Band der Woche: Ella Josaline

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Ella Josaline ist vielleicht die größte Pophoffnung,
die München derzeit zu bieten hat. Sie ist gerade einmal 16 Jahre alt und große
Plattenfirmen haben schon ersten Kontakt mit ihr aufgenommen. Ihre erste
Platte zeigt, welch Talent in ihr steckt – und welche Gefahren lauern

Wenn Popmusik funktioniert, veranstaltet sie ziemlich schnell ein Kino im Kopf des Hörers. Da gehen Assoziationen auf, die einen etwa entweder in eine kitschige Jazz-Bar (Norah Jones), auf eine Südstaaten-Veranda (Jolie Holland) oder in einen etwas verdrehten Stadion-Pop-Drogenrausch (Miley Cyrus) versetzen. Das Lebensgefühl, das so an Popmusik gekoppelt wird, ist im gewissen Sinne zwar sehr fiktiv, aber passt gleichzeitig ganz gut zur heutigen Art des Konsums von Populärkultur. Wer sich exzesshaft in die tiefen Fiktionswelten von TV-Serien begibt, baut sich mit Musik auf dem Weg zur Uni oder Arbeit genau diese Fiktion weiter. Je stärker die Musik die eigene Welt in cinemascopegroße Fiktion verwandelt, umso besser. 

Die Münchner Musikerin Ella Josaline Kern verkleidet sich gern. Nicht, dass sie mal als Prinzessin oder als Meerjungfrau auftritt, die erst 16-jährige Musikerin verkleidet ihre Songs und ihre musikalische Persönlichkeit. Und sie hat ein ausgesprochen gutes Gespür dafür, welche Details die Verkleidungen zu der Rolle machen, die sie darstellen will. Und da sie zu diesem Talent noch ziemlich musikalisch ist, eine besondere Stimme hat, die sie vor allem besonders einzusetzen weiß, hat nun eine Musiker-Karriere für sie angefangen – auch, weil sie mit diesen Verkleidungen in der Lage ist, Lebensgefühle bei ihren Zuhörern auszulösen.

Sie ist überschwänglich, wenn sie über ihre Musik redet. Das erklärt, warum es ihr so leicht fällt, den Songs ein überzeugendes und ja, eben erzählendes Gewand zu geben. „Ich habe immer schon Musik gemacht, immer gesungen, als Kind schon Songs geschrieben, Musik ist mein Leben“, sagt sie. Da klingt etwas Absolutes mit, das auch ihre Musik hat. Gerade besucht sie eine Waldorfschule, die sie im kommenden Jahr mit der Mittleren Reife abzuschließen plant. Danach soll dann die Musik zum wirklichen Lebensmittelpunkt werden. Wie das viele junge Musiker derzeit machen, hatte auch Ella Josaline vor einem Jahr damit angefangen, Videos von sich auf Youtube zu stellen; etwa wie sie Damien Rices „Cannonball“ covert. Gerald Huber vom Münchner Label Redwinetunes erkannte ihr Talent und begann, sich der Musikerin anzunehmen. Er stellte sie den wichtigen Menschen in der Szene vor, besorgte ihr Konzerte und organisierte die Aufnahme ihrer ersten Platte. „Ihm habe ich alles zu verdanken“, sagt Ella Josaline, in der für sie eben typischen Hingabe.

Denn von diesem Moment an lief es ziemlich gut für sie. Sie spielte eine Menge Support-Gigs und begann mit den Produzenten Bonifaz Prexl und Nicolas Sierig zu arbeiten. Nun hat sie ihre erste Aufnahme fertig gestellt, die EP „FreEp“, die sie am Samstag, 21. November, im Münchner Ampere bei „Munich Rocks“ vorstellen wird. Und darauf zeigt sie sich in all ihren Verkleidungen fast kaleidoskopartig. Im Opener „Change the World“ präsentiert sie sich als durchaus authentischer moderner Hippie, dessen Stimme über Blues-Harmonien zwischen Entrüstung und Änderungswillen schwankt. Darauf folgt „Free“, immer noch im Hippie-Gewand klingt sie darauf wie eine etwas naive Joni Mitchell, bevor sie in der reduzierten Instrumentierung des deutschsprachigen „Ich will nur“ immer wieder knapp an der Silbermond-Deutschpop-Falle vorbeirauscht. Richtig stark ist sie dann als weiblicher Conor Oberst in „On the Road“ und im folkigen Country-Song „Wondrous Soul“ zur Kontrabassbegleitung. Wenn sie nun im kommenden Jahr beginnt, an ihrem ersten Album zu arbeiten, wird es spannend, welches Kostüm sie darauf für ihre Musik wählt. Denn wenn sie dieses noch ein wenig eindeutiger wird, hat sie vermutlich wirklich gute Chancen, mit der Musik ihr Leben zu bestreiten.  

Stil: Songwriter-Pop

Besetzung: Ella Josaline Kern

Aus: München

Seit: 2014

Internet: www.ellajosaline.com

Rita Argauer
Foto: Fabian Winkler

Von Freitag bis Freitag München – Unterwegs mit Theresa

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Im Supermarkt steht schon der Lebkuchen. Theresa bekämpft die Angst vor dem Winter mit sonniger Musik von Impala Ray bei Munich Rocks, heißen Schockern beim Fantasy Filmfestival und würzigem indischen Tee. Vorsichtshalber deckt sie sich aber am Mädelsflohmarkt im Feierwerk auch schon mit wärmerer Kleidung ein.

Als mir am vergangenen Wochenende am Abendessenstisch von
meiner Mutter und meiner Schwester berichtet wird, dass es im Supermarkt schon
Lebkuchen und Spekulatius zu kaufen gibt, fällt mir spontan die Kinnlade runter
– und die frisch geerntete Tomate aus dem Garten. Das muss ein Scherz sein.
Aber nein, auch meine Wetterapp kündigt für die kommende Woche rund 10 Grad
weniger an als noch die letzten Tage. Und das, wo ich gerade angefangen habe,
mich ans Schwitzen zu gewöhnen und meine blassen Schultern auch endlich so
etwas wie Bikinistreifen aufweisen – zwar noch lange nicht in dem Ausmaß wie die
meiner gerade mit der Schule fertig gewordenen und nur noch im Garten oder an heimischen
Seen anzutreffenden kleinen Schwester, aber doch nicht mehr abzustreiten.
Eigentlich wollte ich an denen noch arbeiten, aber gut …

Ich werde meine Laune ganz bestimmt nicht von denen des
Wetters abhängig machen. Deshalb packe ich am Freitag meinen Regenschirm ein
und mache mich auf den Weg ins Cinemaxx am Isartor. Dort wird derzeit das
Fantasy Filmfestival gefeiert. Heute bin ich mutig und schaue mir „Nina
Forever“
an. Eine britische Komödie über eine tote Exfreundin, die die neue Beziehung
ihres noch lebenden Freundes sabotiert. Mit viel Blut und schwarzem Humor. Bin
mir zwar, um ganz ehrlich zu sein, nicht ganz sicher, ob das der richtige Film
für mich kleines Alptraum-Opfer ist, aber vielleicht findet sich ja noch
jemand, der mich danach in den Schlaf kuschelt.

Letzteres funktioniert leider nicht ganz so wie ich mir das
vorgestellt hatte. Deshalb muss ich mich am Samstag  erst einmal von den ganzen Schockern und
Ex-Freundin-Geistern erholen und mir etwas Gutes tun. Und wie könnte das besser
gehen als beim Shoppen? Heute muss ich mich dafür nicht einmal wirklich
schämen, denn auf dem Mädelsflohmarkt im Feierwerk tue ich nicht nur den Verkäuferinnen einen Gefallen, die ihre alten
Klamotten loswerden wollen, nein, ich trage auch nicht zum
Massenproduktionswahnsinn bei, sondern finde ein paar tolle Teile aus zweiter
Hand. Fühle mich super hipster.
Ich muss niemandem, der schon einmal Shoppen war, noch dazu auf einem Flohmarkt,
erklären, dass es sich dabei um Hochleistungssport handelt, weshalb ich mich
nach diesem Tagesprogramm nur noch auf ein Date mit der Couch einlasse.

Den Sonntag lasse ich langsam angehen. Zuerst spiele ich
Taxi und hole meinen leiblichen Vater und seine Familie vom Flughafen ab. Sechs
Wochen Indien. Regen hatten die da dank Monsun genug, tiefenentspannt sind sie
aber trotzdem. Vor allem meine kleine Schwester, die nach Lust und Laune
fernschauen und Süßigkeiten essen durfte, bei den indischen Großeltern. Gott
sei Dank bin ich alt genug, um darauf nicht neidisch sein zu müssen, und freue
mich stattdessen über meine nun wieder aufgefüllten Cashewnuss-Vorräte.
Am Nachmittag muss ich dann aber erst einmal Platz in meinem Kleiderschrank
schaffen für die neuen Klamotten, die ich gestern gekauft habe.
Schrank-Aufräumen ist sowieso Spitze, fast wie Shoppen, denn dabei finde ich
immer die interessantesten Dinge. Wow, das blaue Trägerkleid hatte ich schon
fast vergessen. Oder den alten oversize-Snoopy-Pulli von meiner Mama aus New
York, voll retro! Der wird heute Abend gleich eingepackt, wenn es zum
vielleicht letzten Mal dieses Jahr zum Open-Air-Kino am Olympiasee geht. Sommer
Ade mit einem Coming-of-Age-Film, aber wenigstens in der englischen
Originalfassung. „Paper Towns“ erzählt von junger Liebe und kleinen Rätseln und
ja, ich habe Taschentücher dabei.

Am Montag muss ich zum Ausgleich aber unbedingt wieder etwas
intellektuell Anspruchsvolles machen und auch wenn sich die Sonne wieder ein
wenig häufiger zeigt, radle ich zum Haus der Kunst zur Ausstellung „Geniale
Dilletanten“.
 Der Titel ist absichtlich falsch geschrieben, lasse ich mir erklären, denn es
geht um jugendliche Rebellion in den 80er Jahren, um Einstürzende Neubauten und
Freiwillige Selbstkontrolle. Ich kontrolliere mich heute Abend auch selbst,
besprühe ausnahmsweise mal keine U-Bahn, sondern informiere mich total spießig und
total freiwillig über Master-Studiengänge und lerne zum krönenden Abschluss sogar
noch für meinen bald anstehenden TOEFL-Test.

Am Dienstag geht es dann weiter mit dem kreativen Input,
dann muss ich nicht über den unmittelbaren Ernst des Lebens nachdenken oder gar
über die in manchen Schaufenstern schon ausgestellten Winterkollektionen. Im
ImportExport in der Dachauerstraße lasse ich mich bei der Rationalversammlung inspirieren,
von Texten mir Herz, Verstand und Witz. Wer weiß, vielleicht schreibe ich
morgen ja endlich meinen Roman fertig. 

Nein, Mist, am Mittwoch muss ich schmachten, denn Jesper
Munk
spielt im Milla beim Abschlusskonzert der aktuellen BR-Startrampe und auch
wenn mein Geldbeutel seit Samstag viel zu leer ist, muss ich da hin. Ich muss. 

Am Donnerstag habe ich viel vor, deshalb sammle ich tagsüber
Kraft bei einer Tasse indischem Chai und starte um 19 Uhr bei der Vernissage von Birgit Wolfram. Es geht um die
Wirkungen und Möglichkeiten einer möglichst exakten Umsetzung der
Darstellungsweise von Fotografie und Malerei.
Dann will ich aber auch noch Musik. Und weil mir gestern aufgefallen ist, wie
gern ich im Milla bin, trotz des schrägen Bodens und des dadurch verursachten Muskelkaters
heute Morgen, fahre ich im Anschluss an die Kunst wieder in die Holzstraße,
denn da spielen Famous Naked Gipsy Circus, The Black Submarines und die
Cassettes. Das Ganze findet über die neue Plattform „Young Bands of Munich“ statt,
die Richard Mahlke, Sänger von den Cassettes zusammen mit Mira Mann vom Milla
organisiert hat. Aufstrebenden Münchner Bands sollen dadurch Auftritte ermöglicht
werden.
Ich bin allerdings ein wenig unruhig,
weil gleichzeitig im Ampere Munich Rocks stattfindet und dort spielt bei freiem
Eintritt Impala Ray. Neuer Sommerhit-Liebling, passt perfekt zu meinem Vorsatz,
den Herbst noch ein bisschen wegzutanzen. Spekulatius werde ich noch früh genug
gemütlich in eine Decke vorm Kamin gewickelt essen können. 

Am Freitag bin ich von all dem Getanze und der Angst vor dem
Winter allerdings auch ein wenig erschöpft und da erinnere ich mich daran, wie
mein Papa am Sonntag vom Nichtstun am Strand unter Palmen erzählt hat. Das
klingt interessanterweise auf einmal sehr, sehr vernünftig. Einfach mal nichts
tun. Ich packe meine Yoga-Matte ein und geselle mich zum Nadism Slow Mob im
alten Botanischen Garten
. Bewusstes Nichts-tun. Das ist echt abgefahren und sollte öfter gemacht werden.
Dann vergeht die Zeit nämlich auf einmal unglaublich langsam und die Lebkuchen
rücken wieder in angenehm weite Ferne.

Theresa Parstorfer

Foto: Tobias M Kraft