Rappen auf der Kanzel

“Als Poetry-Slammerin bin ich Entertainerin, als Pfarrerin verkünde ich das Wort Gottes”, sagt Veronika Rieger, 22. In beiden Fällen gehe es für sie um die Wahl der richtigen Worte. Und um Unterhaltung.

Veronika rappt: “Oh mein Gott, dieser Himmel, wie komm
ich da bloß rein? Oh mein Gott, dieser Himmel, wo zur Hölle soll der
sein?” Es ist der Refrain eines Songs von Marteria. Ihr Publikum ist
an diesem Tag eine kleine Gruppe gekonnt gelangweilter Konfirmanden, die
restlichen Anwesenden dürften wohl alle weit über 50 sein und von diesem Rapper
noch nie etwas gehört haben. Veronika stört das nicht. Sie steht auf der
Kanzel, trägt einen schwarzen Talar und ist der beeindruckende Beweis dafür,
dass Glauben manchmal auch ziemlich cool sein kann.

Als Veronika Rieger, 22, die an diesem Tag ein blaues Kleid
und einen blauen Blumenkranz im rötlichen Haar trägt, von ihrer Rap-Einlage erzählt,
muss sie schmunzeln. Lachfältchen um ihre ebenfalls blauen Augen werden
sichtbar. Sich Veronika in diesem Outfit auf einer Bühne mit einem Mikrofon in
der Hand vorzustellen, fällt nicht schwer. Aber in der Kirche auf der Kanzel?
Das erfordert schon mehr Vorstellungskraft. Doch Veronika kann beides: Seit
einem Jahr ist sie deutschlandweit als Poetry-Slammerin ziemlich erfolgreich.
Zudem studiert sie evangelische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität
in München und wird, so Gott will, einmal als Pfarrerin arbeiten.

Geplant war das alles nicht. Texte geschrieben hat Veronika
zwar schon immer, aber lange nur für sich selbst, nicht für ein größeres
Publikum. Auch der Weg zum Theologiestudium war kein direkter, denn studiert
hat sie zunächst fünf Semester Lehramt, ebenfalls an der LMU. “Dass ich
Theologie studieren werde, wollte ich mir anfangs selbst nicht
eingestehen”, sagt die sie. Pfarrerin sei eben leider kein cooler Beruf.
Sie grinst. Am Ende hat sie sich trotzdem dafür entschieden: Veronika will mit
Menschen arbeiten und sie auf ihrem Lebensweg begleiten. Außerdem sei es
deutlich leichter zu meckern, dass die Dinge nicht so laufen, wie man es gerne
hätte, als selbst etwas zu verändern. Am Ende gehe es doch schließlich um das,
was man selbst daraus mache, sagt sie.

“Von den Stereotypen, die man mit Pfarrern verbindet,
trifft kein einziges auf mich zu”, sagt sie selbstbewusst. Die Bibel habe
sie als Jugendliche zwar gelesen – ebenso wie den Koran -, aber mehr aus
Interesse als aus tiefer Religiosität. “Mit 13 war ich mir auch absolut
sicher, dass es Gott nicht gibt”, sagt sie. Heute noch sagt Veronika, ihr
Gott habe viele Namen – und als bibeltreu würde sie sich nicht unbedingt
bezeichnen. Altgriechisch, Althebräisch und Latein muss sie in den zwölf
Semestern, die ihr Studium in Regelstudienzeit dauert, lernen, auch wenn sie
selbst viel lieber mehr Praxisanteile in den Lehrplan integrieren würde. Sie
nimmt es gelassen, immerhin ist kein Studium perfekt und etwas Eigeninitiative
ist immer gefragt. Veronika nutzt deshalb gelegentlich die Möglichkeit, für
andere Pfarrer auszuhelfen, um so mehr Berufserfahrung zu sammeln.

Von der Kanzel auf die Bühne: Auch zum Poetry Slam kann
Veronika eher durch Zufall. Sie erzählte ihrer Freundin Felicitas Brembeck, die
in der Slam-Szene besser als Fee bekannt ist, von ihrer Schreiberei – und die
ließ nicht locker, bis sie einen ihrer Texte lesen durfte. Fee überredete sie,
bei einem Poetry Slam in der Münchner Kneipe Stragula aufzutreten. “Ich
dachte mir schon, bevor ich einen von ihren Texten gelesen habe, dass Veronikas
Persönlichkeit wie für die Bühne gemacht ist”, sagt Fee. Sie sei sich
sicher gewesen, dass Veronika nicht nur schöne sprachliche Bilder zu Papier
bringen, sondern diese auch für das Publikum lebendig werden lassen könne.

Seit dem ersten Auftritt vor knapp einem Jahr hat Veronika
mehr als dreißig verschiedene Texte auf Bühnen in Bayern und ganz Deutschland
gebracht. “Durch das Slammen kann ich Menschen erreichen, die ich sonst
nicht erreichen würde”, sagt Veronika. Sie hat natürlich auch komische
Beiträge im Repertoire, aber die meisten ihrer Texte sind in irgendeiner Form
politisch. “Ich glaube, dass man politische und nicht-politische Themen
gar nicht so klar voneinander trennen kann”, sagt sie. Ihr Texte handeln
deshalb von Selbstliebe, von Misshandlungen, von Homophobie, von Sexismus –
gegenüber Männern und Frauen. Es sind gesellschaftlich relevante Themen, aber
vor allem Themen, die sie selbst bewegen, wütend machen, nachdenklich stimmen.

Zu ihr als ausgebildeter Notfallseelsorgerin sind schon
häufiger Menschen gekommen, die Opfer von psychischer und physischer Gewalt
geworden sind. Fast täglich wird sie auf den verschiedensten Kanälen mit allen
erdenklichen Formen von Alltagssexismus konfrontiert. In ihren Texten gibt es
natürlich immer ein lyrisches Ich – das heißt aber nicht, dass es zwangsläufig
mit Veronika übereinstimmen muss. Gewisse Parallelen ließen sich aber natürlich
dennoch nicht leugnen, sagt sie – mal mehr, mal weniger.

Slammen? Predigen? Unterscheidet sich hier das Texten?
“Als Slammerin bin ich Entertainerin, als Pfarrerin verkünde ich das Wort
Gottes”, sagt Veronika. In beiden Fällen gehe es aber um die Wahl der
richtigen Worte, darum, seine Zuhörerschaft zu erreichen, aber eben mit unterschiedlichen
stilistischen Mitteln und mit anderer Intention. Auf der Bühne will sie ihr
Publikum unterhalten. Auf der Kanzel vermutlich auch, hier versteht sie sich
selbst aber als Dienstleisterin für ihre Gemeinde.

Trotzdem kann es schon mal passieren, dass bei Veronika die
Grenzen leicht verschwimmen, wie eben an diesem Tag, als sie nicht Worte aus
der Bibel zitiert hat, sondern Marteria. Der Song “OMG!” beschäftigt
sich mit der Frage, welche Art von Leben man führen muss, um in den Himmel zu
kommen, und ob dieses Ziel überhaupt erstrebenswert ist.

Fragen, die Veronika als angehende Pfarrerin zulassen kann,
Fragen, die sie sich selbst als junges Mädchen gestellt hat und heute noch
stellt.

Text: Jacqueline Lang

Foto:

Alessandra Schellnegger