Was ist es, das Münchner Musiker nach Berlin zieht? Oder andersrum – Warum verschwinden immer mehr Musiker aus München? Aus gegebenem Anlass haben wir ‘’Exil-Münchner’’ befragt.
Im Herbst herrschte große Aufregung in München. Sebastian Schnitzenbaumer von der Plattenfirma Schamoni Musik sagte, dass das Image von München nicht mit cooler Popmusik assoziiert werde. Das im ganzen Land verbreitete München-Bild, sagte er, mache es unmöglich, mit moderner Popmusik über die Stadtgrenzen hinaus glaubwürdig zu erscheinen. Schamoni Musik überlegte gar, die Stadt München wegen Geschäftsschädigung zu verklagen. Passiert ist das nicht. Aber auch in München hat sich die Situation bislang nicht verbessert.
„An Berlin gefällt mir, dass die musikalischen und sonstigen Einflüsse vielfältiger sind. Alles fühlt sich offener an. Die Hypes sind hier nicht so krass, auch gibt es jede Menge spannende Auftrittsmöglichkeiten. Aber: Das Publikum ist schwieriger zu überzeugen, daher ist es was Besonderes, wenn man es in Berlin schafft.“
Nalan Karacagil (Nalan381):
„Berlin ist einfach wunderbar, so groß und kriminell. Nach Berlin bin ich, um mehr zu entdecken, mehr Chaos, mehr Trubel. Es ist mein erstes Ausbrechen aus München, meiner Heimatstadt. In Berlin versuche ich mich noch mehr auf die Musik zu konzentrieren. Der Vibe Berlins ist natürlich auch sehr stark! In München finden angehende Künstler mit viel Potenzial automatisch schlechter Gehör. Man betreibt ein sehr Einnahmenorientiertes Booking und viele kleine Fische gehen somit verloren.“
Franz Neugebauer (The Dope):
„Warum wir in Berlin sind? Hier stimmen die Rahmenbedingungen: billigere Mieten für Wohnung und Proberaum.Dazu ist Berlin ein Ballungszentrum für Popschaffende. Und München? Aus der Ferne betrachtet stört dieses ewige Kreisen um den eigenen Bauchnabel. Subventionen und Podien, so gut sie auch gemeint sein mögen, machen eine Stadt nicht cool und zum Ursprung spannender und relevanter Popmusik.“
Lisiena Arifi (Lisiena):
„In München war ich Lady Gaga, in Berlin bin ich Nina Hagen. So kann’s laufen. Ich wurde gut empfangen soweit. Da ich ja das Booking selbst mache, picke ich mir die Rosinen raus. Das Publikum lässt sich hier etwas mehr begeistern, dafür sind die Münchner spendabler.“
Fotos: Alexander Rapp (MarieMarie), Thomas Spitschka (Lisieana), Rosanna Graf (Nalan381), Privat (The Dope)
Magnus Textor, 23, arbeitet für Sony Music Deutschland und sucht für seine Plattenfirma neue Talente. Bei der Talentsuche ist oft Berlin im Fokus. München ist aber noch nicht ganz verloren – wenn sich die Stadt an die Künstler anpasst.
Die Stimmung in der Halle ist ausgelassen. „Get down everybody“, ruft Xavier D’Arcy, Sänger der Blues-Rock-Band The Charles der begeisterten Menge zu. Jeder geht in die Knie und wartet darauf, dass sich der Song „Hoodoo“, den die vier Münchner gerade spielen, in den kraftvollen Refrain entlädt. Als Xavier D‘Arcy mit seiner markanten Kopfstimme die Strophe beginnt, springt ein Meer aus Menschen auf und tanzt wie wild durch das Hansa 39 des Feierwerks.
Derartig ausufernde Konzerte gibt es viele in München. Dem stimmt auch Magnus Textor zu. Er ist 23 Jahre alt und arbeitet als A&R-Manager für den deutschen Ableger von Sony Music. „München braucht sich auf keinen Fall zu verstecken“, sagt Magnus, der zu Schülerzeiten selbst mit der Band Pillowcream die Konzertbühnen der Stadt bespielte.
Doch ist bei weitem nicht jeder mit dem Zustand der Sub- und Konzertkultur in München einverstanden. München kann Pop, sagen Vertreter der Kreativwirtschaft. München kann vielleicht Oktoberfest, sagen Kritiker: Das Image der Stadt sei so uncool, das es Bands eher schadet, von hier zu sein.
Wie steht es also um das Selbstbild der alternativen Münchner Musik- und Kunstszene? Ist es tatsächlich so schwierig, als Münchner Künstler glaubwürdig zu erscheinen? Ist es hier wirklich so schlimm, dass alle kreativen Musiker nach Berlin abhauen? Magnus ist dieses Problem vertraut. „Ich kenne keinen einzigen Künstler, der wegen der Stadt hierher gezogen ist“, sagt er leicht ernüchtert. München sei wie eine „Großstadt auf Raten“. Dabei gebe es so einiges, das hier noch entstehen könne.
Magnus kennt sich im Münchner Nachtleben aus. Vor ein paar Jahren kannte man den schmächtigen 23-Jährigen noch wegen seiner Band und auch als Solokünstler. Inzwischen fasziniert ihn mehr die wirtschaftliche Seite des Musikmachens. „Ich wollte eigentlich schon immer ins Musikbusiness“, sagt Magnus. Mit seiner Wollmütze und dem löchrigen Pullover wirkt er dennoch mehr wie ein Künstler als ein Musikmanager. Er spricht mit ruhiger Stimme und strahlt doch eine gewisse Energie aus, als würde er gleich aufbrechen. Auf ein Konzert oder in einen Nachtclub.
Nach dem Abitur 2011 am Pestalozzi-Gymnasium arbeitete er ein Jahr lang für seinen guten Freund und Mentor Amadeus Böhm beim Münchner Indie-Label Flowerstreet Records. „Das war ein starker Einstieg dort“, sagt Magnus. Irgendwann aber wollte er dann aus diesem „Indie-Smog“, wie er es nennt, ausbrechen. Er begann eine Ausbildung zum Kaufmann für audiovisuelle Medien beim Plattenlabel Sony. Seitdem ist er dort auch angestellt. Mittlerweile als Artist-and-Repertoire-Manager, kurz A&R, ist er auf der Suche nach neuen Künstlern, stellt den Kontakt zwischen diesen und Produzenten her und betreut ebenfalls etablierte Musiker. Und dadurch kennt sich Magnus in der Münchner Club-Szene bestens aus. „Die ehrlichste Einschätzung einer Band bekommt man, wenn man sie live sehen kann“, sagt er. Nur auf der Bühne bekomme man den ehrlichsten Eindruck einer Band, weil sie sich dort nicht hinter einer Produktion verstecken könne.
Wenn er in schwärmenden Tönen von seiner Arbeit erzählt, merkt man, wie wenig sich sein Blickwinkel auf die Konzertkultur gewandelt hat. Magnus geht weiterhin auf Konzerte, einfach nur, um sie zu genießen. Sein eigener Hintergrund als Musiker verleihe ihm das nötige Fingerspitzengefühl, sagt er. Das sei zwar eher unüblich, die meisten A&Rs kämen aus dem juristischen Bereich oder aus dem Marketing. Dennoch: „Beispielsweise ein Grundverständnis davon, was ein eigener Song für einen Musiker bedeutet, ist extrem wichtig“, sagt Magnus. Ein Feedback für einen Song müsse besonders bei unerfahrenen Künstlern taktvoll und auch vorsichtig ausfallen. „Es ist, als würdest du deren Neugeborenes kritisieren“, sagt er und schmunzelt.
Auch für Münchner Künstler hat sich Magnus bereits eingesetzt. Die Indie-Band Exclusive kannte er bereits aus Zeiten bei Flowerstreet Records. Ihr verhalf er zu einem zweiten Album unter der Obhut von Sony. Und Leon Weber, der als LCAW mit seinem Hit „Painted Sky“ für Furore sorgte, konnte Magnus für seine Firma gewinnen. Das ist beachtlich. Große Plattenfirmen wie Sony oder auch Warner richten sich normalerweise recht wenig nach der lokalen Herkunft eines Künstlers aus. „Wobei es für einen Musiker natürlich von Vorteil ist, wenn das Label in derselben Stadt ist“, sagt Magnus. Das sei vor allem bei kleineren Indie-Labels der Fall, bei denen der lokale Aspekt zumeist eine große Rolle spielt.
„Deshalb würde ich auch nicht von Konkurrenz sprechen“, sagt Magnus. Kleine Plattenfirmen seien wichtig, um eine lebendige lokale Szene aufrechtzuerhalten, um Künstler aufzubauen. Sie haben den nötigen Raum und das Umfeld, um neue Kunstrichtungen entstehen zu lassen. Solche Freiräume habe eine Großstadt wie München bitter nötig, sagt Magnus. Ohne das inzwischen stillgelegte Atomic Café etwa würde er nicht dort stehen, wo er heute ist. „Man konnte sich dort wahnsinnig schnell vernetzen“, erzählt der Musikmanager.
„Und es gibt durchaus einige Menschen, die sich dafür einsetzen, dass Subkultur hier entstehen kann“, fügt Magnus hinzu. Dabei meint er Daniel Hahn, der das eigenwillige Kunst- und Konzertprojekt Bahnwärter Thiel ermöglicht hat. Und Julia Viechtl, Initiatorin der „Manic Street Parade“, dem ersten großen Münchner Club-Festival. Diese Macher sorgen dafür, dass die Stadt zukünftig für junge Menschen attraktiv bleibe. Auch für große Plattenfirmen sei der Kontakt in eine dynamische und junge Szene wichtig. „Hier kann man immer wieder neue Trends beim Entstehen beobachten“, sagt Magnus.
München stand in den vergangenen Jahren trotz vieler herausragender Künstler selten in einer solchen Vorreiterrolle. Das liege auch daran, dass es wenige Kunstschaffende in der Landeshauptstadt hält. „Mal ehrlich, die meisten gehen irgendwann“, schrieb Rapper Keno einst als Reaktion auf einen Artikel der Süddeutschen Zeitung. Natürlich gebe es großartige Musik in München. „Die Künstler lassen sich nicht unterkriegen. Not macht erfinderisch“, sagte der Frontman der Urban-Brass-Kapelle Moop Mama. Doch das dürfe nicht ablenken von strukturellen Problemen, die das Entstehen solcher Freiräume behindere. Wie viele andere Musiker ist Keno inzwischen aus München weggezogen.
Ist das der letzte Ausweg? Muss es dazu kommen? Magnus hat den Glauben an seine Heimatstadt noch nicht ganz verloren. Aber dafür muss sich München ändern. Bislang müsse sich der Popmusiker an die Stadt anpassen, sagt er. Will München Popcity werden, müsse sich die Stadt an die Lebensgewohnheiten der Künstler gewöhnen – und dazu gehöre, ganz banal, dass ein Supermarkt auch noch um vier Uhr morgens offen ist, wenn der Musiker gerade Feierabend macht.
Die Diskussion
München steht für Laptop und Lederhosen. Aber kann München auch Pop? Nein, sagen viele. Die Stadt selbst ist hier wiederum anderer Meinung. Wie wird München zur zu nächsten go-to-Stadt? Wie wird München zur nächsten Popcity? Politiker, Vertreter der Kreativwirtschaft, Veranstalter und Musiker diskutieren am Donnerstag, 16. Februar, auf Einladung des Bayerischen Rundfunks und der Süddeutschen Zeitung über die florierende Musikszene im öffentlichen Raum in München. Auf dem Podium sitzen Josef Schmid (Zweiter Bürgermeister), Julia Viechtl (Fachstelle Pop), Daniel Hahn (Bahnwärter Thiel), Anton Schneider (Fatoni, der danach beim Puls-Lesereihe-Finale auftritt), Josie-Claire Bürkle (Claire), Magnus Textor (Sony Music). Moderiert wird die Diskussion von Laury Reichart (PULS) und Michael Bremmer (SZ). Einlass im Bahnwärter Thiel (Tumblingerstraße 29) ist um 17 Uhr, die Diskussion beginnt um 17.30 Uhr.