Neurosen und Narzissmus

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In einer geräumigen Zweizimmerwohnung zu leben – das ist wohl der Traum jeder Erstsemester-Studentin. Nicht jedoch Katharinas. Sie fürchtet, ihre vier Wände könnten den Besuchern mehr über sie verraten, als ihr lieb ist.

Katharina hat ein Problem: ihre Wohnung. Die Wohnung ist groß, schön und gut gelegen. Und genau das ist das Problem. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ein Ein-Zimmer-Apartment mit Miniaturküche gereicht. Wo man als Student eben so haust. Aber ihre Eltern bestehen darauf, ihr die Miete für das Wohlstandsungetüm zu zahlen. Meistens ist die Wohnung ziemlich leer, weil es Katharina unangenehm ist, Kommilitonen mit nach Hause zu bringen.

Es gab einmal eine Datingshow im Nachmittagsfernsehen: Nach der Inspektion von drei Wohnungen konnte der Kandidat sich entscheiden, mit dem Besitzer welcher Behausung er sich treffen möchte. Im wahren Leben läuft das natürlich andersherum. Man lernt erst den Menschen kennen und später dessen Zuhause. Trotzdem zeigt das Konzept dieser Show eines ganz klar: Nichts erzählt mehr über eine Person als deren Wohnung.

Schon mit der Psychologie-Grundausbildung aus dem Nachmittagsfernsehen kann man so einiges über seine Gastgeber in Erfahrung bringen: Ordentlich eingeräumte Besteckschubladen – klarer Fall von Zwangsneurose. Geputzte Spiegel verweisen auf Narzissmus. Pink-glitzernde Haushaltsgegenstände und Prinzessin-Lillifee-Haarshampoo legen nahe, dass die Bewohnerin ihre Klein-Mädchen-Träume der Wirklichkeit zum Trotz tapfer weiterträumt. Vielleicht ließe sich eine Show entwickeln, bei der Psychologen allein anhand der Inneneinrichtung ein Persönlichkeitsprofil des Bewohners erstellen, aber das nur am Rande.

Tja, und was erzählt nun ein feudales Zwei-Zimmer-Domizil über eine Studentin im ersten Semester? Wahrscheinlich flüstert die ach-so-anständige Wohnung Besuchern fiese Märchen über Schnöseligkeit und Standesdünkel zu, während Katharina mal eben auf dem Klo ist. Ziemlich gemein. Da sollten wir doch froh sein, dass der Großteil von uns von solch hinterlistigen Behausungen verschont geblieben ist. Denn nicht vergessen: Undichte Fensterrahmen signalisieren Abhärtung, Schimmel in der Dusche den Respekt vor biologischer Vielfalt. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.