Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Jackie

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Zwischen Frühlingserwachen und Schneestürmen lauscht Jackie im Farbenladen den Klängen von Electro-Pop und den Stimmen ihrer Kollegen, den ersten Gehversuchen junger Münchner Rapper in der Glockenbachwerkstatt und den Monologen ungehaltener Frauen im Einstein Kultur. Am Ende der Woche lauscht sie dann auf der Suche nach ihren eigenen Worten in sich selbst hinein – stilecht mit einem Glas Rotwein vorm Kamin, eh klar.

Hallo März! Hast du uns mehr Sonne als Schnee mitgebracht? Dann bist du herzlich willkommen! Egal aber, ob die Sonne scheint oder es dicke Flocken schneit, ich gehe am Freitag zum Magazine Release von No Name No Fame. Die Menschen vom Graffiti-Laden Ghostyard bringen ihr erstes Magazin raus und gefeiert wird im Kafe Marat. Muss ich mir ja schon mal anschauen, was so abgeht in der Graffiti-Szene. Schließlich wollen die ja nicht nur gemütlich das Magazin begießen, sondern gleich auch selber Hand anlegen und die Sprühdosen leeren. Und auch wenn ich selbst gänzlich untalentiert bin, street art finde ich im Gegensatz zu den meisten anderen Sachen, immer noch ziemlich cool.

Standard! Am Samstag ist die Vernissage von unserer Ausstellung im Farbenladen und natürlich geh ich da hin. Und alle müssen mit! Wenn man beim Entstehungssprozess von so einem Projekt dabei war und die vielen Problemchen, die es zu meistern galt, kennt, ist man am Ende fast ein bisschen stolz, das man davon am ersten Abend gar nichts merkt. Darauf erst mal ein Bier! Zum Sound von türkischem Electro-Pop des Solokünstlers Atlataş schlendere ich durch die kleine Galerie und bin begeistert-verblüfft, wie viele unterschiedliche Ansätze man zu dem Thema „München – am Rand“ finden kann. Wenn diese Ausstellung repräsentativ für die Münchner Kunstszene ist, muss man sich zumindest in dieser Hinsicht keine Sorgen machen, denke ich und nehme noch einen Schluck von meinem Bier.

Sonntag, zweiter Tag Farbenladen. Heute bin ich vor allem da, um meinen lieben Schreiber-Kollegen dabei zuzuhören, wie sie ihre Texte zum Thema „Zeichen der Freundschaft“ vorstellen. Von kitschig-schön bis absurd-komisch ist alles dabei. Endlich geht es mal nicht um Beziehungsprobleme und diesen ganzen Schmarrn, sondern um Freundschaft. Ist zwar streng genommen auch Liebe mit ihren ganz eigenen Problemen, aber hey. Es kommt selten vor, aber vor lauter Liebe, würde ich am liebsten jemanden umarmen. Ersatzweise trinke ich ein Bier – erfüllt seinen Zweck mindestens genauso gut. Werde diesen Tipp an Imke-Karlotta, die liebesbedürftige Katzendame, weitergeben. Die steht nämlich heute auch auf der Bühne im Farbenladen. Neben Line Walking Elephant und SweetLemon.

Unter der Woche hat der Farbenladen leider zu. Ist ok, geh ich am Montag halt stattdessen zu Bless the Mic mit Natürlich Blond in der Glockenbachwerkstatt. Wie jeden Monat treten auch dieses Mal wieder Rapper und Poeten gegeneinander an und buhlen um die Gunst des Publikums. Vom ewigen Einerlei klassischer Slams habe ich gerade genug, die Rap-Einlagen und der Freestyle sind dagegen schon eher nach meinem Geschmack. Was mich wundert: Das es hier statt der obligatorischen Whiskeyflasche ne Flasche Sekt zu gewinnen gibt. Die Winkekatze hingegen find ich stilecht. Die Jungs von Natürlich Blond klingen ein bisschen so, als wären sie gerade erst aus dem Stimmbruch gekommen, trotzdem amüsiere ich mich prächtig. Im Anschluss besuche ich noch meinen lieben Ex-Mitbewohner Bojan im Flaschenöffner auf ein Bier. Ist ja praktisch ums Eck.

Bei mir zuhause ums Eck ist hingegen das Import Export. Trotzdem hab ich es bislang noch nie zur Rationalversammlung geschafft. Das soll sich am Dienstag ändern! Bewaffnet mit dem obligatorischen Bier werden ich und die anderen Zuschauer in verschiedene Parteien eingeteilt. Auf der Bühne tagen die selbsternannten Minister. Die tragen fleißig Gedichte, Lieder, Kurzgeschichten und Minidramen vor. Wie immer, weiß ich nicht, was ich von dieser Selbstdarstellungssucht halten soll. Einerseits bewundere ich sie, andererseits ist sie mir aber immer auch ein bisschen fremd. Die Mischung finde ich aber hier deutlich besser als bei den meisten anderen Veranstaltungen dieser Art. Vielleicht ist auch nur das Niveau höher. Und vielleicht komme ich deshalb sogar am zweiten Dienstag im April wieder vorbei.

So viel Input macht mich immer irgendwie müde. Menschenmüde vor allem. Deshalb bleibe ich am Mittwoch auch mal wieder daheim. Wichtig fürs Wohlfühlprogramm: Eine Küchen-Session. Mein Lieblingswerkzeug ist momentan mein großer, grüner Schmortopf. Weil der Frühling sich ja phasenweise schon in Form von Krokussen und wärmenden Sonnenstrahlen ankündigt, muss ich mich ranhalten mit dem Schmoren. Im Sommer schmort es sich ja bekanntlich eher schlecht. Deshalb gibt’s heute: Lammhaxen mit schwarzen Oliven und Artischocken. Mhmmm. Im Anschluss mache ich es mir dann mit den Tagebüchern von Astrid Lindgren und einer Tafel Schokolade vor unserem Kamin gemütlich. Warum raus in die Kälte gehen, wenn es daheim so kuschelig warm ist?

Gut erholt und wieder sozial kompatibel mache ich am mich am Donnerstag auf den Weg zur Ausstellungseröffnung “A LAND IS A SCAPE IS A SOUL” von Steffi Pusch und Käthe deKoe. Die Landschaftsaufnahmen der beiden Fotografinnen laden den Betrachter ein, auf Entdeckungsreise zu gehen. Teilweise sind die Bilder verschwommen und lassen keine genaue Ortung zu, doch genau darin liegt der Reiz und die Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen und Emotionen in die Betrachtung der Bilder einfließen zu lassen. Tatsächlich wandele ich ein bisschen wie im Traum durch die Ausstellung. Nachts träume ich dann sogar von vorbeiziehenden Landschaften. Mit einem Anflug von Fernweh wache ich auf.

Mit „Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ möchte ich am Freitag meine wortreiche Woche beenden und mein Fernweh bekämpfen. Wer wollte nicht schon immer mal wissen wie Eva Braun ihre schlechte Männerwahl rechtfertigt oder Effie Briest ihre Meinung sagen hören? Die Monologe von Frauen aus Geschichte und Literatur klingen auf jeden Fall spannend und wie eine Veranstaltung ganz nach meinem Geschmack. Besser als diese ganzen Pseudokacke zum Thema Beziehungsunfähigkeit allemal. Trotzdem habe ich nach dem Abend erst mal genug von den Worten anderer Menschen. Und immer noch Fernweh. Deshalb schnappe ich mir, als ich zuhause bin, mein Notizbuch, ein Glas Rotwein und bringe meine eigenen Worte vor dem Kamin zu Papier. Eine Reise in mein Inneres muss wohl fürs Erste genügen.

Ministerin für Ein- und Aussatz

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Elena Anais Lorscheid promoviert in Germanistik und gibt Schreibworkshops. Als sie nach München kam, war sie vom Angebot der männerdominierten Leseszene enttäuscht – und gründete die Rationalversammlung.

Von Theresa Parstorfer

Schreiben ist ein ekliger Prozess. Findet zumindest Elena Anais Lorscheid. Wie eine Art von Vokabeln-Lernen, durch das man sich eigentlich nicht um des Lernens willen, sondern um des Danach-Könnens willen quält. „Man muss alleine sein können, wenn man schreibt. Und man muss seine eigenen Gedanken aushalten können“, sagt sie.
Elena ist 28 und eigentlich wollte sie in diesem Alter schon ihren ersten Roman fertig geschrieben haben. „Das hat leider nicht geklappt“, sagt sie und lächelt dabei. Aber in diesem Jahr will sie fertig werden mit dem Buch. Und dann, im Laufe der nächsten zwei Jahre soll es erscheinen. Wenn man sich so anhört, was Elena sonst noch alles auf die Beine stellt neben ihrer Promotion in Germanistik, ist es ohnehin erstaunlich, dass sie noch die Zeit findet, einen Roman zu schreiben.

Immer wieder gibt sie Schreibworkshops, und seit vier Jahren organisiert sie einmal im Monat zusammen mit anderen die Rationalversammlung. Das ist eine Lesebühne, die von Anfang an ausverkauft war und vor Kurzem aufgrund steigender Besucherzahlen vom Rationaltheater ins ImportExport umgezogen ist.

Lesebühne. Das ist ein Wort, das oft fällt, wenn man sich mit Elena unterhält. Sie bewegt sich in der „Lesebühnenwelt“ wie andere im Musikjargon. Sie kennt alle Bühnen und die meisten Autoren. Schon während ihres Germanistik-Bachelorstudiums in Marburg hatte sie drei Jahre lang eine solche Veranstaltung geleitet, bei der Autoren ihre Texte vorlesen können. Als sie dann für ihr Studium der Komparatistik nach München zog, sei sie ein wenig enttäuscht gewesen vom Angebot der Münchner Leseszene. So entstand die Idee der Rationalversammlung. Auch wenn alle der sechs Veranstalter Hintergründe im Poetry Slam haben und die Grenze zwischen dem, was in der Rationalversammlung gemacht wird und klassischem Poetry Slam teilweise fließend ist, sind Elenas Gefühle, was den Slam angeht, gemischt. Sie erzählt davon, wie schwer sie es als Mädchen hatte, als sie anfing, an Wettbewerben teilzunehmen. „Sexismus im Poetry Slam ist vielleicht ein heikles, aber doch sehr interessantes Thema“, sagt sie. Eigentlich sei ihr schon immer klar gewesen, dass das Slammen nicht das war, was sie wirklich machen wollte. „Wenig erhebend“ habe sie es gefunden, sechs Stunden zu Contests fahren zu müssen, um dann fünf Minuten auf der Bühne zu stehen. Und dann im schlechtesten Falle die niedrigste Bewertung zu bekommen, weil man eben „zu leise, zu nachdenklich“ sei.

Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es auch anderen jungen Autorinnen so geht. Sich nicht trauen, sich selbst nicht für gut genug befinden und von der Männerwelt an die Wand geschrieben und geslammt werden. „Das ist in München auch noch mehr so als in anderen Städten. Berlin oder Leipzig. Da gibt es sehr viel mehr Frauen auf den Bühnen.“ Deshalb will sie als nächstes Projekt eine Frauen-Lesereihe organisieren. „Composita“ soll diese Reihe heißen und wie ein Sprungbrett funktionieren, denn „Mädchen mit wenig Texterfahrung würden sich wahrscheinlich erst einmal nicht mit vier Jungs wie denen auf die Bühne trauen“, sagt Elena.

Es ist der zweite Dienstag im Monat und die Rationalversammlung tagt. Die ImportExport Kantine ist gesteckt voll, auch die Fensterbretter sind belegt und der Geräuschpegel der Gespräche übertönt beinahe die Beats des DJs. Elena trägt ein schwarzes Kleid mit weißen Punkten und lacht, als Heiner Lange sie als „Ministerin für den Ein- und Aussatz“ ankündigt.

Mit acht Jahren hat sie ihre
erste Geschichte für ihre
Schwester geschrieben

Sie sagt, sie selbst sei schüchtern, ihre Texte seien verträumt, speziell, nicht auf lustiger Pointen-Suche und Lacher-Jagd. Aber dennoch: „Ich schreibe keine Frauenliteratur. Ich suche mir oft Situationen, die jeder kennt, und lasse die dann so abdrehen, dass einem unwohl wird dabei.“ Familienszenen seien so ein Beispiel. „Da ist es manchmal so, dass vorne rum so getan wird, als hätten sich alle lieb und als würde man zusammengehören. Bei aller Kuscheligkeit ist natürlich jeder auch auf seinen eigenen Vorteil bedacht.“ Oder Vegetarier mit Lederschuhen. Sie will auf kleine Abgründe aufmerksam machen, die in jedem von uns schlummern. Auch der Text, den sie auf dieser Rationalversammlung liest, trieft vor böser Ironie. „Die Welt ist ja schlimm. Aber das Internet zeigt mir immer wieder die Klugheit der Leute. Ehrlich. Die halten die Schlimmheit der Welt im Zaum, und dann rege ich mich gar nicht mehr auf. Dann bin ich komplett beruhigt, weil die Leute einfach so klug sind“, kündigt sie ihn an. Ein endloser Facebook-Posting-Thread folgt. Die Klugheit der Leute im Netz, die genau wissen, was passiert und was es bedeutet, wenn Putin Anspruch auf den Nord- und den Südpol erhebt. Das Publikum johlt.
Ein bisschen wird es darum auch in ihrem ersten Roman gehen. Um eine orientierungslose Gesellschaft, um Jugend, und um Wege und Pläne, die sich am Ende doch immer ändern. Auf einmal wirkt Elena sehr selbstbewusst. „Ich glaube schon, dass er ganz gut ist“, sagt sie. Nach einem Verlagspraktikum habe sie gemerkt, dass sie nicht als Lektorin arbeiten, sondern selbst von einer betreut werden wollte.

Elena landet immer wieder beim Schreiben. Sie ist keine Slammerin, keine Kabarettistin, keine Lektorin, sie will nach der Promotion auch nicht an der Uni bleiben. Sie weiß, in 90 Prozent der Fälle kann man nicht hauptberuflich als Autorin überleben. Nicht in einer Stadt wie München.

Aber Schreiben gehört einfach zu ihr. Seit sie mit acht Jahren eine erste Geschichte für ihre kleine Schwester geschrieben hat. Über einen Igel, einen Dachs und einen Fuchs, die gemeinsam Abenteuer erleben. Vielleicht ist daran auch ihre Mutter Schuld, die ihr den zweiten Namen Anais gab, nach der französischen Schriftstellerin Anais Nin, die Mitte des 20. Jahrhunderts für ihre Tagebücher und erotischen Erzählungen bekannt wurde. Ein wenig kalt habe sie diese Art von Literatur immer gefunden, sagt Elena. Aber irgendwie schön sei es dann doch, nach so einer Frau benannt worden zu sein. Deshalb nennt sie sich auf der Bühne auch so. Elena Anais.
Elena würde das Schreiben nicht einmal als Hobby bezeichnen. „Wenn ich nicht immer geschrieben hätte, hätte ich andere extreme Sachen gemacht, um mit meinen Dingen klar zu kommen“, sagt sie und lacht. „Aber vielleicht ist Schreiben ja auch etwas Extremes.“ Ein extremer, ekliger Prozess eben, an dessen Ende man sich aber doch immer besser fühlt.

Foto: Martin Moser