Mutterrolle

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Studieren mit Kind? An deutschen Unis keine Seltenheit mehr. Auch Hannah Schutsch, 23, wurde während ihrer Ausbildung schwanger. Nur: Sie wird Schauspielerin – und am Theater spielt es sich mit Baby schwer

Otto-Falckenberg-Schule, Ende Oktober: Eine junge Frau mit dunklem Haar sitzt im Scheinwerferkegel. Sie hockt auf einem Stuhl vor dem Publikum, wirkt etwas verloren. Durch ihre Worte verwandelt sie sich langsam in Penthesilea, Kleists berühmte Amazone. Das weiße Hemd, das sie trägt, kaschiert den darunter liegenden Schwangerschaftsbauch: Keine zwei Monate mehr, dann bekommt Hannah Schutsch ihr erstes Kind. Ihre Schwangerschaft mutet im Angesicht der Figur, die die 23-Jährige an diesem Abend ein letztes Mal verkörpert, irritierend an: Penthesilea ist Königin der Amazonen und damit Regentin eines männerfreien Staats. Männer werden, so will es die Tradition, nur zur Zeugung unterworfen.

 Eine Woche später. Intendantenvorsprechen. Vielleicht die wichtigste Zeit im Leben eines Schauspielstudenten. Man zeigt, was man gelernt hat in der Ausbildung. Präsentiert Rollen und mit den Rollen sich selbst. Im Publikum: einige potenzielle Arbeitgeber, Intendanten deutschsprachiger Theater. Talente sichten, auf der Suche nach einem Gesicht, das ins eigene Ensemble passt.
 Doch Hannah betritt an diesem Abend nicht die Bühne. Geplant war das anders, denn es ist ihr Abschlussjahrgang, der dort Monologe von Roland Schimmelpfennig, Heiner Müller oder Friedrich Schiller spielt. Wehmut bei Hannah? Sie lächelt, wenn sie über dieses Thema spricht. Wirkt ruhig, unaufgeregt. Den Bauch unter ihrem dunkelgrünen Pulli sieht man erst jetzt in seiner vollen Größe. „Ich versuche das zu nutzen für mich, dass ich Zeit bekommen habe, noch nicht so rausgeworfen werde auf den Arbeitsmarkt. Man fühlt sich als Schauspieler so schrecklich abhängig. Und nun habe ich den Raum, das noch einmal zu reflektieren. Durch ein Kind bekommt all das eine viel realere Ebene, die mir gerade eher gut tut“, sagt sie leise. 

Wenn die junge Frau so über das Theater spricht, spürt man, wie sehr sie damit ringt. Die gebürtige Berlinerin ist hinter den Kulissen groß geworden: Ihre Mutter war damals Bühnenbildnerin, der Vater Dramaturg. Schon früh merkt sie, dass auch sie ans Theater will, macht eine Regiehospitanz am Nationaltheater Mannheim. „Das war dann aber doch zu viel sitzen und zugucken.“ Hannah will selbst spielen, dem Zuschauer „Geschichten mit dem Körper erzählen“, wie sie es nennt. Sie bewirbt sich an Schauspielschulen, nach nur wenigen Vorsprechen klappt es an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Ein guter Ort, um zu lernen. Für Hannah auch ein Ort, um zu zweifeln. Sie ist 20, als sie ihr Studium beginnt. „Die Jahre nach der Schule machen eh viel mit einem. Wenn man dann zusätzlich nur mit sich beschäftigt ist, fühlt man sich irgendwann einfach blöd.“

Anders als an einer Uni gehe es hier nicht um Fakten, Zahlen, Diskurse. Die Schule habe ihr einen Erfahrungsraum bereitgestellt, sagt Hannah: Wer bin ich, als Künstlerin, als Mensch? Wo will ich hin? Was können mein Körper, meine Stimme? Wo habe ich Defizite?

Diese permanente Auseinandersetzung mit sich ist nicht nur schön. Sie macht auch mürbe, von innen heraus. „Man will immer interessant sein. Dann macht man das zwei Jahre und denkt hinterher: Ich habe eigentlich nichts gelernt, ich habe immer nur gekämpft um das Ansehen des Publikums.“ Zeige dich, schillere. Sich von diesem Gedanken zu emanzipieren, ist nicht leicht, besonders dann, wenn man ein Kind im Bauch trägt. 

Ihre Kommilitonen müssen derzeit genau das: sich präsentieren. Nach dem Intendantenvorsprechen haben einige von ihnen bereits Angebote bekommen, fahren an Theater, um sich vorzustellen, im Gepäck die Hoffnung auf ein Engagement für die kommende Spielzeit. „Klar wollte ich das mit denen gemeinsam fertig machen. Wenn man die spielen sieht, will man sofort mitmachen. Aber eigentlich denke ich: Es tut so gut, Zeit zu haben. Das ist auch eine Chance.“ Doch: Die Entscheidung für das Kind zu treffen, war auch für Hannah nicht leicht. Als Hannah ihre Schwangerschaft bemerkt, ist sie bereits im vierten Monat. Eine Abtreibung kommt da nicht in Frage. Und: Sie will dieses Kind, freut sich so sehr darauf, das merkt man im Gespräch.

Hannah ist nicht die einzige, die im Studium ein Kind bekommt: Allein an der Ludwig-Maximilians-Universität sind derzeit circa 2000 Studierende „mit Familienverantwortung“ eingeschrieben, schätzt die zuständige Beratungsstelle. Von den Unis kommt hier viel Unterstützung: Wer ein Kind großzieht, kann mehrere Urlaubssemester nehmen, viele Hochschulen bieten Kitas für den akademischen Nachwuchs an, die LMU hat zudem eigene Rückzugsräume für Studenten mit Kindern. Studium und Kind zu vereinbaren, scheint angesichts dieser Angebote für manchen jungen Menschen fast leichter zu sein, als erst hinterher, im Job, mit der Familienplanung zu starten.
 Doch Hannahs Schule ist klein. Rund 50 junge Künstler werden an der Otto-Falckenberg-Schule derzeit ausgebildet, Schwangerschaften passieren zwar auch da immer mal wieder, sind jedoch eher die Ausnahme. Dass die Schule sie in ihrer veränderten Lebensplanung dennoch unterstützt und Hannah problemlos ein Jahr zurückstuft, war für die werdende Mutter eine große Erleichterung. 

Eine Ausbildung an einer guten Schauspielschule ist kein Garant für ein Engagement. Und selbst, wer fest angestellt ist, arbeitet nicht unbedingt unter Bedingungen, die sich mit Kindern vereinbaren lassen: 1850 Euro brutto beträgt die Mindestgage von Januar 2017 an, in Städten wie München, Stuttgart oder Frankfurt reicht das nach Steuern und Miete gerade so, um sich selbst zu finanzieren. Hinzu kommen ungewöhnliche Arbeitszeiten: Tagsüber wird geprobt, abends gespielt. Gerade in der Endprobenphase ist das mit kleinen Kindern schwierig. Und: Wer als Schauspieler in Elternzeit geht, fällt am Theater monatelang aus und kann in dieser Zeit nicht für neue Produktionen besetzt werden. Die Folge: Verträge werden mitunter nicht verlängert.

Hannah kennt diese Probleme, sie ist quasi im Theater aufgewachsen. Sie wirkt nicht ängstlich, was das Kommende anbelangt. Auch, weil ihre Eltern sie finanziell unterstützen werden, weil da ihr Freund ist, mit dem sie lebt und das Kind großziehen wird. „Letztens haben wir mit Puppen das Stillen geprobt, beim Geburtsvorbereitungskurs“, sagt sie mit einer gewissen Selbstironie in der Stimme. Eltern sein ist eine Rolle, in die man eben auch hineinwachsen muss. „Wir wissen, dass uns das verändern wird. Aber das finde ich einen schönen Gedanken. Was mich eher beängstigt: Man muss sich explizit Raum schaffen, um Kinder großzuziehen. Gerade am Theater ist das schwierig. Dieser Raum ist da nicht.“ Das zu ändern, darum bemühen sich Initiativen wie das Ensemble-Netzwerk. Eine neue, andere Generation von Schauspielern formiert sich gemeinsam, um die Bedingungen in ihrem Beruf zu verbessern: faire Bezahlung, eine Arbeitsbelastung, die Künstler nicht ständig an ihr Limit bringt.

Für Hannah ist Theater ein Raum, „wo man träumen darf, wo dieses Träumen sogar etwas anrichten kann“. Träumen, das wird sie, das darf sie. Und dann in ein, zwei Jahren in die Welt hinausgehen: Denn dann steht auch Hannah beim Intendantenvorsprechen auf der Bühne. Mit Kind. Trotz Kind. Es wird ein Mädchen.

Text: Carolina Heberling

Foto: Florian Peljak

Danke für die Tränen

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Anja Schaubergers Mutter hat Krebs – jetzt hat die 22-Jährige ein Buch darüber geschrieben, wie man als Tochter damit umgeht. Ein Interview.

Der Gedanke, dass man irgendwann einmal die eigenen Eltern beerdigen muss, ist sicher keiner, mit dem man sich gerne auseinandersetzen möchte. Anja Schauberger (Foto: Stefanie Heider) muss jedoch genau das tun: Als ihre Mutter vor einigen Jahren an Brustkrebs erkrankt, werden Gedanken um Krankheit, vielleicht auch Tod, für die heute 22-Jährige, zum alltäglichen Begleiter. Nun, nachdem ihre Mutter wieder genesen ist, hat die Jungautorin aus ihren Erlebnissen ein Buch gemacht: In „Und wieder Winter“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag) erzählt sie die Geschichte der 18-jährigen Anna, die mit eben dieser Situation konfrontiert wird: Ihre Mutter bekommt schon zum zweiten Mal Krebs – und Anna steht plötzlich vor einem moralischen Konflikt: Darf man das Leben noch genießen, wenn es einem Familienmitglied so schlecht geht?

SZ: Deine Mutter hat zweimal Krebs bekommen. Wie hast du den Moment erlebt, in dem er zum ersten Mal diagnostiziert wurde?
Anja Schauberger: Ich habe damals bei meinem Vater gewohnt und bin deswegen zurück zu meiner Mutter gezogen. Aber eigentlich weiß ich gar nicht mehr, wie das damals war, weil man so schlimme Sachen ja auch verdrängt. Ich glaube, ich habe mit allem anderen gerechnet, nur nicht damit.

Abgesehen von dem Umzug zu deiner Mutter, wie verändert sich nach so einer Diagnose das Alltagsleben?
Damals hat sich, leider, wenig für mich verändert, was im Nachhinein schlecht und gut ist: Ich bin trotzdem ausgegangen, hatte meine Freunde, war selten zu Hause, habe mich mit meiner Mutter gestritten. Manchmal war ich echt launisch und anstrengend. Im Nachhinein bedauere ich, dass ich ihr nicht mehr unter die Arme gegriffen habe. Man nimmt es sich zwar immer wieder vor und dann zieht man es doch nicht so richtig durch. Aber andererseits wäre es auch übertrieben gewesen zu sagen: Ich bleibe jetzt Freitagabend daheim, weil Du hast ja Brustkrebs und dann kümmere ich mich jeden Tag 24 Stunden um Dich. Das hätte sie auch nicht zugelassen. Richtig verändert hat sich erst später etwas.

Wie meinst du das?
Da wurde mir bewusst: Ab dreißig muss auch ich zur Vorsorge. Und vielleicht ist es mit einer Erkrankung nicht getan – wie man ja bei der zweiten Diagnose meiner Mutter gesehen hat. Dadurch lernte ich, die Dinge schon mehr zu schätzen, gerade die Treffen mit meiner Mama.

Wenn ein Elternteil Krebs hat, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass eines der Kinder auch daran erkrankt. Hast du Angst, ebenfalls Krebs zu bekommen?
Natürlich, aber ich werde deswegen jetzt nicht mein Leben umkrempeln. Ich glaube, dass Krebs eine Krankheit ist, die vor allem durch Stress oder eine psychische Belastung verursacht wird. Abgesehen vom Rauchen versuche ich deswegen, gesund zu leben und auf mich zu achten. Der andere Gedanke, der im Raum steht, ist dann auch: Wenn nur einer von uns Krebs bekommt, wünsche ich es dann mir oder meiner Schwester?

Malt man sich Szenarien aus, was passiert, wenn die Mutter tatsächlich stirbt?
Ich kann ich mir das gar nicht vorstellen, das wäre das wirklich Schlimmste, was passieren könnte. Wenn ich schon daran denke, macht mich das sehr traurig, auch wenn ich mich damit irgendwann zwangsläufig auseinander setzen muss.

Ergibt sich aus so einer Krankheit der Druck, früher erwachsen werden zu müssen?
Druck war nicht da, aber ich bin es irgendwie automatisch geworden. Man fragt sich eher: Bin ich vielleicht daran Schuld, dass meine Mama krank ist? Zwei Jahre nachdem ich bei ihr eingezogen bin, hat sie noch einmal Krebs bekommen und dann denke ich schon, dass ich leider dazu irgendwie beigetragen habe.

Was hat dich jetzt, mit dem zeitlichen Abstand, dazu bewegt ein Buch über deine Erlebnisse zu schreiben?
Für mich ist es sehr wichtig, meine Gedanken aufzuschreiben. Dieses Buch war für mich wie eine kleine Therapie. Ich habe dabei noch mal alles so durchlebt, auch wenn im Buch natürlich vieles verändert ist. Aber vor allem finde ich, dass über dieses Thema wahnsinnig wenig gesprochen wird. Ich habe einige Freunde, bei denen die Mutter auch Brustkrebs hatte, aber das habe ich immer erst erfahren, wenn ich selbst von meinen Erfahrungen erzähle. Und da frage ich mich warum? Krebs ist die Krankheit überhaupt, das ist doch seltsam, dass die Leute so wenig darüber sprechen können, so als würde man keine Schwäche zulassen wollen. Das ist ja irgendwie auch ein Eingeständnis. „Meine Mutter hat Krebs“ ist nichts, was man jetzt gerne so groß herumerzählt. Aber das ist auch eine Erziehungssache: Es gibt einfach Menschen, die sehr behütet aufwachsen und denen vorher noch nie etwas Vergleichbares passiert ist, die sind dann schnell emotional überfordert.

Wie war die Kommunikation bei euch?
Bei uns wurde darüber sehr offen geredet. Ich konnte immer zu meiner Mutter kommen, wenn ich eine Frage hatte. Auch wenn sie krank war. Sie war für mich da, hat mich in den Arm genommen, auch wenn ich immer wieder dieselben Fragen gestellt habe, weil ich es noch nicht ganz verstanden hatte. Ich war dann auch bei einer Bestrahlung dabei und habe sie damals auch für ein Fotoprojekt oben ohne fotografiert und da sah man schon, dass die eine Brust kleiner ist.

In der Danksagung deines Buches schreibst du: „Danke an Mama für die vielen Tränen“. Wie geht deine Mutter damit um, dass jetzt viele fremde Leute, einen Teil ihrer Geschichte lesen?

Sie hat kein Problem damit, ich glaube sogar, sie freut sich über das Buch. Sie ist stolz. Das ist das größte Geschenk, das man seiner Mama machen kann. Ich glaube, sie liebt mich seitdem noch ein bisschen mehr.

Also hat das Buch eure Beziehung verbessert?
Total. Deswegen schreibe ich auch von den vielen Tränen: Ich habe ihr, während ich das Buch geschrieben habe, immer wieder ein bisschen was vorgelesen und das ging keine halbe Seite, ohne dass sie nicht in Tränen ausbrach. Sie hat es auch noch immer nicht geschafft, es fertig zu lesen, weil sie einfach bei jeder Seite weinen muss.