Wie es euch gefällt

Was ist, wenn sich die beste Freundin nach dem Sado-Maso-Coming-out abwendet? Melanie Maier, 25, leitet den Frauentreff der Münchner BDSM-Szene. 

Melanie ist ein Switcher. Je nach Lust ist sie deshalb Sub oder Dom, wie man devote und dominante Partner in der BDSM-Szene nennt („BDSM“ bezeichnet verschiedene sexuelle Vorlieben, es sind die Anfangsbuchstaben der englischen Bezeichnungen „Bondage“, „Discipline“, „Dominance“, „Submission“, „Sadism“ und „Masochism“). Weil Melanie bisexuell und polygam lebt, kann sie ihre Vorlieben nicht nur mit dem eigenen Partner ausleben, sondern auch mit verschiedenen Partnern – beider Geschlechter.

Melanie Maier, 25, die eigentlich anders heißt, ist Mitglied der jungen BDSM-Szene in München. „JungeSMünchen“, wie die private Organisation sich nennt, hat sich aus dem bundesweit tätigen Verein SMJG gegründet, dem Jugendableger der BDSM-Szene, und ist Anlaufstelle für junge Menschen zwischen 18 und 35. 

Melanie, die als Sachbearbeiterin arbeitet, geht selbst regelmäßig zu den Stammtisch-Treffen. Zudem leitet sie den Frauen-Treff. Wie die Menschen auf die Organisation aufmerksam werden? „Gerade finden sehr viele über die Jodel-App zu uns“, sagt Melanie. Durch soziale Medien sinkt die Hemmschwelle und die Jugendlichen denken nicht jahrelang über diesen Schritt nach, sondern probieren einfach mal aus, ob die BDSM-Szene das Richtige für sie ist. Melanie findet diese Entwicklung sehr angenehm. Wer jahrelang mit seinen Gedanken alleine gelassen werde, habe später häufig eine solch hohe Erwartungshaltung, dass er nur enttäuscht werden könne, sagt sie.

Natürlich kann man Menschen ihre sexuelle Orientierung nicht an der Nasenspitze ablesen. Doch Melanie sagt sogar selbst halb im Scherz: „Meine Eltern halten mich wahrscheinlich für den langweiligsten Menschen der Welt.“ Und auch ihr Bruder, der ebenfalls in der BDSM-Szene unterwegs ist, war überrascht, als er von den Vorlieben seiner kleinen Schwester erfuhr. Er habe gedacht, sie sei prüde, sagt sie und muss schmunzeln. Wenn man sich als Vanilla – so nennen die Menschen aus der Szene jene, die nicht auf BDSM stehen – jemanden vorzustellen versucht, dem BDSM gefällt, würde man aber wohl tatsächlich vielleicht nicht zuerst an eine junge Frau mit langen, dunkelbraunen Haaren, mit einer Brille auf der Nase und einem Blümchenkleid, das bis zu den Knie reicht, denken. 

Aber so einfach ist es eben nicht. Leder oder Latex sucht man bei den Treffen vergeblich. Viele, die zum ersten Mal kämen, seien trotzdem überrascht, auf ganz normale Menschen zu treffen, sagt Melanie. Erleichtert stellen sie dann fest, dass sie gar nicht pervers sind.

„Auf dem Stammtisch treffen die Menschen auf Gleichgesinnte, die nicht nur verständnisvoll nicken, sondern auch etwas dazu beitragen“, sagt Melanie. Natürlich gibt es aber auch Freunde, die kein Verständnis aufbringen, sondern sich von einem abwenden. Melanie selbst hat zwar in ihrem Freundeskreis durchweg positive Erfahrungen gemacht, aber sie weiß auch von Fällen, in denen die beste Freundin seit dem Coming-out nicht mehr die beste Freundin ist. Dies sei auch einer der Gründe, warum viele nur innerhalb der Szene zu ihren Verlangen stehen, sagt Melanie. 

Selbst Melanie kann sich trotz aller Offenheit nicht vorstellen, mit ihren Eltern oder ihren Kollegen über ihr Sexleben zu sprechen. „Ich persönlich möchte nicht, dass meine Eltern bestimmte Bilder von mir in ihren Kopf bekommen.“ Die wenigsten – egal ob BDSMler oder Vanilla – würden doch schließlich mit ihren Eltern oder ihrem Chef über ihre Sexualität sprechen, sagt Melanie.

Obwohl in den Regeln der Organisation steht, dass flirten nicht erwünscht ist, sind die Treffen für viele die einzige Möglichkeit, gleichgesinnte Partner zu finden. Einen BDSM-Partner auf einer ganz normalen Party kennenzulernen, sei die absolute Ausnahme, sagt Melanie. Und das, obwohl man annehme, dass jeder Zehnte solche Neigungen habe, sagt sie.

Sie selbst hatte Glück und lernte ihren Partner über Freunde kennen, die nichts mit der BDSM-Szene zu tun haben. Dass er ein Erkennungszeichen der Szene trug, den Ring der O, fiel ihr erst beim ersten Date auf. Seinen Ursprung hat der Ring in dem BDSM-Roman „Geschichte der O“ von Pauline Réage. Optisch erinnert er an eine Ringschelle zum Anketten von Tieren. Doms tragen den Ring meist an der linken Hand, um den Sub beim Schlagen mit der rechten Hand nicht zu verletzen.

Gehe man zum ersten Mal auf eines der Treffen, lerne man ganz viel neue Vokabeln, um seine Bedürfnisse zu artikulieren, sagt Melanie. Ohne Übung geht es bei BDSM also weder bei der Kommunikation mit dem Partner noch beim Erlernen verschiedener Praktiken. Am Anfang erfordert das ein bisschen Mut, aber mit der Zeit lernt man, über seine intimsten Geheimnisse zu sprechen. „Heute gibt es nichts mehr, was mir die Schamesröte ins Gesicht treiben kann“, sagt Melanie und lächelt. Als Leiterin des Frauen-Treffs gibt es kaum eine Vorliebe oder einen Fetisch, den sie noch nicht kennt. Grundsätzlich gilt: Es gibt nichts, was es nicht gibt.

Die Community hilft einem aber auch zu erkennen, wann aus einer gesunden BDSM-Beziehung eine gestörte Beziehung wird. Mit häuslicher Gewalt und Unterdrückung habe BDSM rein gar nichts zu tun, auch wenn die Grenzen für Außenstehende schwer zu erkennen sein mögen, betont Melanie. „Safe, sane, consensual“ lautet das Konzept, also „sicher, mit gesundem Menschenverstand und einvernehmlich“, das deshalb jedem aus der Szene geläufig ist.

Herausgefunden hat Melanie mit Anfang 20, dass sie auf BDSM steht. Davor hat sie nur das beherzigt, was ihre Biolehrerin ihr sagte: „Alles, was ihr euch vorstellt, wenn ihr mit euch alleine seid, ist in Ordnung.“ Und so ließ Melanie ihrer Fantasie freien Lauf. Als sie mit 18 ihr erstes Mal hatte, hat sie deshalb gar nicht darüber nachgedacht, dass manche es seltsam finden könnten, wenn man sie bittet, gewürgt zu werden. Heute weiß sie, dass man sich langsam vortasten muss, um seinen Gegenüber nicht zu verschrecken. 

Melanie spricht vom Luxus, sich Zeit für seine eigenen und die Vorlieben und Wünsche des Partners nehmen zu können. Es sei mehr als nur eine Befriedigung von Basisbedürfnissen. Luxus-Sex eben. Obwohl man natürlich viel Geld für Spielzeug ausgeben kann, muss Luxus in diesem Fall aber noch lang nicht teuer bedeuten. „Gerade unter Schülern und Studenten wird viel selber gebastelt und genäht“, sagt Melanie. Ein Besuch im Baumarkt oder in der Seilerei ist deshalb für die meisten BDSM-Pärchen an einem Samstagnachmittag ganz normal.

Text:

Jacqueline Lang

Fotos: Alessandra Schellnegger