In der Schule wurde sie verspottet, weil sie Bücher schrieb. Jetzt organisiert Jennifer Jäger, 22, ein Mal im Monat Schreibnächte im Internet – um zu zeigen, dass Schreiben keine einsame Sache ist.
Wie eine Welle rauschte es durch die Klasse. Dieses verächtliche Flüstern. „Schreib doch ein Buch drüber!“, zischte ihr jemand zu. Jennifer hatte ein Buch geschrieben, einen Fantasyroman. Und genau das war das Problem. Erzählt hatte sie das keinem ihrer Klassenkollegen, es war einfach irgendwie durchgesickert. Eigentlich war sie stolz auf das eigene Buch. Schon im Skikurs saß sie abends lieber lesend im Bett, statt im Schnee zu toben. Aber in den Augen der anderen war das Schreiben ein Makel. Wer schreibt, so dachten sie, muss seltsam sein, eigenbrötlerisch, fremd.
So zumindest erklärt sich Jennifer Jäger, heute 22, warum sie in der Schule nicht so richtig glücklich war. Damals fand sie viel Trost im Internet. Heute hat die Germanistik-Studentin selbst eine Online-Community gegründet. „Gemeinsame Schreibnächte“ heißt sie. Hundert Schreiblustige treffen sich eine Nacht lang in einer virtuellen Gemeinschaft. Von acht Uhr abends bis drei Uhr morgens, einmal im Monat, alleine und doch gemeinsam. „Ich habe das auf die Beine gestellt, weil es mich sehr gestört hat, dass das Schreiben als einsames Hobby gilt“, sagt Jennifer. „Der stereotype Autor sitzt irgendwo in seiner Kammer, in einer schottischen Berghütte, vor seinem Tee …“ Genau in dem Moment nippt sie am Earl Grey vor ihr. Als ihr das auffällt, lacht sie.
Jennifer hat mittlerweile sechs Bücher veröffentlicht. Mal im Eigenverlag, mal beim Fantasy-Label Impress. Beim Genre ist sie geblieben: Auch das siebte Buch, das bald erscheint, wird ein Fantasy-Roman. Seit einem Jahr ist sie dafür bei einer Agentur unter Vertrag. Schreiben und surfen, das sind zwei ihrer Hobbys. Jennifer ist so gut wie ständig online. Aber das sieht man der jungen Frau aus Würzburg, die in München studiert, gar nicht an. Keine Brille, kein schüchternes Lächeln. Stattdessen: jemand, der einem in der U-Bahn auffallen würde. Schwarzer Filzhut, kurze blaue Haare, pinkfarbenes Notizbuch.
Wer bei ihrem nächtlichen Schreib-Projekt mitmachen kann? Buchstabentänzer, Wortakrobaten und Federschwinger. So steht es zumindest auf der Website. Jennifer ist konkreter. Das kann die Zwölfjährige sein, die über der ersten Kurzgeschichte sitzt. Der Blogger, den die Angst vor dem leeren Blatt packt. Oder der Bummelstudent, der endlich seine Seminararbeit fertigmachen will. Mit in der Gruppe sind auch zwei Horror-Autoren. Um Jennifer zu ärgern, schicken sie ihr während der Schreibnächte oft gruselige Youtube-Videos. „Ich bin jedes Mal so naiv und klicke sie an“, sagt Jennifer. „Aber so halten sie mich wenigstens wach!“
Das Prinzip: Jeder arbeitet am eigenen Manuskript. Alle 60 Minuten gilt es eine Aufgabe zu lösen, die zum Schreiben anregen soll. Etwa: Bau das Wort „Nimmermehr“ in einen Satz deines Textes ein! Oder: Was isst dein Protagonist gerne? Das wirkt nur auf den ersten Blick trivial, versichert Jennifer. Essgewohnheiten können viel über Charaktere aussagen. „Die Fragen sollen unerfahrenere Autoren dazu bringen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.“
Eine Stunde wird geschrieben, dann kann man sich im Forum darüber austauschen – oder lädt seine eigenen Texte hoch. Probleme beim Dialog? Hänger beim Plot? Schwierigkeiten bei der Formulierung? „Autoren sind ja auch oft Beobachter. Da ist es naheliegend, anderen beim kreativen Prozess über die Schulter zu schauen“, sagt Jennifer. Gezwungen wird dazu aber niemand. Man kann seine Texte auch für sich behalten. „Es geht nur darum, zu schreiben, nicht darum, gut zu schreiben“, betont sie. Einige Teilnehmer nehmen sich einfach ein Wörterpensum vor – egal, was dabei rauskommt. Jennifer hat ihr eigenes Ritual: In die Packung M&Ms auf dem Schreibtisch darf sie nach jedem 100-Wörter-Absatz langen, nicht öfter.
Die Idee zu den Schreibnächten kam mitten in einer Panikattacke. Jennifer musste ihr zweites Buch abgeben. Sie saß vor dem Rechner, die Seite blieb leer, eine Stunde, zwei, drei. „Wer braucht auch Motivation beim Schreiben?“, schrieb sie in die Facebook-Welt hinaus. Bald fanden sich ein paar Freunde. Das Ganze wuchs. Mittlerweile sind es 500 Mitglieder, über Deutschland verteilt.
Für jede Schreibnacht lädt Jennifer einen anderen Experten aus der Literatur-Branche ein. Das kann der Chef eines Fantasy-Verlags sein, ein Grafikdesigner oder Self-Publishing-Autoren. Die beantworten im Chat die Fragen der jungen Autoren. „Ich habe noch nie eine Absage bekommen“, sagt Jennifer. Im Gegenteil: Auf der Warteliste stünden 20 Personen.
Wenn Jennifer in der U-Bahn Faust oder Harry Potter liest, dann macht sie das auf dem E-Book-Reader – das echte Buch könnte ja Knicke bekommen. Ein literarischer Digital Native – aber ein widersprüchlicher. Jennifer kommentiert andere Hashtags spöttisch – auch wenn sie ihre eigenen nutzt. Sie postet fast täglich bei Facebook. Doch das Datenschutz-Problem macht ihr Angst. In ihrem Roman „Traumlos“ geht es um Überwachung: Darin beschreibt sie eine Welt, in der die Regierung Menschen über ihre Träume kontrolliert.
Warum die Schreibnacht nicht einmal analog aufziehen? Reden, statt in die Tasten hacken. Die Freunde, von denen man sonst lediglich Avatare kenn, mal im richtigen Leben treffen? Jennifer überlegt. Von der Idee scheint sie nicht angetan. „Es ist ein sehr großer Aufwand, weil wir in Deutschland so weit verteilt sind“, sagt sie zögerlich. „Und es ist schwierig, einen öffentlichen Ort zu finden, an dem man nachts um zwölf schreiben kann!“ Elsbeth Föger