Komm doch

Alina Oswald, 24, zeigt in einer Foto-Ausstellung Menschen beim Höhepunkt. Aber ist der Orgasmus nicht Privatsache, die ins Schlafzimmer gehört und nicht auf die Leinwände einer Ausstellung? 

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Um seine Augen spielen sich kleine Lachfältchen. Sein Mund ist weit geöffnet. Zu einem breiten Lachen. Jemand muss dem bärtigen Mann gerade einen Witz erzählt haben, einen sehr komischen Witz. So, wie der Mann auf der Schwarz-Weiß-Fotografie wirkt, muss er auf jeden Fall in dem Moment der Aufnahme maßlos glücklich gewesen sein. Auf den Gedanken, dass dieser Mensch auf dem Bild gerade einen Orgasmus hat, kommt man hingegen nicht. 

Überlegungen wie diese machen Fotografie für Alina Oswald, 24, spannend. Die junge Fotografin aus München hat gerade ihre Ausbildung zur Kommunikationsdesignerin abgeschlossen und widmet sich nun ihrer ersten Ausstellung. „Come and Come“ heißt es in der Beschreibung zu ihrer Veranstaltung „Moments and Deconstruction“. Neben dieser zweideutigen Einladung gibt die junge Fotografin den Besuchern jedoch keine weiteren Erklärungen zu den Bildern. Sie lässt die Betrachter bewusst ohne explizite Einweisung in die Ausstellung gehen. Dadurch möchte sie unter anderem herausfinden, inwiefern die Ebenen eines Bildes durch dessen Interpretationsfreiraum erweitert werden können. „Jemand, der an meinen Bildern vorbeigeht, weiß nicht, dass dieser Mensch auf dem Bild gerade einen Orgasmus hat. Also was fühlt der Betrachter?“

Das sind nicht die einzigen Fragen. Wie geht man bei so einem ausgefallenen Fotoshooting vor? Wie schafft man eine möglichst lockere Atmosphäre? Und das ist erst der Vorspann des Kopfkinos, das unweigerlich startet, ob man nun will oder nicht. Das Model befriedigt sich selbst und die Fotografin schaut gespannt dabei zu, macht sich bereit, im richtigen Moment abzudrücken? Soft-Porno im Namen der Kunst? Schmuddel-Fotos an einem professionellen Set? Oder waren es am Ende ganz andere Augenblicke, die später als Höhepunkte ausgezeichnet werden? 

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„Vor dem Shooting habe ich immer lange und ausführliche Gespräche mit den jeweiligen Personen geführt, oder auch das eine oder andere Glas Alkohol getrunken, um die Stimmung etwas zu lockern“, sagt Alina. Sie fotografiert diese intimen Momente meist bei den Models zu Hause. „Ich war zum größten Teil dabei oder bin solange aus dem Raum gegangen, wenn sich die Person mit meiner Anwesenheit nicht wohl gefühlt hat. Dann bin ich erst zum Schluss dazu gekommen.“ Oft wurde das Bild auch mit einer Decke für den Sichtschutz gemacht. Und dann? „Danach wurde meist gelacht. Und noch darüber geredet. Dann bin ich wieder gefahren. Dankbar, dass dieser Mensch diesen intimen Moment mit mir als Betrachter geteilt hat.“

Eine abstrakte Idee zu dieser untypischen Foto-Reihe entwickelte sich schon seit Längerem in Alinas Kopf. „Ich habe immer gedacht, ich finde eh keine Leute, die bei so einem Projekt mitmachen würden.“ Als sie ihr Vorhaben im Freundeskreis erzählt, findet sie überraschenderweise tatsächlich Leute, die sich für dieses ungewöhnliche Experiment porträtieren lassen wollen. Auf Alinas „Moments“-Fotoreihe sind Menschen zwischen 20 und 39 Jahren zu sehen, von der Studentin bis zum Geschäftsmann. Nicht nur Freunde und Bekannte. Die Fotografin beschreibt die Teilnehmer dieses Projekts als offene Menschen, die gerne neue Erfahrungen sammeln und dabei außergewöhnliche Dinge ausprobieren wollen. 

Trotzdem bleibt beim Betrachten der Bilder ein gewisser Zweifel. Ist der Orgasmus nicht die privateste Sache der Welt, die ins Schlafzimmer gehört und nicht auf die Leinwände einer Ausstellung? Alina ist da anderer Meinung. Sie möchte mit ihren Fotos Tabugrenzen erweitern oder gar auflösen. Für sie steht der Orgasmus für eines der schönsten und natürlichsten Dinge überhaupt. Sie möchte mit ihrer Ausstellung eine öffentliche Annäherung ermöglichen.

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Alles, was sie zu ihrem Projekt sagt, klingt viel mehr nach Selbstfindungsseminar als nach Porno. „Die Energie, die in dem Moment freigesetzt und verbreitet wird, ist sehr positiv und intensiv. Es ist immer ein sehr intimer und spannender Moment, den ich mit den Models erlebe. Und ich versuche mit jedem Foto diese einzigartige Energie einzufangen und zu transportieren. Ich sehe darin nichts Unnatürliches oder Verwerfliches. Etwas so Schönes sollte nicht tabu sein.“

Das ist nicht der einzige Beweggrund. Hinter Alinas Projekt steht auch der Wunsch, einen Moment einzufangen, in dem die Person auf dem Foto keinerlei Kontrolle über Mimik und Selbstpräsentation hat. Diese Sekunden des Kontrollverlusts wollte sie mit der Kamera festhalten. Ihrer Meinung nach ist der Höhepunkt ein Augenblick der absoluten Wahrhaftigkeit, in dem jeder Mensch für einen kurzen Moment gleich ist. 

Die Ausstellung „Moments and Deconstruction“ ist noch bis zum 10. April im ‚Altgiesing‘ zu sehen. Neben Alinas Fotografien sind dort auch Bilder der jungen Künstlerin Karolina Ramut ausgestellt. Die Münchnerin mit polnischen Wurzeln nimmt für ihre surrealistische Bildreihe Alinas Fotografien als Vorlage. Die Porträts werden hierbei abgezeichnet, verzerrt, zeichnerisch mit neuen Elementen versehen oder zu Collagen gestaltet. Außerdem hat der Münchner Videokünstler Aleksej Alinas Experiment begleitet und in einen Dokumentarfilm verwandelt. In einem Teaser zu diesem Film, betont eine junge Teilnehmerin mit frechem Lächeln: „Wenn man so was nicht macht, kann man nie sagen, dass man es gemacht hat. Ich finde das cool, wenn man die Chance bekommt, irgendetwas Außergewöhnliches zu tun.“

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Text: Amelie Völker

Fotos: Alina Oswald