„Posh“ könnte eine mögliche englische Bezeichnung für die Münchner Schickeria sein. Oder passt das doch nicht? Wie sich das vornehme Bürgertum in England von dem der Münchner Maximiliansstraße unterscheidet, darüber berichtet unsere Autorin in ihrer Kolumne.
„Posh“
ist in England so ein Wort, das auf Vieles und Nichts zugleich passt, das
deskriptiv sowie normativ, abstrakt sowie materiell verwendet werden kann. Ein
Dialekt ist „posh“, ein Auto ist „posh“, „super“ vor Adjektive zu kleben ist
„posh“ und der Norden von Oxford, wo ich wohne, ist „posh“. Meine
Übersetzungs-App behauptet, „vornehm“ sei der adequate deutsche Begriff.
Sicherlich könnte man die Münchner Schickeria als Pendant zu britischer
„poshness“ heranziehen. Allerdings würde ich behaupten, dass sich die Sachlage
in Großbritannien ein weniger anders, wenn nicht sogar komplexer gestaltet als
die Münchner Maximiliansstraße.
Zeuge
dieser Vielschichtigkeit werde ich, als ich der Einladung meines Mitbewohner
folge, einige Tage im Ferienhaus des Vaters seiner Verlobten in Cornwall zu
verbringen. Nach einer fünfstündigen Zugfahrt gen Süden, betrete ich ein wenig
nervös das weitläufige, in den 70ern erbaute Haus, das mir als der Inbegriff
von „poshness“ beschrieben wurde. Auf einen Schlag wird damit jedoch mein
persönliches Verständnis eben dieses Begriffs auf den Kopf gestellt.
Sicherlich, die Tatsache, dass das Haus mit Blick auf einen atemberaubenden von
Felsen umrahmten Sandstrand gebaut ist, riecht nach Geld. Allerdings spricht
die simple Ausstattung sowie der Zustand des Hauses eine andere Sprache: Neben
dem überquellenden Mülleimer und zwischen Sand und Muschelschalen türmt sich
eine Armada aus leeren Wein- und Bierflaschen auf. Ein Stapel schmutziger
Teller wartet im ebenfalls sandigen Spülbecken darauf, dass die sauberen Teller
aus der Spülmaschine in die Schränke geräumt werden und der Aschenbecher auf
dem Wohnzimmertisch quillt über.
Mit
einer festen Umarmung, einem Kuss auf beide Wangen und der Frage, ob ich einen
Drink wolle, werde ich vom 68-jährigen Hausherren begrüßt, der barfuß, mit
langen grauen Locken, einem Sammelsurium an Armbändern und zerrissenen Jeans
aussieht wie eine Mischung aus Pirat, Rockstar und Bill Nighy.
Die
darauffolgenden Tage versinken in einem bunten Rausch aus Strandspaziergängen,
Schwimmen, Muschel-Sammeln, kuriosen Spielen, Sandburgen bauen, Unmengen an
Essen und noch mehr Alkohol. Normale Tageszeiten (Abendessen irgendwann gegen
22 Uhr) und normale Gepflogenheiten (Duschen, saubere Kleidung) verlieren an
Bedeutung.
In
München assoziiere ich „posh“ mit den Mitgliedern des Golfclubs, in dem ich
einen Sommer lang bediente – Besitzer teurer Hemden, noch teurerer Uhren und
einem offensichtlichen Desinteresse an allem, was sich außerhalb der Welt der
Reichen und Schönen abspielt. In Cornwall hingegen, scheint niemand Wert auf
Äußerlichkeiten oder eine Performance von Reichtum zu legen. Vermutlich ist
jedoch gerade dieses Verhalten ein wichtiger Aspekt britischer „poshness“, denn
nach einiger Recherche finde ich heraus, dass mein Piraten-Gastgeber im echten
Leben Anzug trägt und erfolgreicher Kunst-Händler ist. Somit würde das Fehlen
jeglicher „poshness“ ebenso eine Performance darstellen wie das Tragen teurer
Uhren und Hemden in München. Ohne jegliches Werturteil über die beiden Seiten
des Vergleichs fällen oder gar versuchen zu wollen, in die viel tiefergreifende
Problematik der fortbestehenden englischen Klassengesellschaft eintauchen zu
wollen, komme ich zu dem Schluss, dass – egal wie reich, angesehen oder „posh“
meine Gastgeber sind – ich mich selten umsorgter gefühlt habe als in diesem
schmuddeligen Haus in Cornwall. Allein deswegen erscheint britische „poshness“
irgendwie sympathischer als die abschätzigen Blicke angesichts meiner nicht
vorhandenen teuren Uhr und die Unwilligkeit auch nur 5 Prozent Trinkgeld zu
geben, die ich während meiner Golfclub-Zeit in München täglich erlebte.
Text: Theresa Parstorfer
Foto: Privat