Neuland: Ryan Inglis

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Ein Konzertmarathon für den guten Zweck: Die beiden Musiker Ryan Inglis und Freddy González ziehen am 1. April durch die Münchner Innenstadt. 

Dass Musiker durchaus eine soziale Ader haben, merkt man auch in München immer wieder. Der aus England in die bayerische Landeshauptstadt gezogene Singer-Songwriter Ryan Inglis bildet hier keine Ausnahme. Gemeinsam mit dem Münchner Sänger Freddy González, 28, und dem Filmemacher Michael Wolf plant der Brite einen Konzertmarathon durch die Münchner Innenstadt. Von der Theresienwiese aus wollen sie am 1. April zwölf Stunden lang durch die Straßen ziehen und Spender für ein humanitäres Projekt mobilisieren. Das gesammelte Geld kommt der nepalesischen Nichtregierungsorganisation „Karma Flights“ zugute, die damit vier verschiedene Schulen in der Region Gorkha unterstützt.

Ryan kennt die Situation. In dem oft von Erdbeben geplagten Land sei vieles weiterhin chaotisch. „Manche Eltern schicken ihre Kinder inzwischen lieber zur Arbeit, um Geld zu verdienen, als in die Schule“ sagt der Musiker. Dem will er entgegenwirken. Ein Jahr lang will er mit dem gespendeten Geld für die Verpflegungskosten der 188 Schüler aufkommen. So hofft er, mehr Kinder an die Schulen binden und die Bildungschancen der jungen Nepalesen verbessern zu können.  

Text: Louis Seibert

Foto: Karmaflights

Barfuß auf die Bildungsreise

Sagar Dhital studiert in München Medizin, um später in seiner Heimat in Nepal eine Krankenstation aufzubauen. „Ich will nicht die ganze Welt retten“, sagt er. „Aber in meinem Dorf will ich alles besser machen, als es jetzt ist“

Von Friederike Krüger

Sein Wille, etwas zu verändern, hat Sagar Dhital nach München gebracht. Hier studiert der junge Nepalese Medizin, um in seiner Heimatstadt Katunje einmal eine Krankenstation aufzubauen. Er hat eine entbehrungsreiche Kindheit hinter sich, aber er hat ein Ziel, eine Aufgabe, die das Leben in seinem Heimatdorf grundlegend umwandeln wird.

Sagar Dhital ist 28 Jahre alt. Oder 26. Genau weiß das keiner. Wie seine sechs Geschwister wird er auf dem Fußboden des Hauses zur Welt gebracht. Drei der Kinder sterben früh. Es könnte Typhus gewesen sein, vermutet die Mutter. Denn einen Arzt gibt es nicht. Die Menschen leiden an Gicht und Diabetes. 25 000 Bewohnern fehlen die einfachsten Medikamente. Krankheiten werden von Schamanen behandelt. „Meine Mutter glaubt bis heute, dass es vielleicht so sein sollte“, sagt Sagar betrübt.

Barfuß läuft er als Kind täglich zwei Stunden zur Schule, Mittagessen gibt es keines. Die Hausaufgaben macht er unter dem schwachen Licht einer Kerosinlampe. Nicht selten verliert er den Kampf gegen die Müdigkeit. Trotzdem fällt dem Jungen die Schule leicht. Als einer der Besten der Region darf er sein Abitur in einer benachbarten Stadt machen. Er wohnt bei Verwandten, die ihn unterstützen – und schafft den Abschluss mit Bestnoten.
Ein Stipendium ermöglicht ihm das Biologiestudium in Kathmandu, von dem er nie zu träumen wagte. Es ist der Weg in ein neues Leben. Er trägt nun Schuhe, lernt und liest viel. Seine Ansichten ändern sich. Sagar hinterfragt die Religion und die Naivität seiner Eltern. Damals denkt er sich: „Irgendwer muss dort etwas ändern.“ Damals waren es nur Gedanken, heute setzt er sie um.
 Nach dem Studium, er ist nun 21, arbeitet er im Krankenhaus in Dhulikhel. Betreut die ausländischen Studierenden während ihrer Famulatur und ist in der Abteilung für Anatomie angestellt.

Medizin – das ist sein Traum. Und die Lösung für das Elend, aus dem er kommt. „Die Menschen in meinem Ort müssen aufgeklärt werden.“ Er will ihnen helfen, aber ein Medizinstudium scheint unmöglich zu sein. Denn in Nepal würde es umgerechnet 35 000 Euro kosten. Sagar kann Nepali, Hindi und Englisch. Doch auch in Amerika oder England kann er sich die Studiengebühren nicht leisten.
Münchner Studenten erzählen ihm vom Studium in Deutschland und dass es kostenlos sei. Der Nepalese klickt sich durch Youtube-Videos und saugt diese neue Welt in sich auf. Dort will er hin. Auch wenn er hierfür Deutsch lernen muss. Doch seine Eltern lassen ihn nicht gehen. Sie wissen nicht, wo das ist, dieses Deutschland. Sie wissen nicht, wie er für sich sorgen soll. Ihr jüngster Sohn, sie wollen nicht auch noch ihn verlieren.

Doch nach vier Monaten die Wende: Er hat einen Deutschkurs belegt, sein Konto ist gedeckt, 2000 Euro spendeten die Dorfbewohner, 2000 erarbeitete er selbst, 4000 bekam er als Kredit. Er erhält ein Visum und kann seine Eltern überzeugen: Ihr Sohn kann ihre Zukunft verändern.
Sommer 2013, Sagar Dithal landet am Frankfurter Flughafen. Zwölf Stunden Flug trennen ihn von seiner Heimat – 8000 Kilometer, die zu überbrücken kein leichter Weg war.

Zum ersten Mal in seinem Leben sieht er einen Zug. Die Modernität der Stadt erschlägt ihn. Wie soll er das seinen Eltern erklären? Seinen Eltern, die solange dagegen gewesen sind, dass er sie verlässt. Für sie, die nicht verstehen, wie er ihnen helfen kann, ist doch alles im Leben vorherbestimmt. Sie, denen Sagar ein besseres Leben verschaffen will – mit dem medizinischen Know-How, was er nur in Deutschland erlernen kann.

Sagar trägt heute Kapuzensweater und Poloshirt, mit seinem iPhone fragt er sich zu dem Café durch, in dem er seine Geschichte erzählen soll. Er wohnt nun seit knapp einem Jahr in München. Und immer noch ist vieles ganz neu für ihn. Warum sich so viele hier für seine Geschichte interessieren, versteht er nicht. „Die Welt ein Stück weit besser machen – das wollen doch alle“, sagt er.
Über Frankfurt gelangt er nach München. Trotz vieler Nachtschichten als Barkeeper schafft er das erste Semester mit Bravour und erhält das Deutschlandstipendium. Nun muss er nicht mehr jedes Wochenende arbeiten.
Nach einem halben Jahr schickt er seiner Familie Fotos. „Ob ich genug Holz fürs Feuer und genug Reis zu essen habe, haben sie ständig gefragt,“ erzählt Sagar, ein wenig verzweifelt.

Er bewegt sich auf einem dünnen Grad zwischen zwei Welten. In München manchmal selbst überfordert, versucht er seinem Vater alle zwei Wochen an einem Samstag um 9 Uhr morgens, wenn dieser mit seinem Handy in Nepal ein paar Schritte auf einen Hügel hinauf läuft, sein neues Leben zu erklären. Und welche Auswirkungen es auf das seines Vaters haben wird.
Der Ort für eine Krankenstation ist bereits ausgewählt worden. Wenn Sagar Dithal 2016 nach drei Jahren zum ersten Mal in seine Heimat zurückkehren und seine Familie wiedersehen wird, will er mit der konkreten Planung beginnen. „Ich will nicht die ganze Welt retten und auch nicht das ganze Land verändern. Aber in meinem Dorf will ich einfacf alles besser machen als es jetzt ist.“

Foto: Natalie Neomi Isser

Neuland

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Dhan Schroeter möchte für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Nepal viele Spenden sammeln. Die nächste Aktion findet an diesem Samstag, dem 9. Mai, auf dem Pasinger Flohmarkt statt.

Seit der Erdbebenkatastrophe sind der Münchner Dhan Schroeter, 25, und die Studenten vom „Nepalese FC Bayern“ im Dauereinsatz: Viele ihrer Angehörigen sind von der Erdbebenkatastrophe betroffen. Am 9. Mai werden sie auf dem Pasinger Flohmarkt Waren und Essen aus ihrem Geburtsland Nepal verkaufen. Der Flohmarkt ist nur eine der vielen Aktionen, die sie in den vergangenen Tagen zusammen mit der Hilfsorganisation Carisimo e.V., für die Dhan als Übersetzer arbeitet, umgesetzt haben. Alles mit dem Ziel, möglichst viele Spenden für die Opfer zu sammeln. 
Mehr Infos im Internet unter: 
www.carisimo.de

Dorothée Merkl

Foto: 

Anuradha Schroeter

Versöhnung mit der Vergangenheit

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Dhan Krishna wuchs als Waisenkind in Nepal auf, heute lebt er als Dhan Schroeter mit seiner Adoptivfamilie in München. Er arbeitet als Erzieher und Dolmetscher – und unterstützt Hilfsprojekte in seiner ursprünglichen Heimat. Das Datum, an dem sein zweites Leben begann, hat er sich auf den Arm tätowieren lassen.

Dhan Schroeter steht an einer Ecke des Marienplatzes, ein wenig abseits vom Gedränge. Er trägt ein blaues Hemd, darüber ein Sakko. An seinem Handgelenk zeigt eine auffällige Uhr von Giorgio Armani wenige Minuten vor drei. Die Kleidung und sein Bart lassen ihn älter wirken als 22 Jahre. Er lege Wert auf Mode, wird er später sagen. Gerade kommt er von einem Termin im Amtsgericht. Er arbeitet als Dolmetscher, Nepali-Deutsch, damit verdient er sein Geld. Und das nicht schlecht, wie es scheint. Was man nicht erwartet: In Nepal, seinem Geburtsland, zählte er als Kind zu den Ärmsten der Armen. Damals hieß er noch Dhan Krishna.

„Die Gegend, in der ich geboren wurde“, erzählt er, „ist eine der unterentwickeltsten der Welt.“ Als er drei war, starb sein Vater, ein Jahr später seine Mutter. Dhans Onkel nahm ihn gegen den Willen der Tante auf. Jeden Tag half er dort mit, hütete beispielsweise Kühe – mit gerade fünf Jahren. Strom und fließendes Wasser gab es nicht. Geduldet, viel mehr war der Junge seinen Erzählungen zufolge in der Familie nicht. Seine eifersüchtigen Cousins zerschnitten ihm die Kleidung, im Dorf und zu Hause, musste er mit dem Vorwurf umgehen, ein tokua zu sein: schuld am Tod seiner Eltern. „So ist das im Hinduismus“, sagt er und meint damit den Aberglauben, dass junge Waisen wie er verantwortlich für Todesfälle seien.

Mit acht Jahren kam er in ein Waisenhaus in Kathmandu. Bis zu dreißig Kinder schliefen in einem Saal, zwei in einem Bett. Wo andere Kinder am liebsten wieder verschwunden wären, fühlte Dhan sich „wie im Himmel“. Er durfte in die Schule, lernte lesen und schreiben. Fleißig sein, sich anpassen, das hatte er schon im Dorf seiner Tante gelernt. Und damit kam er nun in Kathmandu auch sehr gut durch. Bald wurde er in ein Stipendiatenprogramm aufgenommen, kam auf eine renommierte Privatschule und lernte dort sogar Englisch.

2003 fängt sein zweites Leben an. Genauer: sein Leben in Deutschland seit dem 10.09.2003. Er krempelt den Ärmel des Hemdes hoch und ansatzweise erkennt man das Datum als Tätowierung. Schon vorher hatte eine Münchnerin, Roswitha Schroeter, ein nepalesisches Mädchen aus seinem Heim adoptiert. Drei Monate musste die Deutsche dort warten, bis sie es mit sich nehmen durfte. In diesen drei Monaten lernte sie auch Dhan kennen, auf Englisch erklärte er ihr das Leben im Heim. Wenn sie nicht da war, passte er auf das Mädchen auf, bis es nach Deutschland kam. Dhan blieb in Kathmandu – dann wurde auch er nachgeholt.

Heute ist dieses Mädchen für ihn seine Schwester, Roswitha Schroeter seine Mutter. Er fühlt sich als Deutscher, Nepal ist inzwischen nur mehr die zweite Heimat. Dennoch fährt er jedes Jahr dorthin. Seine Mutter hat eine Hilfsorganisation gegründet, er übernimmt die Übersetzungsarbeiten dafür. Er ist dabei, wenn neue Waisenhäuser eröffnet werden, beschäftigt sich mit den Kindern, zeigt ihnen Tricks, gibt weiter, was er selbst gelernt hat – Spiele zum Beispiel, die er im Heim oft gespielt hat. „Das tut mir gut und den Kindern auch.“

Kinder, sie sind ein besonderes Thema für Dhan Schroeter. Er wirkt zwar sehr ernst, wenn er von seiner Kindheit erzählt. Aber sobald er über sein Verhältnis zu Kindern spricht, blüht er auf. Dann lächelt er. Diese Freude begleitet ihn auch in seinem Beruf, denn neben der Arbeit als Dolmetscher macht er gerade eine Ausbildung zum Erzieher.

Zu Beginn in Deutschland hatte er schnell erste Erfolge, lernte die Sprache rasch, kam von der Hauptschule auf das Gymnasium, bekam das Stipendium „Talent in Bayern“. Doch die Schule ließ er nach der Mittleren Reife hinter sich, wollte lieber etwas Soziales machen. Sein erstes Praktikum machte er in einem Waisenhaus – das war sein Wunsch.

Auch hier gilt wie in Kathmandu: Er will den Kindern etwas geben. Viele seien verwöhnt von den vielen Spielzeugen, der Dauerbeschäftigung – an Kreativität seien die nepalesischen Kinder oft reicher. Er weiß aus eigener Erfahrung, „in Situationen, in denen man nichts hat, macht man oft das meiste daraus.“

Dhan Schroeter verbindet viele Gegensätze in sich. Die ärmliche Herkunft und die protzige Uhr an seinem Arm. Der Job als Dolmetscher – aber gleichzeitig ist er Erzieher in der Ausbildung. „Ich bin schon irgendwie anders als viele meiner Freunde. Ich kenne beide Kulturen und beide Mentalitäten und habe manche andere Interessen.“ In seiner Heimat hat man ihm gesagt, dass er sehr ruhig geworden sei, als seine Mutter starb. Und in gewisser Weise ist er das immer noch: „Ich bin jemand, der sehr viel nachdenkt“, sagt er.
Vielleicht mit ein Grund, warum er älter wirkt als 22 – wobei er vielleicht sogar jünger ist, denn sicher ist er sich bei seinem Alter nicht. Zunächst galt ein Zeitraum von fünf Tagen im Jahr 1990 als möglich, zuletzt erfuhr er von seinem Bruder, dass er vermutlich erst 1991 geboren wurde.

Seinen ersten Auftrag als Dolmetscher hatte er vor drei Jahren in einem Rosenheimer Gerichtssaal. Der Richter meinte, er solle das doch beruflich machen – und so kam es auch. Zuerst war er bei diversen Dolmetscherbüros beschäftigt, inzwischen ist er selbständig. Insgesamt gebe es nur zwei weitere Nepali-Dolmetscher in Deutschland, beide im Norden. Das kommt ihm zugute. Er grinst fast wie ein kleiner Junge: „Meine Kunden warten darauf, bis ich einen Termin frei habe, nicht andersherum.“ Das sei schon toll. Um sich sprachlich fit zu halten, liest er nepalesische Literatur. Je nach Auftrag – ob nun im Amtsgericht, im Zollamt, bei Staatsbesuchen oder Hilfsprojekten – hat er die passenden Begriffe parat. Die Arbeit mache ihm total Spaß, erzählt er, aber die Tätigkeit als Erzieher brauche er zum Glücklichsein. So sieht er auch seine Zukunft: halb Dolmetscher, halb Erzieher. Eine Familie mit zwei Kindern, ein eigenes und eines adoptiert, wünscht er sich.

Die jährlichen Reisen nach Nepal unternimmt er nicht nur wegen der Projekte, sondern auch, weil er nach Informationen sucht, über sich und seine Familie. Vor acht Jahren fand er heraus, dass er einen Bruder hat. Vor wenigen Wochen lernte er ihn kennen. Seine Tante sei inzwischen voller Neid, bei seinem Lebenswandel hätte sie lieber einen ihrer Söhne ins Waisenhaus geschickt, soll sie gesagt haben. Dhan scheint stolz auf das zu sein, was er erreicht hat, aber nicht schadenfroh. Es scheint, als habe er sich mit seiner Vergangenheit versöhnt. „Meine Vergangenheit gehört zu mir. Und ich bin nur froh und dankbar, dass alles so gut abgelaufen ist.“

Doro Merkl