertreter der EU oder der UN waren hier. Es gab auch keine Rechtsinformationen dort. Darunter haben die Menschen besonders gelitten.

Inwiefern?
Man merkt sehr schnell, dass es nicht nur die Bedingungen der Unterbringung sind, die die Menschen belasten. Das Wissen, dass sie hier so schnell nicht wieder weg können und dass kaum Informationen durchkommen, ist allgegenwärtig. Sie erdrückt einen beinahe.

Was genau konntet ihr vor Ort tun?
Seit dem Abkommen mit der Türkei gilt ja, dass nur noch für vulnerable Gruppen die Türkei kein sicherer Drittstaat ist, also wenn man beispielsweise schwanger ist oder minderjährig. Wir haben die Flüchtlinge auf die Interviews und die Fragen dazu vorbereitet.

Wie sind die Bedingungen im Camp allgemein?
Eines der Hauptprobleme ist die fehlende Privatsphäre. Familien stellen ihre Schuhe zur Abgrenzung nebeneinander auf, um sich zumindest eine Art Rückzugsraum zu schaffen. Außerdem haben die Plastikzelte keine Fenster und erhitzen sich sehr schnell. Die sanitären Anlagen sind katastrophal. Es herrscht einfach ein unglaubliches Gefühl der Verzweiflung. Man kann sich nicht vorstellen, dass das Europa ist und dass auf der gleichen Insel Touristen ihren Urlaub genießen.

Welche Erlebnisse lassen dich auch hier in Deutschland nicht los?
Puh, es gab so viele. Aber einmal demonstrierten zum Beispiel die Einwohner Chios am Eingang des Camps. Etwa 200 Leute versammelten sich und zündeten unter anderem Bengalos. Als die Demonstration begann, war ich noch im Camp. Um mich herum zuckten die Kinder zusammen und versteckten sich. Sie kannten die Geräusche noch aus Syrien und konnten erst einmal nicht unterscheiden, dass das nur eine Demonstration war. Da wird einem bewusst, wir können die Lücke im System nicht füllen, ein Gefühl der Ohnmacht.

Möchtest du gerne noch einmal nach Griechenland?
Jetzt mache ich erst mal Examen im Frühjahr, davor wird es knapp. Wir hatten natürlich mit dem Gedanken gespielt, aber das macht im Moment zeitlich keinen Sinn.

Interview: Pia Teresa Weber

Foto: Mahja Afrosheh

Auf Bewährung

Die Refugee Law Clinic bietet Rechtsberatung für Flüchtlinge an. Franziska Faßbinder, 25, und Lisa Schmidt, 24, engagieren sich dort – um Flüchtlingen zu helfen und neue Motivation für ihr Jurastudium zu schöpfen.

Man möchte nicht spekulieren, was sich Flüchtlinge, die nach Monaten, Jahren der Flucht in Deutschland ankommen, am meisten wünschen. Ein Wunsch, den die angehenden Juristinnen Franziska Faßbinder, 25, und Lisa Schmidt, 24, (Foto: Sandra Singh) immer wieder hören, klingt so: endlich zu Hause anrufen, den Eltern sagen, dass man wohlbehalten angekommen ist, und hören, ob es der Familie in der Heimat gut geht. Es ist ein Wunsch, der oft nicht folgenlos bleibt. Vielmehr ist es einer der Gründe, warum Flüchtlinge in Deutschland Rechtsberatung brauchen, erklärt Franziska Faßbinder. „Man muss sich das so vorstellen: Man hat einen ganz jungen Asylbewerber – vielleicht 19 Jahre alt. Und er möchte nichts lieber, als sofort mit seiner Familie telefonieren. Also geht er in das nächste Geschäft und lässt sich einen extrem blöden Handyvertrag aufschwatzen. Und dann ruft er zu Hause an, zum Beispiel im Senegal, und telefoniert eine Dreiviertelstunde mit seiner Mama. So bekommt man dann eine Rechnung von, sagen wir, 1300 Euro.“

Immer wieder bleiben solche Rechnungen offen. Mahnungen, die sicher nicht bezahlt werden können, erreichen die Flüchtlinge. Was viele nicht wissen: „Eine zu hohe offene Forderung kann Auswirkungen auf den Asylantrag haben. Das heißt, das, was für Telefongesellschaften wenig Geld ist, bedeutet für einen Menschen seine Existenz“, sagt Franziska. Beratungen für solche Fragen gibt es einige, im August dieses Jahres ist noch eine weitere hinzugekommen: die Refugee Law Clinic mit Studenten wie Franziska und Lisa, die in dem Rahmen helfen wollen, in dem sie es können.

Law Clinic nennt sich das Konzept, in dem angehende Juristen ehrenamtlich beraten und so selbst erste praktische Erfahrungen sammeln können. In München bekommen die Studenten dabei Unterstützung von ihrem Beirat. Das sind Experten auf dem Fachgebiet, die vorab Vorträge zu ihren jeweiligen Schwerpunkten halten und den Studenten bei heiklen Fragen zur Seite stehen, ihnen auch sagen, wo sie helfen können und in welchen Fragen sie es lieber lassen sollten.

Iris Ludwig ist eine von ihnen. Von dem Konzept der Law Clinic ist sie begeistert, auch weil damit ein Thema mehr Aufmerksamkeit erhält, das sonst von der Uni häufig vernachlässigt würde. Mit fatalen Konsequenzen: „Man muss wirklich sagen, dass es zu wenig gute beziehungsweise engagierte Anwälte auf diesem Gebiet gibt“, sagt Iris Ludwig. „In meiner Kanzlei müssen wir jeden Tag Leute wegschicken, die wir aus Kapazitätsgründen nicht als Mandanten aufnehmen können. Ich finde die Law Clinic so wichtig, weil ich hoffe, dass sich dadurch bereits an der Uni Studenten mit dem Thema beschäftigen und dann später zu engagierten Anwälten werden, die dann wiederum zur Entspannung beitragen.“ Ein Ersatz für voll ausgebildete Anwälte könnten die Studenten natürlich noch nicht sein, aber eine Art Anfangsberatung für die leichten Fälle: „Es ist natürlich total wichtig, dass die Studenten auch wissen, wo ihre Grenzen sind, sich nicht selbst überschätzen. Aber bis zu diesem Punkt ist ihre Arbeit wirklich eine Bereicherung in einem System, das überlastet ist.“

So profitieren beide Seiten, erklärt Franziska. Flüchtlinge wie Studenten: „Es ist bei uns Juristen schon so, dass irgendwann im Studium die Motivation flöten geht. Es ist ein riesiger Berg an Aufgaben, den man abzuarbeiten hat – gerade vor dem Examen. Es ist alles sehr verkopft, theoretisch. Und manchmal verliert man darüber den Blick dafür, was man im echten Leben damit anfangen kann.“ Was im echten Leben damit anfangen zu können – aus diesem Grund haben die beiden ihr Jura-Studium einmal aufgenommen. Hört man ihnen aber eine Weile zu, ist das Studium nicht die Zeit, in der sie in ihrem Wunsch bestärkt werden. Das merkt man auch der Struktur der Law Clinic an: Es ist kein alter Freundeskreis, der hier eine gemeinsame Idee umsetzt. Auch dass sie mittlerweile befreundet sind, steht nicht im Vordergrund. Sie alle scheinen hier etwas zu suchen, was sie im Studium nicht finden können.

Und sie tun es professionell: Die Law Clinic setzt sich aus verschiedenen Ressorts zusammen, sie ist hierarchisch strukturiert. Viele Studenten stehen kurz vor dem Examen, wären eigentlich besser in der Bibliothek aufgehoben, sollten sich auf theoretische Aufgabenstellungen vorbereiten, nicht auf einen Beratungstermin. Doch gerade dafür, so scheint es zu sein, brauchen sie Motivation aus der Praxis. Lisa Schmidt kennt das Gefühl: „Irgendwann stellt man sich schon die Frage, wofür man das eigentlich alles macht. Man studiert die ganze Zeit vor sich hin, jahrelang, und weiß noch nicht einmal, ob man am Ende das Examen schafft. Und dann ist das eine tolle Bestätigung, eine Möglichkeit, um zu sehen, warum man das macht, um zu sehen, was dabei rauskommen kann.“

Wie diese Hilfe aussieht? Woche für Woche fahren drei Jura-Studenten nach Dachau und beraten die Flüchtlinge in ihren Fragen. Zu dritt blättern sie dann in Skripten und Gesetzesbüchern, sagen ganz offen, wenn sie sich einmal unsicher sind, und genau so, wenn sie die Gesetzeslage kennen, ohne sie zu Hause noch einmal nachsehen zu müssen. Am vergangenen Mittwoch warten die drei Studenten vergeblich im Dachauer Caritas-Gebäude – mit Büchern und Laptop ausgestattet, bereit zum Beraten und Protokollieren. An diesem Tag kommt niemand, vielleicht ist das Wetter zu schlecht, vielleicht haben die Studenten die Fälle, die sie bearbeiten können, schon abgearbeitet. In den ersten Wochen war das anders, erklärt Franziska: „Als wir das erste Mal die Beratung angeboten haben, saßen schon eine halbe Stunde vorher sieben Hilfesuchende vor dem Beratungszimmer. Alle waren überpünktlich. Der Letzte hat geduldig drei Stunden lang gewartet, bis er endlich dran kam.“

Mit der Beratung begonnen haben die Studenten im August dieses Jahres, doch die Geschichte der Münchner Law Clinic begann früher. Noch zu Schulzeiten machte Franziska ein Praktikum beim Münchner Flüchtlingsrat. Während eines Auslandsaufenthalts besuchte sie eine Veranstaltung zum Asylrecht, schrieb eine Arbeit darüber. Man kann sagen: Das Thema ließ sie nicht los. Für ihr Hauptstudium kehrte sie zurück in ihre Heimat München. Sie nahm Kontakt mit anderen Beratungsstellen auf, fragte nach, ob hier noch Bedarf bestünde – natürlich bestand Bedarf. Sie tauschte sich mit Studenten anderer Law Clinics aus und merkte schnell, dass eine Menge Arbeit auf sie zukommen würde: „Ich wusste, dass ich ein Semester, wenn nicht ein Jahr länger studieren würde, wenn ich das Projekt wirklich angehe. Und so war es jetzt auch.“

Auch Lisa war nicht unvertraut mit dem Thema. Während eines Praktikums beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge spürte sie zum ersten Mal, wie schwer es ihr fallen kann, allein zuzuhören, wenn Geschichten der Flüchtlinge besprochen werden. Das Gefühl ist ihr geblieben: „Es ist manchmal schwierig, sich persönlich davon zu distanzieren. Gerade, wenn man sich die Geschichte anhört und dann den Menschen da stehen sieht und ihm eigentlich sofort helfen will, ihn eigentlich nicht mehr dahin zurückgehen lassen will“, erzählt sie.

Keine der beiden Studentinnen weiß heute, ob sie auf das Asylrecht später ihren Schwerpunkt legen möchte. Was sie wissen, ist, dass die Beratung ihnen einen neuen Blick auf ihr Studium gegeben hat. Einen lohnenden, für den sie gerne ein Semester länger an der Uni brauchen. Marie Schoeß