Zufallsstudium

Jonas Friedhoff, 24, folgt in seinen Freistunden an
der Uni einfach unbekannten Studenten in deren nächste Vorlesung. Dabei kann
natürlich alles passieren. Auf Basis seiner Idee beginnen wir kommende Woche
mit unserer neuen Reihe “Zufallsstudium“. Zum Anfang haben wir mit Jonas
gesprochen, was er schon alles erlebt hat.

Wir alle kennen das: Wir sehen jemanden auf dem Campus
und fragen uns, was dieser Mensch eigentlich macht. Aussehen und Kleidung
lassen uns vielleicht etwas vermuten, aber ganz sicher sein kann man sich nie.
Was studiert der Junge mit den Dreadlocks wirklich? Welchen Kurs besucht das Mädchen,
das in der U-Bahn neben uns saß? Das ist die eine Seite. Die andere: Jeder
Student hat sich bestimmt schon einmal gefragt, was man denn zum Beispiel in
Sinologie oder auch Mikrobiologie lernt. Aber einen derartigen Kurs hat man
trotzdem nicht besucht, dafür reicht das Interesse dann oft nicht. Genau um
diese Bildungslücken zu schließen, starten wir kommende Woche unsere neue Reihe
„Zufallsstudium“, bei der wir einem zufällig ausgewählten Studenten in eine
Vorlesung folgen und berichten, was wir dort erlebt haben. Die Idee dazu
lieferte uns Jonas Friedhoff, 24. Der Philosophie- und Physikstudent betreibt
seit Anfang des Sommersemesters seine eigene Mikro-Sozial-Studie, nach genau diesem Prinzip.

SZ: Wir nennen unsere Reihe „Zufallsstudium“ wie würdest du es nennen?

Jonas Friedhoff: Langeweile vertreiben hauptsächlich
(lacht). Es ist wirklich aus Langeweile entstanden, weil ich wegen meines
Parallel-Studiums öfter größere Lücken im Stundenplan habe. Und für eine oder
zwei Stunden lohnt es sich nicht wirklich, nach Hause zu fahren.

Zugegeben, das kennt man. Aber deswegen folgt man nicht wildfremden
Studenten. Wie kamst Du dazu?

Am Anfang des Semesters hatte ich eben solche
Freistunden, es war schlechtes Wetter und ich hatte nichts zu tun, weil das
Semester gerade erst angefangen hatte. Da bin ich auf die Idee gekommen, ich
könnte mir mal einen Kurs außerhalb meines eigenen Studiums ansehen.  Aber im Vorlesungsverzeichnis nachsehen,
welche Veranstaltung wo ist, wollte ich auch nicht. Mein Gedanke damals: Ich
kann auch einfach einem Studenten folgen und mich mit in seinen Kurs setzen.
Dann saß ich plötzlich in einer Vorlesung zu Makroökonomie, was mal etwas ganz
anderes war. Als die Situation zwischen meinen eigenen Kursen wieder kam, habe
ich mir gedacht: beim letzten Mal hat es ja irgendwie Spaß gemacht und bin dann
der nächsten Person gefolgt. 

Wie läuft das denn genau ab?

Es gibt letztlich zwei Ansätze: Entweder ich suche mir
interessant aussehende Personen aus. Oder manchmal auch Leute, die total
langweilig aussehen und folge denen einfach in eine Vorlesung oder ein Seminar.
Wobei es mit Seminaren manchmal problematisch ist, wenn da plötzlich ein neuer
Student auftaucht. Da kann man dann schnell im Internet mit dem Handy
abchecken, was das genau für eine Veranstaltung ist. Oder ich setze mich ins
Audimax, beziehungsweise bleibe in dem Raum sitzen, in dem ich gerade selbst
eine Veranstaltung hatte. Also nach der Idee: Was passiert nach oder auch vor
meinem eigenen Kurs.

Wie oft machst du das denn? Und welche Studiengänge hast du mittlerweile
schon besucht?

Ich mache das circa zwei bis dreimal die Woche.
Angefangen habe ich ja erst mit diesem Semester, aber es dürften jetzt schon um
die 20 Veranstaltungen gewesen sein. Da war wirklich alles dabei: Von
Theaterwissenschaften über Jura bis hin zu Medizin.

Wie wählst du denn die Studenten aus, denen du folgst?

Das läuft wirklich rein zufällig. Oft suche ich mir
Leute aus, bei denen ich ein relativ festes Bild davon habe, was die studieren.
Das stimmt dann so gut wie nie. So baut man auch ganz heftig Vorurteile ab. Das
war zum Beispiel sehr lustig: Da war ein Student mit Dreads, dem Klischee nach
ein Sozialpädagogik-Student. Ich bin ihm gefolgt und war plötzlich in einer
Medizinvorlesung . Es passieren eben Dinge, mit denen man nie gerechnet hätte.
Es gab nur einmal den Fall, dass ich, wie erwartet, in einer Jura Vorlesung
gelandet bin, das Aussehen für mich also zum Studium gepasst hat.

Was ist denn das Interessante daran?

Man lernt letztlich völlig neue Denkansätze kennen.
Manchmal wundert man sich aber auch, über was die Menschen nachdenken in ihrem
Studium. Mittlerweile denke ich mir aber auch oft in meinem eigenen Studium:
was würde ein Außenstehender zu unserer Diskussion sagen. Also was wäre, wenn
ein anderer Zufallsstudent hier sitzen würde, der noch nie etwas mit dem Thema
zu tun hatte.

Interview: Richard Strobl

Foto: 

Jean-Marc Turmes Photography